Auf Basis aktueller Ergebnisse aus zwei laufenden Forschungsprojekten analysiert der Vortrag zunächst antifeministische Entwicklungen in Deutschland. Fokussiert werden dabei Diskursverschiebungen in Mainstream-Printmedien sowie Entwicklungen in verschiedenen Praxisfeldern, die in den letzten Jahren im Fokus antifeministischer Mobilsierungen standen. Hierzu zählen die diskursive Ethnisierung von Sexismus im Feld der Integration von Geflüchteten, der Vorwurf der ‚Frühsexualisierung’ im Feld der Sexualpädagogik, Mobilisierungen gegen die sogenannte ‚Homo-Ehe’, aber auch antifeministische Positionierungen von Wissenschaftler*innen und Diskurse über Mutterschaft, da Versuche zur Retraditionalisierung und Renaturalisierung von Mutterschaft und Familie einen zentralen Ankerpunkt des rechten und christlich-fundamentalistischen Antifeminismus darstellen. Im nächsten Schritt werden die Befunde zu Deutschland im Kontext europäischer Entwicklungen betrachtet, um Gemeinsamkeiten und kontextspezifische Besonderheiten herauszuarbeiten.
Gender unter Druck.
Geschlechterpolitiken in Europa.
Es weht ein kalter Wind durch Europa. An Einfluss gewinnende rechtspopulistische Parteien profilieren sich mit europakritischen, autoritären Positionen. Im Mittelpunkt ihrer Programme stehen antifeministische und rassistische Forderungen. Gleichzeitig nutzen rechte Akteur*innen den Bezug auf Frauenrechte, um ihre Forderungen zu legitimieren und sich von denjenigen abzugrenzen, die aus ihrer Sicht nicht ‚dazugehören‘.
Seit dem Amsterdamer Vertrag von 1997 ist die Arbeit der EU auf die Prinzipien des Gender Mainstreaming und die Bekämpfung von Diskriminierung auf Grund von Geschlecht, „Race“, ethnischer Herkunft, Religion/Weltanschauung, Behinderung/Beeinträchtigung, Alter und sexueller Orientierung verpflichtet. EU-Geschlechterpolitiken haben sich aus der engen Beschränkung auf Arbeitsmarktpolitik gelöst und zielen mittlerweile auf alle Politikfelder. Schwerpunkte sind neben der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Geschlechterungleichheit und Demokratiedefizite in der Politik sowie der Kampf gegen häusliche Gewalt.
Gender Mainstreaming ist rechtspopulistischen Bewegungen ein Dorn im Auge, weil sie Geschlechtergerechtigkeit nicht als Abschaffung von Ungerechtigkeit, sondern als Abschaffung von Geschlechterdifferenz verstehen. „Anti-Genderismus“ bekämpft vehement jedes Verständnis von Geschlecht, das Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität als ‚natürliche‘, unveränderliche Tatsache infrage stellt.
Europäische Demokratie braucht Feminismus. Die Vorträge fokussieren die Konstitution, Bedingungen und Ursachen von Anti-Genderismus und Antifeminismus rechter und rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien im europäischen Kontext und setzen sich aus rassismuskritischer, postkolonialer und feministischer Perspektive kritisch mit der EU als Bezugspunkt für intersektionale Kämpfe um soziale Gerechtigkeit auseinander. Dabei machen sie Allianzen und Gegenbewegungen sichtbar und setzen „fake news“ und Politiken der Ausgrenzung Informationen und alternative Handlungsstrategien entgegen.
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Vortrag und Diskussion mit:
Annette Henninger Ist seit 2009 Professorin für Politik und Geschlechterverhältnisse mit Schwerpunkt Sozial- und Arbeitspolitik an der Philipps-Universität Marburg. Sie forscht und publiziert zur Politischen Ökonomie der Geschlechterverhältnisse, zur feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung sowie zu Demokratie und Geschlecht. Aktuell leitet sie zwei Forschungsprojekte zu Antifeminismus in Deutschland: „‚Genderismus‘ in der medialen Debatte: Themenkonjunkturen 2006-2016“, gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, und „Krise der Geschlechterverhältnisse? Anti-Feminismus als Krisenphänomen mit gesellschaftsspaltendem Potenzial (REVERSE)“ gefördert vom BMBF.
Theodor-W.-Adorno-Platz 1, Frankfurt/Main