Die Welt der BürgerInnennetze
Zum Hintergrund und zur gesellschaftlichen Bedeutung von BürgerInnennetzen.
Hemmnisse und Perspektiven
Von Bernhard Albert
Nicht jedeR wird klar sein, daß Netze wie das /CL, das Computernetzwerk Linksysteme nichts oder nur wenig mit dem allgegenwärtigen Internet zu tun haben. Es werden dort aber Nachrichten, Antworten darauf und private Mitteilungen ebenso verbreitet, wie das bei den Internet-Diensten Mail und News der Fall ist. Und zahlreiche /CL-Systeme bieten auch das UseNet oder Teile davon an. Doch trotzt technischer Kompatibilität und zeitweiligem Auftauchen auf Newsservern ist das Computernetzwerk Linksysteme /CL strukturell unabhängig vom Internet. Es existierte schon zu Zeiten als das Internet hier noch in weiter Ferne schien.
Das /CL-Netz besteht derzeit aus über 300 Einwahlrechnern - Mitgliedssysteme, die technisch betrachtet über Telefonleitungen miteinander Daten austauschen. Es wird von vielen tausend TeilnehmerInnen überwiegend aus Deutschland, der Schweiz und Österreich genutzt. Unter TeilnehmerInnen werden auch Gruppen und Organisationen verstanden. Die Anfänge des /CL liegen im Jahr 1987, seit 1991 existiert es unter seinem jetzigen Namen (vgl. den Beitrag von Hooffacker in diesem Band).
Seit März 1997 verfügt das /CL über eine demokratisch von den /CL-TeilnehmerInnen beschlossene Charta, die die gemeinsame Basis der Beteiligten dokumentiert.
Die Charta, die sich teilweise an die Charta des weltweit arbeitenden /APC-Netzwerks anlehnt, legt fest, daß das /CL ein Zusammenschluß von Menschen ist, die [...] für Menschenrechte, soziale Sicherheit,
Selbstbestimmung, Emanzipation und ihre Umwelt kämpfen und dafür Öffentlichkeit schaffen [...] Die BetreiberInnen der /CL-Systeme wollen Menschen befähigen, sich gegenseitig über ihre verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ziele frei zu informieren und in einer konstruktiven Atmosphäre miteinander darüber zu diskutieren. Das /CL ist ein Netz, in dem die TeilnehmerInnen gemeinsam entscheiden und das sie gemeinsam weiterentwickeln." (aus der Charta des /CL).
Zur Entstehung und Struktur fortschrittlicher BürgerInnennetze
Zu Zeiten von Protestbewegung gibt es eine Dynamik, die zu Interesse an breitem Austausch zwischen den daran beteiligten Menschen und Gruppen führt. Zudem wissen viele der AkteurInnen, daß durch ein mehr an Information bessere Arbeit zu leisten ist, und das nicht jede Gruppe das Rad neu erfinden muß. Durch gemeinsame Aktivitäten und gemeinsame politische Schwerpunkte entsteht, neben dem Interesse andere Menschen über die eigene Arbeit zu informieren, das Interesse zu sehen, was andere dazu geschrieben oder entwickelt haben - und sei es im negativsten Fall, um sich davon abzugrenzen. Dafür ist kein Medium geeigneter als ein Netz wie das /CL - eine thematisch strukturierte Sammlung von Foren, in denen sowohl die Möglichkeit zur Publikation eigener Texte, Fragen und Gedanken besteht, als auch die zur öffentlichen Auseinandersetzung.
Es unterscheidet sich von der breiteren Öffentlichkeitsarbeit durch seine Eingrenzung auf Menschen, die sich in politischen und sozialen Bewegungen, Gruppen und Organisationen engagieren oder sich für diese besonders interessieren. Damit besteht die Möglichkeit, die eigenen
Positionen vor und begleitend zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Gleich- oder Ähnlichgesinnten weiter zu entwickeln und neue Positionen aus dem fortschrittlichen Spektrum kennenzulernen und zu diskutieren.
Das /CL ist historisch und soziologisch betrachtet Ausdruck der auslaufenden Neuen Sozialen Bewegungen und insbesondere der zunehmenden Professionalisierung ihrer AkteurInnen zu verdanken. Zentral ist dabei die Aufrechterhaltung demokratischer und im positivsten Sinne liberaler Positionen, und die Vorstellung einer notwendigen und mittels elektronischer Kommunikation zu realisierenden Demokratisierung im Bereich Medien, Information und Kommunikation. Damit ist das /CL per Selbstdefinition etwas, das in Bewegung bleiben muß und nicht zu einem reinen Publikationsorgan werden darf.
Leider ist in den letzten Jahren aber festzustellen, daß es dennoch mehr und mehr zur Einwegkommunikation kommt. Damit wird aus einem lebendigen Netz ein bunt zusammengewürfeltes thematisch gegliedertes Magazin und das /CL kann seine Hauptaufgabe, den offenen Austausch, nicht mehr in hinreichendem Maß erfüllen.
Warum ist das so? Hier stellen sich eine Menge Fragen:
Wird es nur mehr von einem Inner-Circle benutzt, der sich die Offenheit auf Grund eigener fehlender struktureller Offenheit nicht bewahren konnte? Enthalten skurrile oder technikzentrierte Diskussionen über das Netz und die Nutzung des Netzes ein Moment des Ausschlusses? Unterschätzen viele die eigene Kompetenz und glauben nicht mithalten zu können? Oder ist es das Auftreten einiger Sonderlinge, die es überall gibt, wo es Freiräume gibt? Oder lassen sich Menschen durch ihre Isolierung vorm Computer ohne ein ihnen persönlich bekanntes Gegenüber davon abhalten sich zu äußern?
Ist die häufig vermißten Auseinandersetzung zu eigenen Beiträgen Grund für Frustration und Rückzug? Sind fehlende Beiträge zum eigenen Kernthema und die geringe Bereitschaft, die Diskussion selbst anzustoßen, also ein unbefriedigtes Konsumbedürfnis, Grund für das Stillhalten vieler TeilnehmerInnen?
Gibt es vielleicht gar kein Interesse mehr sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen? Sind Gleichgesinnte außerhalb des eigenen auch räumlich eng angelegten Kreises nicht mehr von Bedeutung? Gibt es kein Interesse mehr an Zusammenarbeit?
Ist der Umgang mit technischen Strukturen und der Vielfalt an unterschiedlichen Medien für neue potentielle TeilnehmerInnen so komplex geworden, daß sie den Zugang zu für sie hoch signifikanter Information gar nicht mehr finden? So daß sie u.U. hoffnungslos isoliert ihr eigenes Angebot auf verstreuten HTML-Seiten ablegen, in der irrigen Hoffnung wahrgenommen zu werden. Und daß sie und nach Gleichgesinnten und brauchbaren Informationen mit Suchmaschinen fahnden, die viel ausspucken, aber allzu oft nicht weiterhelfen?
Es wird von allem etwas sein. Also muß erst einmal die Frage gestellt werden, ob es heute noch ein BürgerInnennetz braucht, das aufgebaut und strukturiert ist wie das /CL - ich bin der Überzeugung, daß es so ist. Gerade in Zeiten knapper finanzieller und zeitlicher Möglichkeiten und
wachsender Desintegration braucht es eine stabile Struktur mit mannigfaltigen Synergie-Effekten, die offen ist, um auch neue Entwicklungen aufzunehmen und weiterzutragen.
Daraus ergibt sich die Frage: was ist konstitutiv für ein solches Netz? Konstitutiv ist meines Erachtens die Offenheit gegenüber allen Initiativen und Einzelpersonen, die wissen, was das /CL ist, und die sich bewußt entscheiden es zu nutzen und hinter seinem Konzept stehen können und wollen.
Es braucht kein /CL als Informationsdienst, der zu seiner Rettung von Redaktionsgruppen oder Medienfachleuten zugerichtet und aufbereitet wird und somit allenfalls als Alternative zu Presseorganen verstanden werden kann. Doch gibt es einige, die sich die Weiterentwicklung so vorstellen.
Es braucht auch kein /CL, das ohne Spielregeln und Strukturen frei verfügbar ist und in dem die Auseinandersetzungen maßgeblich mit politischen Gegnern und nicht mehr innerhalb fortschrittlicher Kreise im Sinne der /CL-Charta weiterentwickelt werden, was andere wollen.
Wir müssen es uns leisten, eine offene Informationsstruktur zu erhalten, die über die ganze Republik und darüber hinaus zu empfangen und doch so begrenzt ist, daß vor allem die Menschen dort Informationen einspeisen und entnehmen, die politisch und sozial aktiv und engagiert sind und sich ohne Bauchschmerzen auf einen Grundkonsens, wie ihn die /CL-Charta darstellt, verpflichten können.
Damit das so sein kann, muß es aber für alle zugänglich sein und immer wieder breit bekannt gemacht werden. Es bedarf kontinuierlicher professioneller Betreuung, bedarf Vermittlung technischen Know-Hows und womöglich ganz konkreter Hilfen bei der Aufbereitung von Information. Es werden AnsprechpartnerInnen benötigt, die bei Bedarf rasch zur Verfügung stehen. Alles Dinge, die einzelne Mailboxen mit ehrenamtlichen BetreuerInnen allein offensichtlich kaum mehr leisten können, wie man am Schwinden von Mailboxen und anderen Systemen, die BürgerInnennetze anbieten und betreuen ebenso sehen kann wie an der zunehmenden Überlastung ihrer BetreiberInnen. Im Münchner Raum wird eine solche Betreuung u.a. durch den Verein KuNM sichergestellt, der zum Glück auf unterschiedliche strukturelle und finanzielle Ressourcen zurückgreifen kann - wo keine solche Struktur existiert, steht der Service auf tönernen Füßen. Ohne eine stimmige Finanzierung scheint auf Dauer nicht zu leisten, was in Zeiten größerer und breiter getragener politischer und sozialer Aktivitäten wenig problematisch war.
Zur finanziellen Absicherung können - sicher nicht nur, aber auch - die TeilnehmerInnen einen Beitrag leisten. Keinesfalls darf sich ein Bürgerrechtsnetz wie das /CL von zweifelhaften SponsorInnen abhängig machen. Und doch muß die Frage gestellt werden: Wer kann und will sich in unserer Gesellschaft ein solch offenes politisch und sozial orientiertes Netzwerk dauerhaft leisten? Wer kann und will es in Zeiten einer Rückentwicklung von Bewegungen aufrecht erhalten, damit es denen zu Verfügung steht, die sich in einem enger werdenden Raum politisch und sozial engagieren und das womöglich mit immer knapperen finanziellen und zeitlichen Ressourcen? Alle die, die zu solchen demokratischen Projekten stehen und dafür eintreten wollen, sollten auf Unterstützung angesprochen werden, seien es Einzelpersonen oder Institutionen.
Ich bin also für eine Professionalisierung auch im Sinne einer Etablierung von bezahlten MitarbeiterInnen, die allerdings im Gegensatz zu anderen Medien-, Informations- und Kommunikationsstrukturen DienstleisterInnen für ein offenes Netz sein sollen und die nicht gestaltend eingreifen, und, wie das dabei so oft geschieht, auch Meinung unterdrücken. Wie und ob das möglich und ob es strukturell und politisch abzusichern ist, wird in Zukunft für die bestehenden BürgerInnennetze ein zentrales Thema sein müssen.
Es wird hier niemanden wundern, daß es zu meiner Auffassung heftige Gegenmeinungen gibt und das ich in diesem Punkt nicht für das /CL an sich, sondern über die für mich beste Zukunft des /CL-Netzes gesprochen habe.
Drei andere Netze
Mit den dargestellten Strukturen bei anderer Finanzierung ähnelt das /CL der weltweit operierenden Association for Progressive Communications /APC, die es seit 1987 gibt und die sich schon seit einigen Jahren immer mehr zum eingleisig genutzten Informationsdienst entwickelt. Mit je einem zentralen System ist sie in aktuell 133 Ländern der Welt vertreten und hat 50.000 TeilnehmerInnen darunter eine große Zahl von Nichtregierungsorganisationen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es /APC in Deutschland nicht nur auf den Servern des zentralen /APC-Knotens, sondern auch zum günstigen Orts- oder Regionaltarif bei vielen /CL-Boxen.
/APC ist ein kostenpflichtiger Dienst, mit dem zum einen das Büro und die Arbeit der /APC-AnbieterInnen (in Deutschland, des comlink e.V. in Hannover) finanziert und mit dem zum anderen die Kosten für die /APC-AnbieterInnen in Ländern des Trikont mitgetragen werden. In der /APC tragen die Länder, in denen ein Mehr an finanziellen Ressourcen gegeben ist, die Kosten der Länder mit, die nicht ausreichende finanzielle Mittel zur Teilnahme an der /APC hätten.
Daneben gibt es das Human Rights Network, einen Informationsdienst, der Menschenrechtsinformationen in verschiedenen Sprachen auf internationaler Ebene sammelt, auswertet und verteilt. /HRNet ist ein kostenpflichtiger Dienst, der von allen /APC AnbieterInnen bereitgehalten wird.
Ein deutschsprachiges Netz, daß ich nicht unerwähnt lassen möchte und das es seit 1994 gibt, ist das SoliNet. Das SoliNet ist wie die drei vorgenannten ein unabhängiges Netz. Im SoliNet dreht es sich um gewerkschaftliche Themen und Fragen der Arbeitswelt, es wird von über 200 Systemen angeboten.
"SoliNet will für KollegInnen, Betriebs- und Personalräte, für GewerkschafterInnen und für alle, die an gewerkschaftlichen Themen und Fragen der Arbeitswelt Interesse haben, ein Kommunikationsforum sein. Im Vordergrund stehen Erfahrungsaustausch, Information, gegenseitige Hilfe und Kontakte." (aus der Selbstdarstellung.)
Auch das SoliNet versteht sich als Basisdienst für Information und Kommunikation, und wenn wir das wesentlich breiter genutzte WWW betrachten, so finden wir neben /SoliNet und /CL kein vergleichbares deutschsprachiges Angebot, das von so unterschiedlichen Menschen aus so unterschiedlichen Bereichen gemeinsam - und hier liegt die Betonung auf gemeinsam - genutzt wird, oder werden könnte. Es gibt mittlerweile ernstzunehmende Überlegungen und erste Umsetzungsversuche, das SoliNet auch über WWW zugänglich zu machen - doch bleibt es auch dort strukturell was es ist. Mit diesem Angebot wird von den bestehenden SoliNet-Systemen nur nachvollzogen, daß viele TeilnehmerInnen das Internet häufig nur als WWW kennen und nutzen. Es geht also vor allem um die Herabsetzung der Hemmschwellen durch Vereinfachung der technischen und strukturellen Zugangsvoraussetzungen.
Auch in Zukunft kann das SoliNet teilnehmend und damit schreibend nur von angemeldeten TeilnehmerInnen genutzt werden, und niemand denkt daran, die Mailbox-Strukturen und die klassischen Nutzungsmöglichkeiten aufzugeben.
Bis auf SoliNet - das dankenswerter Weise Unterstützung und Strukturhilfen von Gewerkschaften und der Hans-Böckler-Stiftung bekommt - wird neben dem /CL kein halbwegs professioneller Dienst ohne finanzielle Absicherung angeboten.
Beim /CL wie beim /SoliNet bezahlen die TeilnehmerInnen bisher nur Kosten, die durch die Nutzung konkret entstehen, ihre Beiträge werden fast ausschließlich für die Unterhaltskosten von technischen Anlagen und angemieteten Räumen und für die Übertragungskosten ausgegeben. Die dringend notwendigen Aufwandsentschädigungen für BetreiberInnen solcher Systeme aus den Beiträgen der TeilnehmerInnen zu finanzieren ist bisher ausgeschlossen. Das muß überdacht werden. Aber für die Zukunft gilt: ohne ergänzende Unterstützung aus Drittmitteln oder eine wesentlich breitere Beteiligung bei erhöhten Beiträgen wird man das nicht realisieren können.
Ein letztes Wort, auf Grund eines häufigen Mißverständnisses
Auch das UseNet, das StudentInnen, Beschäftigte an Hochschulen oder in bestimmten Zweigen der Wirtschaft gerne als kostenloses, professionelles und stabiles Angebot betrachten, das weltweit reinweg ehrenamtlich betrieben werde, wird in der Realität über vielfältige Strukturen mitgetragen und mitfinanziert. Erwähnt seien nur z.B. die unzähligen Newsserver (also Hard- und Software), die weltweit an praktisch allen Universitäten steht und die von Hochschulangehörigen betreut wird. Im UseNet mögen unzählige ehrenamtlich mitarbeiten, moderieren und kostenlos veröffentlichen, es gibt dennoch viele, die es finanziell abgesichert tun - und es ist die Kombination finanziell abgesicherter und unbezahlter Arbeit, die es erhält.