ORGANISATIONSFORSCHUNG UND GESCHLECHTERPOLITIKER____________________________________________
                     VON DER HERRSCHAFTSMASCHINE ZUR SPIELWIESE FÜR MIKROPOLITIKER

 

Christiane Jüngling

"Organisationen sind trotz ihrer scheinbaren Inanspruchnahme durch Fakten, Zahlen, Objektivität, Konkretheit, Verantwortlichkeit in Wahrheit voll von Subjektivität, Abstraktion, Rätseln, Erfindung und Willkür." (Weick, 1985, S.341)

Der Weg zu solchen Einsichten in der Organisationsforschung war weit, und die praktische Umsetzung einer solchen Sichtweise ist alles andere als einfach. Einige dieser Entwicklungslinien will ich in meinem Beitrag nachzeichnen. Nach einem Überblick über die nach wie vor vorherrschenden geschlechtsneutralen Ansätze werden einige der feministischen bzw. geschlechtsbezogenen Theoriealternativen vorgestellt. Ein Schwerpunkt meines Beitrags liegt auf dem politischen Ansatz der Organisationsforschung, insbesondere dem Konzept der Mikropolitik. Dieses Konzept soll auch im Mittelpunkt unserer Diskussion stehen, da es zur Analyse der Geschlechterpolitik in Organisationen und damit auch zur Entwicklung von gleichstellungspolitischen Strategien besonders viele Anregungen bietet.

Der Beitrag gliedert sich in vier Abschnitte:
1. Die Geschlechtsblindheit der Organisationsforschung
2. Die Organisationsblindheit der Frauenforschung
3. Ergebnisse geschlechtsbezogener und feministischer Organisationsforschung
4. Geschlechterpolitik als Mikropolitik in Organisationen

1.
Die Geschlechtsblindheit der Organisationsforschung
"Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanismus verhält sich ...wie eine Maschine zu den nicht mechanischen Arten der Gütererzeugung"...." Die rein bürokratische ...Verwaltung ist nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffreiheit und Verläßlichkeit, also Berechenbarkeit für den Herrn (die) ... rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommnenbare, formal rationalste Form der Herrschaftsausübung."
Dies schreibt der erste soziologische Organisationstheoretiker Max Weber 1921 in seiner Bürokratietheorie (1980, S. 56 und 128). An diesem Zitat läßt sich ersehen, wie stark die Vorstellung von Organisationen von Anfang an von instrumenteller Rationalität geprägt war. Der Begriff "Organisation"leitet sich etymologisch aus dem altgriechischen Wort "organon", d.h. das Werkzeug, ab. Entsprechend bestimmte die Idee, daß eine perfekte Organisation wie eine Maschine funktionieren müsse, die Realität von Organisationen bis weit in die 50er und 60er Jahre. Zentrales Erkenntnisinteresse war die Frage, wie große Organisationen ein selbstgesetztes Ziel (z.B. Gewinn erzielen, ein Gemeinwesen verwalten) möglichst effektiv erreichen können. Den in Organisationen handelnden Akteuren kam entsprechend die Funktion von Rädchen im Getriebe zu. Bereits bei Weber wurde die unmittelbare Verknüpfung von Organisation und Herrschaft thematisiert. Die arbeitenden Menschen sollten nach dem Vorbild des Militärs dem Ziel eines effizienten Organisationsaufbaus und Arbeitsablaufs in optimaler Weise angepaßt werden. Vom Geschlecht oder anderen individuellen und soziokulturellen Merkmalen wurde dabei systematisch abstrahiert.

Dieser wissenschaftlich rationale Blick auf Organisationen spiegelt die seit der Industrialisierung erzwungene Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem, Persönlichem und Politischen wider. Ebenso die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Haus- und Familienarbeit. So betrachten auch so fortschrittliche Untersuchungen wie die Hawthorne Studies aus den späten 20er Jahren und die daran anschließende Human-Relation-Bewegung arbeitende Menschen und Arbeitsbeziehungen ohne Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Diese "Geschlechtsblindheit der Organisationsforschung" (Mills und Tancred 1992)setzt sich nach dem zweiten Weltkrieg in kontingenztheoretischen Ansätzen fort. Das Idealbild der abstrakten Arbeitskraft in einer perfekten Organisationsmaschine bekommt allerdings erste Risse: Es wird festgestellt, daß bürokratische Organisationen am ehesten in relativ stabilen Umgebungen florieren, während in dynamischen Umgebungen mehr interne Flexibilität erforderlich ist. Hierzu sind gut ausgebildete und relativ selbständige Mitglieder und flexible, dynamische Organisationen nötig. Solche Erfordernisse verlangen auch neue Leitbilder: Die Maschinenmetapher wird durch die Organismusmetapher abgelöst. Gleichzeitig werden die Annahmen über Rationalität und Instrumentalität von Organisationen immer mehr infragegestellt.
Inzwischen hat sich eine Perspektive durchgesetzt, die von einer prinzipiell begrenzten Rationalität des Menschen (Simon 1957) und einer gewissen Zufälligkeit (Kontingenz) und Anarchie bei Entscheidungsverläufen ausgeht (March und Olsen 1976). Organisationen werden heute nicht mehr als autonome Apparate mit einer objektiv rationalen Struktur beschrieben, sondern eher als lebensweltlich konstituierte Sozialsysteme mit spezifischen Kulturen und Subkulturen. Durch die Analyse subjektiver Dimensionen und sozialer Interaktionsprozesse mit den jeweils zugrundeliegenden unterschiedlichen Interessen, Regeln, Ritualen und Machtspielen erscheinen Organisationen heute vielfältig, widersprüchlich und konfliktbeladen - kurz: genauso wie die Wirklichkeit außerhalb (vgl. u.a. Türk 1989). Aber auch diese Weiterentwicklungen der Organisationsforschung führten zumindest in Deutschland nicht dazu, daß die Dimension Geschlecht, aber auch die damit eng verknüpften Aspekte Sexualität und Emotionen analytisch systematisch Beachtung gefunden hätten. Die Geschlechtsblindheit bildet bis heute eine auffällige Konstante des "main streams" der soziologischen Organisationsforschung (vgl. Rastetter 1994, Riegraf 1996, Lange 1998).
Zusammenfassend läßt sich das Fazit ziehen: Es gibt inzwischen allgemeine organisationstheoretische Ansätze, die sich zur Analyse der Produktion und Reproduktion von asymmetrischen Geschlechterverhältnissen in Organisationen nutzen lassen, systematisch mitgedacht wird die Geschlechterdimension nicht. Der"male bias", die geschlechtsspezifsch beschränkte, "männliche" Verzerrung der Wirklichkeit besteht bei verschärftem Blick auf die Feinstrukturen von Organisationen weiter. Vor blinden Flecken ist jedoch auch eine frauenbezogene Analyse nicht gefeit, wie der nächste Punkt zeigen wird.

2.
Die Organisationsblindheit der Frauenforschung
Parallel zum geringen Interesse der Organisationsforschung an Fragestellungen und Ergebnissen der Frauenforschung findet sich in der Frauenforschung hinsichtlich der Wahrnehmung und Untersuchung organisationstheoretischer Fragen eine Leerstelle. Bis in die 80er Jahre hinein konzentrieren sich feministische Ansätze auf die Analyse geschlechtsspezifischer Diskriminierung in bezahlten und unbezahlten Arbeitsprozessen auf gesellschaftlicher Makroebene. Organisationen werden als funktionale Instanzen der Reproduktion der Frauenunterdrückung betrachtet, die lediglich deterministisch gesellschaftliche Strukturbedingungen reflektieren. In den Diskussionen der Frauenforschung führt diese, auch in der Industriesoziologie verbreitete Perspektive dazu, daß kaum eigenständige Handlungs- und Gestaltungsspielräume in Organisationen zur Herstellung oder zum Abbau geschlechtsspezifscher Diskriminierungen angenommen werden. Hier bestätigt sich die einfache Regel "man sieht nur, was man weiß" eben auch in der Forschung: Was theoretisch nicht für möglich gehalten wird, kann auch empirisch nur schwer entdeckt werden. Diese ebenfalls verengte Sicht auf Organisationen hatte zur Folge, daß zwar die Folgen organisationsinterner Prozesse - nämlich Frauendiskriminierung - untersucht wurden, nicht aber die Prozesse selbst. Dies hat sich im Laufe der 80er Jahre geändert. Allerdings hatte es auch schon vorher feministische Analysen gegeben, die vom "mainstream" der scientific community und eben auch der Frauenforschung abwichen.

3.
Ergebnisse geschlechtsbezogener und feministischer Organisationsforschung
Die feministische Auseinandersetzung mit Ergebnissen der Organisationsforschung beginnt mit einem erstmals 1974 erschienenen Aufsatz von Joan Acker und Donald van Houten (Acker & van Houten 1992), in dem die Ergebnisse der Hawthorne Studies (Roethlisberger & Dickson 1939) und die Bürokratie-Analysen des französischen Soziologen und Machtforschers Michel Crozier kritisiert und reinterpretiert werden. In der bereits klassischen Studie "Men and Women of the Corporation" von Rosabeth Moss Kanter (1977) wird ebenfalls schon in den 70er Jahren die geschlechtsspezifische Segmentation in Organisationen analysiert. Kanters Positionen sollen hier kurz skizziert werden, weil sie ein wesentlicher Ausgangspunkt feministischer Organisationsanalysen sind. Kanter geht in Anlehnung an Weber davon aus, daß der formale Aufbau von Organisationen ausschließlich zweckorientiert und unabhängig von gesellschaftlich zugeschriebenen Eigenschaften der Funktionsträger - also auch unabhängig vom Geschlecht - erfolgt. Machtpotentiale lokalisiert sie wie Weber in der formalen Hierarchie von Organisationen. Kanter postuliert, daß es keine unabänderlichen geschlechtstypischen Verhaltensweisen und Orientierungen in Organisationen gibt, sondern nur unterschiedliche Verteilungen von Machtpotentialen, die tendenziell unabhängig vom Geschlecht der PositionsinhaberInnen sind. Frauen verfügen über weniger Macht als Männer, weil sie sich in der Regel auf unteren betrieblichen Positionen befinden. Die Ausgrenzung von formal gleich qualifizierten Frauen aus prestigeträchtigen Positionen betrachtet Kanter als überholtes Relikt patriarchaler Gesellschaftsstrukturen, welche informell als geschlechts- und tätigkeitsspezifische Rollenstereotype weiterbestehen. Sie nimmt an, daß überholte patrimoniale Elemente im Zuge notwendiger Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse verdrängt werden, so daß eine Vergrößerung des Frauenanteils in untypischen Tätigkeitsbereichen und eine Auflösung von Rollenbildern zur Aufhebung geschlechtsspezifischer Diskriminierung in Organisationen führen wird. Die kritische Schwelle für eine Integration von Frauen vermutet sie bei 15 Prozent. Kanters Credo lautet (1977, 9) "What looks like sex differences may really be power differences". Damit wurde sie zu einer frühen Protagonistin betrieblicher Gleichstellungspolitik.

In Auseinandersetzung mit den Ergebnissen Kanters entstehen in den 80er Jahren eine Reihe von theoretischen und empirischen Arbeiten zum Thema Geschlecht und Organisation. Diese Studien stützen sich auf andere, nämlich strukturalistische Machttheorien und kommen auf dieser Basis zu anderen gleichstellungspolitischen Schlüssen. Im Zentrum stehen wiederum die Dimensionen Macht und Rationalität. Hier sollen einige Untersuchungen exemplarisch skizziert werden:

Kathy Ferguson analysiert in ihrem Buch "The Feminist Case against Bürocracy" (1984) bürokratische Organisationen als Verkörperungen männlicher Dominanz. Machttheoretisch an Foucault orientiert untersucht sie Rationalität, Regeln und interne Prozesse bürokratischer Organisationen als männliche Diskurse. Damit wird die männliche Dominanz zum konstitutiven Element der Organisationsstruktur und zwar unabhängig von der formalen Hierarchie. Nach Ferguson durchdringt der dominante Diskurs des männlichen Geschlechts Organisationen so grundlegend, daß eine Integration von Frauen mit anderen Stimmen, sie meint damit Einstellungen, Werte und Interessen, daran nichts ändern könnte. Ihrer Ansicht nach ist Parität nur in Frauenorganisationen möglich.

Rosemary Pringle erforscht in ihrer Studie "Secretaries Talk" (1988)ähnlich wie Kanter die Beziehung zwischen Sekretärinnen und Managern, kommt aber mit ebenfalls diskursanalytischem Ansatz zu völlig anderen Ergebnissen. Das Chef-Sekretärinnen-Verhältnis betrachtet Pringle als Idealtypus für alle geschlechtsspezifisch strukturierten Arbeitsbeziehungen. Sie geht davon aus, daß die Rationalität in Organisationen auf einer asymmetrischen heterosexuellen Konstruktion von Arbeitsplatzbeziehungen gründet. Allerdings verfügten auch die weiblichen Beschäftigten über Machtpotentiale, die sie in verschiedenen Formen des Widerstandes nutzen und vergrößern könnten. Die geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse in Organisationen beruhen nach Pringle auf einer Vielzahl sozialer Diskurse, die Sekretärinnen und damit auch alle anderen weiblichen Beschäftigten ausschließlich im Rahmen familiärer und sexueller Rollenmuster, als Büro-Ehefrau, -Geliebte, -Mutter oder -Tochter definieren. Die Trennung zwischen formaler Organisationsrationalität und informeller irrationaler Organisationswirklichkeit ist somit aufgehoben. Dies stellt zentrale Annahmen über die Rationalität von Organisationen infrage. Pringle kritisiert Ansätze zur betrieblichen Gleichstellung von Frauen nicht so grundsätzlich wie Ferguson, sondern sie fordert aufgrund ihrer Forschungsergebnisse, die Perspektiven von Gleichstellungspolitik zu erweitern. Gleichstellungspolitik müsse auch die familiären und sexuellen Bestandteile von Arbeitsbeziehungen einbeziehen.

Als weitere diskurstheoretische Studie möchte ich noch die sehr differenzierte Untersuchung von Cynthia Cockburn (1991) vorstellen, die in Deutschland unter dem Titel"Blockierte Frauenwege. Wie Männer Gleichheit in Institutionen und Betrieben verweigern"veröffentlicht worden ist. Hier geht es explizit um Geschlechterpolitik. Cockburn vollzieht nach, wie Gleichstellungsprogramme in Behörden und Betrieben unter den Bedingungen männlicher Hegemonie umgesetzt werden. Dabei stützt sie sich auf das von Gramsci entwickelte Konzept der Hegemonie als kulturelle Herrschaft. Sie analysiert männliche Widerstandsstrategien ebenso wie die - seltenen - Formen männlicher Unterstützung für Gleichstellungsinitiativen und zeigt damit die Spielräume für Gleichstellungspolitik in Großbritannien Ende der 80er Jahre auf. Cockburn weist überzeugend nach, daß männliche Hegemonie instrumentelle, aber auch identitätsstabilisierende Funktionen hat. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die immer wieder neu hergestellten Segregationen: Grenzziehungen zwischen (untergeordneten) Arbeitsbereichen von Frauen und (höher bewerteten) Aufgabenfeldern von Männern.

Joan Acker entwickelt Anfang der 90er Jahre (1991 und 92) fünf Thesen für eine Theorie geschlechtlich strukturierter Organisationsprozesse (gendered   organizational processes):

1. Entlang der Geschlechtergrenze in Organisationen werden Trennungen vollzogen.
2. Diese Trennungen werden durch Symbole und Bilder repräsentiert und reproduziert.
3. Interaktionen zwischen Geschlechtern (re)produzieren geschlechtsbezogene soziale Strukturen in Organisationen.
4. Die geschlechtsbezogene Organisationsstruktur und die Regeln des geschlechtsgerechten Verhaltens in der Organisation werden verinnerlicht.
5. Grundannahmen, Praktiken, soziale Strukturen und Prozesse, die der Arbeitsorganisation zugrunde liegen, basieren auf geschlechtsbezogenen Vorstellungen, Wertungen und Haltungen.
Diese Thesen skizzieren meines Erachtens den mittlerweile erreichten Grundkonsens der geschlechtsbezogenen Organisationsforschung und sind in der Frauen- und Geschlechterforschung auch empirisch gut bestätigt. Differenzen bestehen allerdings hinsichtlich der makro- oder mikrotheoretischen Instrumente, mit denen diese Strukturen und Prozesse erfaßt werden.

Aus der Vielzahl weiterer theoretischer und empirischer Studien der Geschlechter- und Frauenforschung über organisationale Geschlechterverhältnisse möchte ich zwei für mich besonders interessante Ergebnisse herausgreifen:
Es ist inzwischen von vielen Forschungsgruppen nachgewiesen, daß Segregationen - Abgrenzungen - zwischen weiblichen und männlichen Arbeitsfeldern auch bei veränderten Geschlechterverhältnissen und auch unter den Bedingungen expliziter Gleichstellungspolitik immer wieder neu hergestellt werden und zwar in stärkerem Maße von Männern. Männer als Minderheit in Frauenarbeitsbereichen (zum Beispiel in der Krankenpflege, siehe Heintz et al. 1997) werden von Frauen eher integriert als umgekehrt. Bei gleichen geschlechtsspezifischen Beschäftigungsanteilen entstehen subtile Abgrenzungen von Frauen- und Männerarbeit. Die Erfahrungen von Frauen in der Minderheit dürften hinlänglich bekannt sein. Hierzu gibt es eine Reihe von Erklärungen, u. a. die Theorie vom Management als Männerbund (vgl. Rastetter 1994). Unabhängig von allen theoretischen Erklärungsmöglichkeiten bestätigt sich jedoch die Doppelfunktion der bestehenen Geschlechterhierarchie: Männliche Hegemonie hat für heterosexuelle Männer instrumentelle, dominanz- und identitätserhaltende Funktionen. Und darüber hinaus: Gleichheit im Sinne einer identischen, möglicherweise auch demokratisch ausgehandelten Verteilung von Arbeitsbereichen zwischen Männern und Frauen entsteht unter den gegebenen geschlechtshierarchischen Strukturbedingungen auch bei gleichen Beschäftigtenanteilen (je 50 Prozent Männer und Frauen) nicht. Auch die Gleichwertigkeit von Arbeitsbereichen im Sinne von gleicher Bezahlung und gleichen Entwicklungschancen wird immer wieder unterlaufen.

Noch ein weiterer Befund über den langen Weg zur betrieblichen Gleichstellung erscheint mir wesentlich: Die von Kanter angenommene prozentuale Schwelle von 15 Prozent für die Integration, bzw. einer Veränderung der Minderheitenrolle von Frauen als "token" ist mittlerweile widerlegt. Auch bei Frauenanteilen von 40 Prozent scheint Integration noch nicht gewährleistet zu sein. Dies ergibt sich aus einer international vergleichenden Untersuchung von Symphonieorchestern von Jutta Allmendinger und Richard Hackman (1994), die ein Phasenmodell mit drei Stadien der Integration entwickeln:

Phase 1:
Die homogene Organisation: Frauen sind vereinzelt in der Minderheit. Das
Organisationsmilieu ist individualisiert und kollegial, individuelle Sicherheit basierend auf Anpassung ist vorhanden.
Phase 2:
Der Frauenanteil liegt zwischen 12 und 48 Prozent: Es finden sich
Geschlechterpolarisierungen, Turbulenzen, Unsicherheit, Konflikte und Desintegration. Die Funktionsfähigkeit der Organisation in dieser "shake-up"-Phase ist suboptimal.
Phase 3:
Der Frauenanteil liegt bei 50 Prozent, es besteht also reale Geschlechterparität. Dieses neue Organisationsmilieu ist gekennzeichnet durch gegenseitigen Respekt und Akzeptanz von Unterschieden, allerdings anders als Phase 1, mit weniger individueller Sicherheit und höherer Flexibilität.
Aus diesem teilweise sicher spekulativen Phasenmodell läßt sich ableiten: Die relative Verbesserung der Chancen in Arbeitsbereichen mit Frauenanteilen zwischen 12 und 50 Prozent wird für unabsehbare Zeit mit den Turbulenzen und Konflikten einer Polarisierungsphase verbunden sein. Bei diesen "Aussichten" möchte ich abschließend einen organisationstheoretischen Ansatz vorstellen, der mir zur Analyse von Geschlechterverhältnissen, aber auch zur strategischen Umsetzung von Gleichstellungspolitik besonders fruchtbar erscheint.

4.
Geschlechterpolitik als Mikropolitik in Organisationen
Gleichstellungsinitiativen in Organisationen beginnen oft mit ähnlichen Fragen: Welche Spielräume für Gleichstellungspolitik gibt es in unserem Betrieb? Mit welchen Widerständen ist zu rechnen? Wer könnte uns unterstützen?
Solche Fragen setzen implizit ein pluralistisches Modell von Organisationen voraus. Diese Vorstellung wurde in theoretischen Ansätzen über "organizational politics" differenziert ausgearbeitet. Organisationen werden hier als System teils konkurrierender, teils koalierender Einzelpersonen, Interessengruppierungen oder Organisationseinheiten aufgefasst. Ein vermeintlich objektives Sachproblem wird in Wirklichkeit durch verschiedene subjektive Problemsichten und Interessen strukturiert und ausgeformt.

Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in Organisationen sind unter dieser Perspektive immer interessengeleitet und in diesem Sinne politisch. Voraussetzungen für und gleichzeitig Bestandteile von Politik sind die vorhandenen Ressourcen (z.B. formale Entscheidungskompetenzen und Finanzbudgets, aber auch informelle Kontakte, Expertenwissen, Status), die darauf gerichteten Interessen und die bei Ressourcenknappheit auftretenden Konflikte bei der Realisierung dieser Interessen. An solchen pluralistischen Entscheidungsmodellen wird kritisiert, daß sie Machtungleichgewichte in Organisationen nicht berücksichtigen. Crozier und Friedberg versuchen in ihrer"Strategischen Organisationsanalyse" (1979) strukturelle Rahmenbedingungen durch die (allerdings wenig präzisierten) Konzepte Spiele und Spielregeln einzubeziehen. Aus Sicht der "Strategischen Organisationsanalyse" sind alle Arbeitsbeziehungen auch Machtbeziehungen. Macht wird handlungstheoretisch definiert als Kompetenz, die zur Kontrolle relevanter Unsicherheitszonen eingesetzt oder eben verweigert werden kann. Macht in Organisationen ist demzufolge an Ressourcen geknüpft, von denen andere abhängig sind. Sie ist nicht allein an formale Hierarchien gebunden. Daraus läßt sich ableiten, daß die tatsächliche Macht eines Organisationsmitglieds nicht der formalen Hierarchie entspricht, daß es keine oder kaum Machtgleichheit gibt und daß Machtausübung auch in untergeordneten Positionen möglich ist. Demnach ist gegen die formale Macht sicherlich kaum etwas auszurichten, formale Macht allein kann jedoch auch nur wenig bewirken. Dabei besteht jedoch die Gefahr, daß sich das Bild von organisatorischen Entscheidungen vollständig in Machtspiele zwischen verschiedenen betrieblichen Akteuren auflöst. Abstrahiert man nicht mehr vom Geschlecht dieser Akteure erscheint die Organisation dann als Spielwiese für Herrenclubs. Auch wenn es in Einzelfällen so aussehen mag - eine theoretisch befriedigende Perspektive ist das noch nicht.

Ortmann u. a. erweitern in ihren Untersuchungen über Mikropolitik die Konzeption von Crozier und Friedberg um die - die Kategorie "Geschlecht" nicht berücksichtigende - Sozialtheorie von Giddens. "Mikropolitik" bezeichnet die "Innenpolitik" (Ortmann 1988, S.18) einer Organisation. Mit den Kategorien Regeln und Ressourcen werden Strukturdimensionen und damit auch Dimensionen von Herrschaft eingeführt, die der Mikropolitik Grenzen setzen. Ortmann versucht, diese Dimensionen mit Hilfe der Kategorien Leitbilder, Handlungskorridore und Hierarchien zu konkretisieren. Das Bild eines Korridors soll veranschaulichen, daß es im Laufe von Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen zu einer zunehmenden Einengung von Handlungsspielräumen kommt. Man kann sich das anhand eines konkreten Problems folgendermaßen vorstellen: Ein Problem wird aufgegriffen und in einem mehrphasigen Zyklus immer weiter strukturiert und definiert, bis in mehr oder weniger formalisierten Verhandlungen Entscheidungen getroffen werden können. Parallel zu dieser offiziellen Strukturierung werden mikropolitische Aktivitäten verfolgt, um den Entscheidungsverlauf im eigenen Sinne zu beeinflussen. Nach Beendigung der Aushandlungs- und Entscheidungsphase öffnet sich der Korridor wieder. Offizielle und informelle Ergebnisse werden in der Organisation aufgenommen, verarbeitet und interpretiert. Und damit beginnt bereits der nächste Verhandlungszyklus.

Riegraf (1996) nutzt in ihrer Untersuchung "Geschlecht und Mikropolitik. Das Beispiel betrieblicher Gleichstellung"den mikropolitischen Ansatz zu einer theoretischen und empirischen Analyse der Implementierung betrieblicher Gleichstellungsvorhaben. Dieser erweist sich trotz der konstatierten Geschlechtsblindheit als durchaus anschlußfähig. Riegraf stellt differenziert dar, daß die geschlechtsspezifische Segregation der Beschäftigten zu unterschiedlichen "Zugängen"in betrieblichen Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen führt. Der unterschiedliche Zugang bestimmt auch die jeweiligen Koalitionsmöglichkeiten. Leitbilder, Hierarchien und Handlungskorridore sind nicht neutral, sondern bilden geschlechtsspezifisch unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Durchsetzung betrieblicher Gleichstellungsmaßnahmen. Zur Systematisierung der Entwicklung, Ausgestaltung und Einführung von betrieblichen Gleichstellungsmaßnahmen entwirft Riegraf einen in neun Phasen differenzierten idealtypischen Zyklus. Diesen Zyklus betrachtet sie als langfristigen iterativen Problemlösungsprozess, bei dem in jeder Phase konfliktive und konsensbildende Entscheidungsprozesse stattfinden. Innerhalb dieser Prozesse müssen, sofern die Beteiligten dazu bereit sind, immer wieder gemeinsame gleichstellungspolitische Problemdefinitionen und Handlungsoptionen ausgehandelt werden.

In eigenen Veröffentlichungen zur Geschlechterpolitik in Organisationen und Mikropolitik der betrieblichen Gleichstellung stütze ich mich auf Ergebnisse aus der Gruppen-, Konflikt- und Verhandlungsforschung ebenso wie auf mikropolitische Theorien. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf der Mikroebene der Interaktion der Geschlechter. Die mikropolitische Betrachtungsweise schätze ich sowohl theoretisch als auch empirisch als sehr fruchtbar ein. Sie gibt Determinismen aller Art zugunsten einer sehr konkreten Situations- und Interessenanalyse auf. Diese Analyse läßt sich strategisch, auch im Sinne einer geplanten Organisationsentwicklung, nutzen: Wenn es den ProtagonistInnen betrieblicher Gleichstellung gelingt, die in ihrem konreten Fall jeweils bestehenden organisationalen Handlungs- und Interessenkonstellationen mit ihren Akzeptanz- und Widerstandspotentialen einigermaßen zu durchschauen, haben sie die beste Grundlage für die Planung eigener Handlungsschritte. Politische AkteurInnen können davon ausgehen, daß Machtkompetenzen immer unscharf sind und Vorgesetzte zur Erreichung ihrer Ziele auf Verhandlungen und Tauschgeschäfte mit Untergebenen angewiesen sind. Organisationale Veränderungen zur Verbesserung der betrieblichen Gleichstellung von Frauen sind selbst bei Unterstützung durchs Management am ehesten durch gute Tauschgeschäfte zu erreichen, von denen alle Beteiligten profitieren. Dabei empfiehlt es sich, eine "konfliktfähige Konsensstrategie"(Jüngling 1999, siehe auch Riegraf 1996) zu verfolgen und nach Lösungen zu suchen, bei denen alle - also Frauen und Männer - profitieren. Eine zentrale Regel lautet: "Es darf keine Verlierer geben"(Rudolph & Grüning 1994).
Die Forschungsergebnisse zeigen, daß auf der Mikroebene der direkten Interaktion Konfliktfähigkeit gefordert ist, während bei der strategischen Planung und Umsetzung von Gleichstellungspolitik die Orientierung am Konsens der Beteiligten unerläßlich scheint. Und damit wären wir wieder am Anfang: bei den Rätseln, der nötigen Geduld und Detektivarbeit, um der männlichen Subjektivität, und unter den gegebenen Machtverhältnissen teilweise sicher auch Willkür, etwas Eigenes entgegenzusetzen, wobei dann für beide Geschlechter etwas Neues entstehen kann.
 

Literatur

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Allmendinger, Jutta, Hackman, Richard J. (1994): Akzeptanz oder Abwehr? Die Integration von Frauen in professionelle Organisationen. In Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 46, Heft 2, 238-258

Cockburn, Cynthia (1993): Blockierte Frauenwege. Wie Männer Gleichheit in Institutionen und Betrieben verweigern. Hamburg

Crozier, Michel, Friedberg, Erhard (1979). Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns. Königstein

Ferguson, Kathy E. (1984): The Feminist Case Against Bureaucracy. Philadelphia

Heintz, Bettina, Nadai, Eva, Fischer, Regula, Ummel, Hannes (1997): Ungleich unter Gleichen. Studien zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes. Frankfurt a. M., New York

Jüngling, Christiane (1992): Geschlechterpolitik in Organisationen. Machtspiele um Chancengleichheit bei ungleichen Bedingungen und männlichen Spielregeln; in Gertraude Krell, Margit Osterloh (Hrsg.): Personalpolitik aus der Sicht von Frauen. Was kann die Personalforschung von der Frauenforschung lernen? München und Mering, 173-205

Jüngling, Christiane (1995): Politik, Macht und Entscheidungen in Projektgruppen. Entscheidungsprozesse über Frauenförderung und Personalbeurteilung - Eine Analyse. Münster

Jüngling, Christiane (1998): Strategien der Implementierung von Gleichstellungsmaßnahmen; in: Gertraude Krell (Hrsg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik. Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen und Verwaltungen. 2. Auflage, Wiesbaden, 83-91

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Neuberger, Oswald (1995): Mikropolitik. Der alltägliche Aufbau und Einsatz von Macht in Organisationen. Stuttgart

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Weick, Karl E. (1985). Der Prozeß des Organisierens. Frankfurt a. M.