MÄNNERBÜNDISCHE ARBEITSKULTUR___________________________________________________
                                       AM BEISPIEL VON PERSONALPOLITIK

Stephan Höyng

Keine Organisation funktioniert ohne die informelle Ebene. Der Einfluß dieser Ebene auf Arbeitsklima, Informationsfluß und Entscheidungen, also auf die gesamte Arbeitskultur und auch auf die Personalentscheidungen kann kaum überschätzt werden. Im Führungsbereich von Organisationen sind informelle Beziehungen aufgrund der Männerdominanz in diesem Feld von Männern initiierte Netze, nicht selten typische Männerbünde. Denn sie sind von Organisation, Funktion und Sinngebung durchaus mit den klassischen Männerbünden wie den Rosenkreuzern oder dem katholischen Klerus  vergleichbar. Doch nicht nur dort, wo es explizite Männerbünde gibt, wie z.B. Stammtische von Mitarbeitern, läßt sich eine entsprechende männerbündische Arbeitskultur finden. Diese Kultur ist zwar kaum formell zu verorten, zumindest in den Senatsverwaltungen, die wir untersucht haben, aber sie ist von hegemonialer Bedeutung. Einfluß und Wirkung dieser Kultur sollen hier anhand von Personalentscheidungen verdeutlicht werden.

Beförderungskriterien auf der informellen Ebene
Bei Personalentscheidungen geht es um die wohl wichtigsten internen Ressourcen in Verwaltungen: Stellen und Positionen. In diesem Brennpunkt der Interessen läßt sich auch die männerbündische Arbeitskultur gebündelt beobachten. Personalentscheider (Führungskräfte und Personalratsvertreter) nannten uns ihre persönlichen Kriterien für die Vergabe von Verantwortung tragenden Positionen. Die Einstellungs- und Beförderungskriterien dieser führenden Mitarbeiter werden hier verglichen mit wesentlichen Kriterien von Männerbünden, die wir aus kulturübergreifenden Studien (Schweizer, Erdheim/Hug, Schurtz) von Ethnologen und aus speziell auf Verwaltung und Politik bezogenen Untersuchungen von Männerbünden (Weber, Sombart, Kreisky) herausgearbeitet haben.

In einer Bürokratie, die an sich selbst den Anspruch von Rationalität stellt, müßte Leistung eigentlich das einzige Beförderungskriterium sein. Genau das bestätigen auch alle Personalentscheider.  Doch wie definiert sich Leistung? Befaßt man sich etwas genauer mit Leistung, erscheint diese wie eine offizielle Fassade, hinter der jeder nach seinen persönlichen Vorstellungen von guter Berufsarbeit entscheidet. Die Äußerung eines Abteilungsleiters zeigt, wie in die Leistungsdefinitionen Bilder über Geschlechter verwoben sind.  ”Ich gehe streng nach Leistung, aber Frauen kriegen Kinder! Das bringt Schwierigkeiten!”

Die wichtigsten Voraussetzungen für eine Beförderung sind den Personalentscheidern zufolge  Engagement, Verfügbarkeit und Belastbarkeit. Es wird erwartet, daß die Aspiranten andere, eigene Ziele hinter die beruflichen Anforderungen zurückstellen. Das heißt: ”viel Zeit mitbringen”, ”präsent sein”, ”Einsatz zeigen”. Zugangsvoraussetzungen wie massive Mehrarbeit über die Grenzen körperlicher Belastungsfähigkeit hinaus entsprechen den oft schmerzhaften oder mit Opfern verbundenen Prüfungen von neuen Mitgliedern, wie sie in den Initiationsriten von Männerbünden üblich sind.

Von Bedeutung für eine Personalentscheidung ist weiterhin die Fähigkeit des Kandidaten zur Selbstdarstellung. ”Das Image muß stimmen”, ”befördert werden Leute, die präsent sind und ihre Aufgaben nach außen hin richtig vermitteln können.” Wenn man sich und seine Arbeit gut darstellen kann, wenn Effektivität und Erfolg nach außen vermittelt werden, treten Sachfragen und inhaltliche Aussagen hinter dem Bild zurück. Diese Anforderung spiegelt sich wider im Verhalten von Führungskräften: Redeanteile an einer Diskussion scheinen ihnen oft wichtiger zu sein als ein Bezug auf andere RednerInnen oder Inhalte. Das eigentliche Thema ist die Selbstdarstellung - ein typisches Kennzeichen von Männerbünden. Dramatisierung der eigenen Rolle nennen es Ethnologen.

Erst an dritter oder vierter Stelle nennen Personalentscheider, eher nebenbei, das Kriterium fachlicher Qualifikation: ”Der Output muß natürlich auch stimmen.” Fachlichkeit  ist das einzige Kriterium, für das sich in Männerbünden keine Entsprechung findet.

Der nächste Maßstab, der an Kandidaten für ein höheres Amt angelegt wird, ist das Dienstalter. Hier zeigt sich, daß die ursprünglichen Regeln der Bürokratie noch lange nicht außer Kraft sind. Das Anciennitätsprinzip, die Führung durch den Ältesten, ist aber nicht nur auf die Verwaltung beschränkt: Spätestens in den Vorstandsetagen der ansonsten dynamischeren Wirtschaft ist dieses Strukturmerkmal von Männerbünden – der Ältestenrat - ebenfalls zu finden.

Diese Einstellungs- und Beförderungskriterien, die Personalentscheider selbst anlegen, sind von noch anderer Art als die Gründe, die sie als Ursachen für den eigenen Aufstieg vermuten. Sie führen dafür einzig und allein informelle Kriterien an, einzig die Gewichtung ist je nach Arbeitskultur der jeweiligen Behörde unterschiedlich. Verstärkt findet sich diese Wahrnehmung bei einigen Männern, die Mitglieder eines Stammtisches von Führungskräften und den wichtigsten Auftragnehmern ihrer Behörde sind. Die im Folgenden benannten Hintergründe der eigenen Karriere haben mit der Einbindung in solche Beziehungsnetze zu tun und weisen direkt auf Männerbünde hin:

Als erstes gilt es, Loyalität nicht nur gegenüber den Regeln einer formalen Organisation zu bewahren. Loyalität wird vielmehr als ein persönliches Verhältnis gegenüber dem Vorgesetzten verstanden. Als aufstiegsorientierter Jüngerer sollte man ” ... sich verbünden mit jemandem, der schon ein gewisses standing in der Behörde hat, wenn der Referatsleiter oder Abteilungsleiter wird, zieht der Sie mit hoch. Solche Verbindungen bringen für die Verwaltung eine ganze Menge.” In informellen Männerbünden wie etwa dem Stammtisch wichtiger Führungskräfte gilt diese Loyalität dem Leiter und Begründer. Dies entspricht den Treuegelöbnissen, die charismatischen Führungsgestalten in klassischen Männerbünden geleistet werden. Sie führen zur Einordnung in die abgestufte Hierarchie dieser Bünde, die nach der Unterordnung ‚bei guter Führung‘ die Erhöhung versprechen.

Von großer Bedeutung ist nach Angaben der Personalentscheider auch das Kennen und Einhalten der ‚Spielregeln‘ der Organisation. In jeder Organisation gibt es andere unausgesprochene Regeln, in die erfahrene Mitarbeiter ‚ihre Zöglinge‘ - aussichtsreiche Neulinge - einweihen. Welches Verhalten ist in welcher Situation angemessen? ”Es ist auch mal wichtig, Umwege zu gehen, um bestimmte Entscheidungen vorzubereiten, zuerst die Akzeptanz für  bestimmte Projekte sicherzustellen, um von vorne herein Bremsklötze wegzuräumen. ... Ich versuche, erst mal die Öffentlichkeit halb öffentlich zu gewinnen, ehe ich mit einer Idee raus komme.”
Mitglied des Stammtisches zu werden, ist die sicherste Art, das Betriebswissen, ‚was geht‘, zu erlernen und im informellen Informationsfluß zu bleiben. Dies entspricht der abgestuften Einweihung in die Geheimnisse etwa der Rosenkreuzer oder der Freimaurer.

Um ausgewählt zu werden und die nötigen Verbindungen zu bekommen, muß man zeigen, daß man ”in den Kreis paßt”. Wer soziale Ähnlichkeit signalisieren und zeigen kann, ”sich zuordnet”, kann in die Führungsgruppe aufgenommen werden, ohne die Homogenität zu gefährden. So fällt beim Stammtisch etwa ein Nichttrinker unangenehm auf und gehört nicht dazu. Ein ganz deutliches Merkmal des Andersseins ist neben der Hautfarbe das Geschlecht. Die führenden Männer fühlen sich – wie anscheinend die meisten Menschen - in ihren informellen Kreisen am wohlsten, wenn sie unter Gleichen sind. Ganz nebenbei sondern sie so andere aus – Frauen, aber auch von ihren Formen abweichende Männer. Dies ist ein Wesensmerkmal von Männerbünden.

Verbindungen werden geknüpft, weil sie zweckdienlich und nützlich sind. Und wer viele Verbindungen hat, kommt weiter. Früher als Kameradschaft bezeichnet, werden diese Kontakte heute eher ‚Freundschaften‘ genannt, obwohl persönliche Worte zwischen den ‚Freunden‘ selten, wenn überhaupt fallen. Wichtig ist einzig zu wissen, auf wen man zählen kann. ”Man kommt dann bei der Arbeit an einen Kollegen, der auch schon mal beim Stammtisch saß, das ist einfach eine andere Bindung.” Gleichzeitig ist Konkurrenz ein allgegenwärtiges Thema. In den männerbündischen Hausmächten und Beziehungsnetzen werden Konkurrenzkämpfe allerdings begrenzt und nur soweit geführt, als sie den Zusammenhalt der eigenen Gruppe nicht gefährden. Beim Stammtisch entscheidet der Leiter, wenn sich zwei der ”Kameraden” so sehr bekämpfen, daß die Gemeinschaft gefährdet ist. Die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der Gruppe zu erhalten, ist sein zentrales Ziel. Bei traditionellen Männerbünden sind sowohl Freundschaft als auch Konkurrenz ritualisiert, die Grenzen sind mit Tabus und Regeln genau festgelegt, und es gibt ganz bestimmte Formen, wie Konkurrenz ausgefochten und wie Freundschaft gezeigt werden kann. Der Zusammenhalt wird unter allen Umständen gewahrt. Deutlich wird hier die Ideologie des Kampfes einer Gruppe mitten in einem feindlichen Umfeld. Im Kampf, im Krieg ist die Zuordnung zu Lagern, ”zu wissen, wer zu wem gehört” (wie es Carl Schmidt als das Wesen der Politik benennt), sowie die Einhaltung der Regeln im eigenen Lager von existentieller Bedeutung.

Um eingestellt und befördert zu werden, sind Ansprüche zu erfüllen, denen Männer besser genügen können. Aus der Beschreibung der Rahmenbedingungen der eigenen Karriere der Personalentscheider wird zudem deutlich, daß für den Aufstieg in höhere Positionen vor allem Qualitäten im informellen Bereich der Beziehungsnetze und Kontakte erforderlich sind.

Die Männerbünde sind nicht nur für Personalentscheidungen von Bedeutung, sie bereiten verschiedenste Entscheidungen vor und steuern Informationen, sie sind Teil der Arbeitskultur ihrer Organisation. Der Ausschluß von Frauen und nicht angepaßten Männern geschieht auf der informellen Ebene, denn sie gelangen erst gar nicht in die Beziehungsnetze, die in eine höhere Position heben. Eine solche Arbeitskultur sichert - ohne daß dies dem Einzelnen klar sein muß - männliche Vorherrschaft.

Hätten diese Männer, aber auch Organisationen insgesamt, Vorteile davon, wenn sie eine andere Arbeitskultur entwickelten, die kämpferische Attitüde, das Lagerdenken aufgäben?
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen weisen an diesem Punkt in keine eindeutige Richtung, es gibt widersprüchliche Tendenzen. Auf der einen Seite steht die Massenarbeitslosigkeit, die zu einem verstärkten Konkurrenzkampf an jedem Arbeitsplatz führt. Dem gegenüber stehen immer mehr Organisationen, die ohne umfassende und offene Kooperation nicht mehr arbeiten können. In diesem Spannungsfeld muß und kann auch der Einzelne handeln. Ein Beispiel für diese Handlungsmöglichkeiten bieten Männer, die Spielräume in der Verwaltung genutzt und eine Arbeitskultur geschaffen haben, die sich in vielen Elementen von der männerbündischen Arbeitskultur unterscheidet.

Eine lebensvolle Bürokultur
Ein eher wissenschaftlich arbeitender Verwaltungsbereich hat seine ganz eigene Arbeitskultur geschaffen, für die er in der gesamten Organisation bekannt ist. Hier ist eine Arbeitskultur möglich, die gleichstellungsfreundlich ist, und in der Frauen sich wohl fühlen. Auch Männer nehmen den Gewinn einer sinnvollen Arbeit in einer positiven und angenehmen Arbeitsatmosphäre wahr.

Dabei wird die Berufsarbeit nicht mit Bedeutung überfrachtet: Sie steht für die Männer hier nicht über allen anderen Lebensbereichen, vielmehr verorten sich die Mitarbeiter wie auch die Mitarbeiterinnen im Privaten wie im Beruflichen. Die praktischen Konsequenzen: Alle Mitarbeiter arbeiten Teilzeit, haben ihre Stellen um 10 bis 30 % reduziert. Eigentlicher Grund für diese freiwillige Reduktion war die Einbindung einer freien Mitarbeiterin, die nur noch durch Arbeitszeitverkürzung möglich war. Doch heute möchte keiner der Männer diese größere private Freiheit missen.  Die privaten Lebensbereiche haben ihre eigene Dynamik bekommen: ob Motorrad, Haus oder Kinder - private und berufliche Erfordernisse müssen abgeglichen werden. Im Team wird nach Möglichkeiten gesucht, wie beiden Bereichen entsprochen werden kann. Dies kann beispielsweise so aussehen, daß der alleinerziehende Vater eben regelmäßig früh da ist und vor vier Uhr geht, während die meisten anderen Mitarbeiter meist später kommen und nach Bedarf auch länger arbeiten. Dies wird ganz selbstverständlich in die Arbeitsplanung integriert.

Teamarbeit und Kooperation sind nicht nur für diesen Abgleich unerläßlich. Sie werden auch in der gesamten Arbeit – Untersuchungen, Auswertungen und Präsentationen  - als notwendig angesehen. Und sie werden hoch geschätzt – mit anderen gemeinsam etwas durchführen zu können, wird als wichtige Fähigkeit wahrgenommen. Teamarbeit funktioniert nur dann, wenn die Fähigkeiten aller MitarbeiterInnen gesehen und eingesetzt werden. Klare Hierarchien oder etwa der Rückzug auf formale Positionen oder höhere Qualifikation passen nicht zu dieser Arbeitsform.

Es scheint nicht verwunderlich, daß die MitarbeiterInnen das gute Arbeitsklima besonders schätzen. Nicht nur  die Frauen: Mehrere Männer berichten, daß sie Stellenangebote, die eine höhere Position und eine bessere Bezahlung versprachen, abgelehnt haben, weil sie den Gruppenzusammenhalt dieses Teams nicht missen möchten – ein ungewöhnliches Verhalten.

Der Leiter dieses Bereichs trägt seinen Teil zur Arbeitskultur bei:
durch Delegation von Verantwortung nach unten, zu denen, die die Aufgaben tatsächlich durchführen
durch eine breite Streuung von Informationen
durch das Fällen von Entscheidungen in der regelmäßigen Mitarbeiterbesprechung, die somit auch ein Ort für das Austragen von Meinungsverschiedenheiten ist
durch die Delegation der Darstellung von Arbeitsergebnissen an die, die sie produziert haben.

Was sind die Vorteile, was die Grenzen einer solchen neuen Arbeitskultur?
Auch in diesem Verwaltungsbereich sind die formalen Positionen der Mitarbeiterinnen niedriger als die der Mitarbeiter. Allerdings könnte sich dies bald ändern, fallen doch einige Frauen ausgrenzende Faktoren in dieser Arbeitskultur kaum noch ins Gewicht:
Der Anspruch von Führungskräften, möglichst viel Präsenz im Beruf zu zeigen, relativiert sich durch die Arbeitszeitverkürzungen auf ein Maß, das auch Kinderbetreuung neben dem Beruf ermöglicht. Konkurrenzkämpfe zeigen sich in der Mitarbeiterbesprechung und werden dadurch transparenter. Auch Unterstützungsnetze können sich in diesem Gremium kaum verbergen.

Transparenz ist zumindest eine Vorraussetzung  für eine lebensvolle Bürokultur. Wie dann mit Konflikten,  Konkurrenz oder Verbindungen von Männern umgegangen wird, findet in diesem Verwaltungsbereich zumindest einen breiten Konsens. Nur  so läßt sich die hohe Arbeitszufriedenheit aller – der Männer wie der Frauen - erklären. Zum Nachteil der Arbeitgeber ist diese neue Arbeitskultur auch nicht: sie sind hochzufrieden mit den Ergebnissen dieses Bereiches.

Es läßt sich festhalten, daß die Motive der wenigen Männer, die sich für eine lebensvolle Bürokultur statt einer männerbündischen Arbeitskultur einsetzen, nicht selbstlos sind. Es geht ihnen nicht primär darum, Frauen zu mehr Gleichstellung oder zu Führungspositionen zu verhelfen. Sicher, diese Männer möchten niemanden ausgrenzen. Aber vor allen möchten sie ein Arbeitsklima, eine Arbeitskultur, in der sie in einer angenehmen Atmosphäre eine sinnvolle Aufgabe erfüllen können. Diese soll so bemessen sein, daß auch noch andere Interessen im Leben Platz haben. Das kann eine männerbündische Arbeitskultur, die sich nur auf Aufstieg orientiert, nicht bieten.