Im Vorfeld der Osterweiterung war in Deutschland, ebenso wie auch in Österreich, die Sorge groß, dass es nach der Einführung der Freizügigkeit zu starken Migrationen aus den neuen östlichen EU-Nachbarstaaten kommen könnte. Daher setzten sich vor allem diese beiden Staaten für eine zeitlich limitierte Begrenzung der Arbeitskräftewanderungen nach der EU-Erweiterung ein. In der Folge wurden Übergangsregelungen beschlossen, mit deren Hilfe es den alten EU-15 Staaten auch nach der EU-Erweiterung noch bis zu sieben Jahre lang möglich sein würde, sich vor Arbeitsmigrationen aus den neuen EU-Mitgliedsländern abzuschotten. Allen voran hat Deutschland diese Übergangsregelungen genutzt, um abhängig beschäftigten Arbeitsmigranten aus den neuen EU-Staaten nur einen begrenzten Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt zu gewähren. Im Jahr nach der Osterweiterung stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie sich die Ost-West-Wanderungen nach Deutschland seit dem 1. Mai 2004 entwickelt haben und wie sie sich von den Ost-West-Migrationen seit der politischen Transformation in Mittel- und Osteuropa am Ende der achtziger Jahre unterscheiden.
Die Bestimmungsgründe der Ost-West-Wanderungen seit der politischen
Transformation in Mittel- und Osteuropa
In der Migrationstheorie wird eine Reihe von Faktoren benannt, die internationale
Migrationen anstoßen und ihre Dynamik bestimmen (Massey et al. 1998).
Aus ökonomischer Sicht sind die Lohndifferenzen in Sende- und Empfängerländern
sowie die vergleichbaren Arbeitslosigkeitsraten von herausragender Bedeutung.
Bei nicht begrenzter Mobilität wandern Arbeitskräfte von Regionen
mit niedrigen Löhnen in solche mit vergleichsweise höheren Löhnen.
Diese Wanderungen halten unter idealtypischen Bedingungen (d. h. alle Individuen
handeln rational, es herrscht Vollbeschäftigung und keine Unsicherheit,
die Arbeit ist homogen und Migrationskosten existieren nicht) solange an, bis
sich die Löhne in den jeweiligen Regionen angeglichen haben. Ist Arbeitslosigkeit
gegeben, dann wird die relative Chance einen Job zu finden, in die Migrationsentscheidung
einbezogen. Zudem ist die Nachfrage nach Arbeitskräften in den Zielländern
eine wesentliche Größe, die z. B. über Arbeitskräfterekrutierung
auf Migrationen starken Einfluss nimmt. Die Ursache von Migrationen liegt jedoch
auch in der politischen, ethnischen oder ökologischen Situation des Herkunftslandes
begründet, wenn beispielsweise politische Repression, ethnische Diskriminierung
oder ökologische Katastrophen Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.
Während die genannten Motive die wesentlichen Auslöser von Wanderungen
sind, wird die Entwicklung von Migrationsnetzwerken - das heißt die Verknüpfung
von Migranten untereinander sowie von Migranten und Personen, die noch im Herkunftsland
verblieben sind - als Element angesehen, das die Dynamik von Wanderungen verstärkt,
wenn sie einmal begonnen haben. Angenommen wird, dass Wanderungen, die im Kontext
von Migrationsnetzwerken stattfinden, aufgrund sinkender Kosten und Risiken
einfacher zu realisieren sind. Das Ausmaß internationaler Wanderungsbewegungen
ist zudem von den institutionellen Rahmenbedingungen der Migration in den Sende-
und Aufnahmeländern abhängig. Die Ausgangsbedingung der Freizügigkeit,
die in vielen ökonomischen und soziologischen Theorien der Migration vorausgesetzt
wird, ist tatsächlich nur in wenigen Fällen (z. B. innerhalb von Staaten
der EU) gegeben.
Die hier vorgetragenen Argumente erklären, warum Deutschland seit der politischen
Transformation in Mittel- und Osteuropa am Ende der achtziger Jahre, als die
Migrationsbarrieren in diesen Ländern fielen, zunehmende (Arbeits)wanderungen
aus diesen Staaten antizipierte (1). Die Differenzen
des Lebensstandards und der Löhne waren zwischen Deutschland und den mittel-
und osteuropäischen Staaten über den gesamten Transformationszeitraum
hinweg hoch. Im Jahr 2002 betrug das BIP pro Kopf in Kaufkraftparitäten
der zehn mittel- und osteuropäischen Staaten nur 49% des BIP in Deutschland.
Die durchschnittlichen Monatslöhne in diesen Ländern erreichten gerade
31% der deutschen Löhne (zu Kaufkraftparitäten). Zudem war die Arbeitslosigkeit
in den mittel- und osteuropäischen Staaten in den neunziger Jahren angestiegen.
Mit 19,8% im Jahre 2002 war die Arbeitslosigkeit in Polen merklich höher
als in Deutschland, dies galt auch für die Slowakei (18,7%) und Bulgarien
(17,8%). Daneben wurde der Migrationsdruck in Mittel- und Osteuropa am Ende
der achtziger Jahre von politischen Krisen bestimmt, die im Verlauf der Umstrukturierung
in den Transformationsstaaten entstanden waren. Hinzu kam das ethnisch motivierte
Wanderungspotential der deutschen Minderheiten in Polen und Rumänien, die
zum damaligen Zeitpunkt (bis 1993) den Anspruch auf die Aufnahme als Aussiedler
formulieren konnten. Dennoch war die Politik Deutschlands an einer strikten
Begrenzung der (Arbeits)migration aus den mittel- und osteuropäischen Staaten
interessiert.
Die Aufnahmeregelungen in Deutschland bis zur EU-Erweiterung
Bis zur Erweiterung der EU im Mai 2004 galten für Immigranten, die aus
den mitte- und osteuropäischen Ländern nach Deutschland kamen, vergleichsweise
eng abgesteckte Aufnahmebedingungen. Mittel- und osteuropäische Staatsbürger
konnten nur dann nach Deutschland einreisen, wenn sie die rechtlichen Kriterien
zur Aufnahme als Aussiedler, Asylbewerber, Arbeitsmigranten, Familienangehörige
oder als Bildungsmigranten (z. B. Studenten) erfüllten. Bis zur Änderung
der Aussiedler- und Asylgesetzgebung waren Aussiedler- und Asylmigrationen von
herausragender Bedeutung für das Ost-West-Wanderungsgeschehen (Dietz 2004).
Dagegen gewannen legale Arbeitsmigrationen erst langsam an Bedeutung. Sie wurden
seit der politischen Transformation in Mittel- und Osteuropa auf der Basis bilateraler
Abkommen reguliert und in den meisten Fällen auf eine kurzfristige Erwerbstätigkeit
begrenzt.
Infolge einer deutlich gestiegenen Immigration von Aussiedlern aus Polen und
Rumänien zu Beginn der neunziger Jahre befürchtete die deutsche Regierung
eine nicht mehr kontrollierbare Zuwanderung bei gleichzeitig ernsthaften Problemen
der Integration dieser Gruppe in Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Als Folge davon
wurden verschiedene gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht, die alle zum
Ziel hatten, die Aussiedlermigration zu begrenzen. Die wichtigste Gesetzesmaßnahme
bestand im Beschluss des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (1993), das die Immigration
von Aussiedlern aus Polen und Rumänien nur noch unter der Voraussetzung
zuließ, dass sie nachweislich aufgrund ihrer deutschen Herkunft diskriminiert
worden waren. Da in den neunziger Jahren so gut wie keine ethnische Diskriminierung
Deutscher in Polen und Rumänien zu belegen war, kam die Aussiedlerzuwanderung
aus diesen Ländern seit dem Jahr 1993 nahezu zum Erliegen.
Der politische Umbruch in Mittel- und Osteuropa und die damit einhergehenden
ökonomischen und politischen Krisensituationen ließen die Asylwanderung
aus diesen Staaten nach Deutschland zu Beginn der neunziger Jahre ansteigen.
Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Asylrecht für die
meisten Migrationswilligen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern
die einzige Möglichkeit war, nach Deutschland zu kommen. Allerdings führte
die starke Zunahme von Asylbewerbern in Deutschland zu diesem Zeitpunkt zu einer
grundlegenden Änderung der Asylgesetzgebung, die am 1. Juli 1993 in Kraft
trat. Das neue Asylgesetz erschwerte die Anerkennung auf politisches Asyl deutlich,
und es schloss Personen, die aus sogenannten sicheren Staaten' kamen,
vollkommen vom Asylverfahren aus (Bosswick 1995: 320). Von dieser Regelung war
die Asylwanderung aus den mittel- und osteuropäischen Länder betroffen,
die als sichere Staaten' galten.
Bereits unmittelbar nach dem Fall des eisernen Vorhangs wurde deutlich, dass
Deutschland für potentielle Arbeitsmigranten aus osteuropäischen Ländern
aufgrund der Wohlstandsunterschiede einen attraktiven Standort darstellen würde.
Die Öffnung Mittel- und Osteuropas fiel jedoch zeitlich mit einer Phase
steigender Arbeitslosigkeit in Deutschland zusammen, und politisch wurde mehrheitlich
eine strikte Begrenzung von Arbeitsmigrationen aus Nicht-EU-Staaten befürwortet.
Da (illegale) Arbeitswanderungen aufgrund von Netzwerkbeziehungen und der geographischen
Nähe nicht auszuschließen waren, vereinbarte die deutsche Regierung
mit einer Reihe von mittel- und osteuropäischen Staaten bilaterale Verträge
zur Arbeitskräftemigration (Lederer 2004: 33). Damit wurde die legale Arbeitsaufnahme
von Mittel- und Osteuropäern in Deutschland auf der Basis bilateraler Abkommen
reguliert und in den meisten Fällen auf eine kurzfristige Erwerbstätigkeit
begrenzt (Pallaske 2002: 85).
Mit den bilateralen Abkommen zur Arbeitskräftemigration war von deutscher Seite eine Reihe von politischen und ökonomischen Zielen verbunden. Zunächst sollte die wirtschaftliche Situation der mittel- und osteuropäischen Herkunftsländer über die (kurzfristige) Erwerbstätigkeit von heimischen Arbeitskräften in Deutschland verbessert werden. Weiterhin war angestrebt, den Migrationsdruck auf Deutschland zu verringern, langfristige bzw. dauerhafte Zuwanderung zu vermeiden und illegale Arbeitsmigration zu verhindern. Arbeitsmigranten aus mittel- und osteuropäischen Staaten sollten zudem dazu beitragen, die Nachfrageengpässe bei saisonalen Arbeitskräften und bestimmten Beschäftigungsgruppen in Deutschland zu schließen. Seit der Einführung der bilateralen Abkommen gelten für mittel- und osteuropäische Arbeitsmigranten verschiedene Zuwanderungsoptionen im Bereich der Saison-, Werkvertrags-, Gast- und Grenzarbeit (Werner 1996, Hönekopp 1997, Bundesagentur für Arbeit 2003).
Auf Basis dieser Bestimmungen können Saisonarbeitnehmer für maximal drei Monate im Jahr eine Tätigkeit in Deutschland annehmen, wenn keine deutschen oder ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Saisonarbeiter müssen dieselbe Entlohnung wie vergleichbare deutsche Arbeiter erhalten und ihre Tätigkeit ist den deutschen Standards entsprechend sozialversicherungspflichtig (d. h. wenn sie länger als 50 Tage im Jahr arbeiten). Ihre Beschäftigung ist auf die Land- und Forstwirtschaft, das Hotel- und Gaststättengewerbe, auf Obst- und Gemüseanbau sowie auf die Arbeit in Sägewerken begrenzt. Im Gegensatz dazu sind Werkvertragsarbeitnehmer Beschäftigte mittel- und osteuropäischer Firmen (Subunternehmen), die mit deutschen Firmen kooperieren. Werkvertragsarbeitnehmer können maximal für zwei Jahre in Deutschland tätig sein. Ihre Zahl ist jährlich und in Bezug auf das Herkunftsland begrenzt. Diese Beschäftigten sind nicht in Deutschland, sondern weiterhin in ihren Herkunftsländern, entsprechend der dort herrschenden Vorschriften, sozialversicherungspflichtig. Ihre Entlohnung muss aber dem deutschen Niveau entsprechen. Die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern konzentriert sich hauptsächlich auf das Bauhaupt- und Baunebengewerbe sowie auf Montagetätigkeiten. Im Gegensatz dazu sind Gastarbeitnehmer ausländische Fachkräfte, die in Deutschland ihre beruflichen und sprachlichen Kenntnisse erweitern wollen. Sie können hier für maximal 18 Monate eine Beschäftigung aufnehmen. Die Zahl der Gastarbeitnehmer ist kontingentiert, wobei die Zulassungsbescheinigungen unabhängig von der Arbeitsmarktlage erteilt werden. Nahezu die Hälfte der Gastarbeitnehmer war im Jahr 1997 im Hotel- und Gaststättengewerbe beschäftigt. Weiter sind noch Grenzarbeitnehmer zu nennen, die in Deutschland eine Arbeitserlaubnis erhalten, wenn sie täglich in ihr Herkunftsland zurückkehren oder höchstens zwei Tage pro Woche (zu gleichen Arbeitsbedingungen wie deutsche Erwerbstätige) arbeiten.
Der Umfang der Ost-West-Wanderungen nach Deutschland 1989-2003
Aus ökonomischer Sicht sind die Ost-West-Wanderungen seit dem Fall des eisernen Vorhangs vor allem durch die großen Einkommens- und Wohlfahrtsunterschiede zwischen Deutschland und den mittel- und osteuropäischen Staaten zu erklären. Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Einkommensdifferenzen in den neunziger Jahren und einer wachsenden Arbeitslosigkeit in den Transformationsländern ist es umso erstaunlicher, dass die Ost-West-Nettomigration nach Deutschland im Jahre 1993 drastisch zurückging (vgl. Abbildung 1). Während der Wanderungssaldo im Jahre 1989 über 400.000 Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa auswies, verließen im Jahre 1993 um 48.000 Personen mehr das Land als zugewandert waren.
Abbildung 1: Die Nettomigration aus Mittel- und Osteuropa nach Deutschland
1989-2003 (Osteuropäer, Aussiedler)
Quelle: Statistisches Bundesamt
Der starke Rückgang der Nettomigration lässt sich allein durch die
Restriktionen der Aufnahmebestimmungen in Deutschland erklären. Festzuhalten
ist, dass die Aussiedlerzuwanderung von Beginn der neunziger Jahre an zunehmend
begrenzt und mit der Einführung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes im
Jahre 1993 für Personen aus Polen und Rumänien nahezu beendet wurde.
Im Asylbereich markiert das Jahr 1993 die Modifizierung der Asylgesetzgebung,
die eine Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa künftig ausschloss.
Zwischen 1989 und 2003 umfasste die Nettomigration aus Mittel- und Osteuropa
1.25 Millionen Personen, 54% davon waren Aussiedler, die aus Polen und Rumänien
einreisten. Allerdings zeigt der Migrationssaldo nur ein eingeschränktes
Bild der Ost-West-Wanderungen. Während bei Aussiedlern so gut wie keine
Rückwanderung zu beobachten war, charakterisierten hohe Zu- und Abwanderungen
die Migration von Mittel- und Osteuropäern (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Zuwanderungen, Abwanderungen und Nettomigration von Mittel- und
Osteuropäern nach Deutschland (1989-2003)
Quelle: Statistisches Bundesamt
Zwischen 1989 und 2003 wanderten 2.98 Millionen Mittel- und Osteuropäer
(Aussiedler werden hier nicht berücksichtigt) nach Deutschland, von denen
2.38 Millionen das Land im selben Zeitraum wieder verließen. Damit war
die Bruttozuwanderung mehr als fünfmal so hoch wie die Nettowanderung,
was typisch für kurzfristige, aber auch für Pendelmigrationen ist.
Die statistischen Daten bilden jedoch nur einen Teil der kurzfristigen Wanderungen
ab, da Saisonarbeiter nur partiell in die Zu- und Abwanderungsstatistik aufgenommen
werden. Nach Sendeländern differenziert ist aus Polen die größte
Nettozuwanderung aus den mittel- und osteuropäischen Staaten zwischen 1989
und 2003 zu verzeichnen, die bei jährlicher Betrachtung nur in den Ausnahmejahren
1990, 1991 und 1992 von Rumänien übertroffen wurde.
Werden die auf bilateralen Verträgen beruhenden Arbeitsmigrationen aus
Mittel- und Osteuropa gesondert betrachtet, dann erschließt sich der Hintergrund
der hohen jährlichen Zu- und Abwanderungen. Seit Beginn der neuen Arbeitsmigrationen
spielt die Beschäftigung von Saisonarbeitern, die nur für höchstens
3 Monate im Jahr in Deutschland arbeiten dürfen, die mit Abstand größte
Rolle.
Abbildung 3: Saison-, Werkvertrags- und Gastarbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa
in Deutschland (Arbeitserlaubnisse, 1991-2003)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
Während Polen das wichtigste Herkunftsland der mittel- und osteuropäischen Arbeitsmigrationen war, hatten Rumänien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Bulgarien wiederum spielte im Spektrum der mittel- und osteuropäischen Arbeitskräftewanderung so gut wie keine Rolle. Für diese Entwicklung sind wirtschaftliche, aber auch länderspezifische und migrationspolitische Faktoren verantwortlich. Aufgrund der Differenzen des Lohnes und des Lebensstandards ist Deutschland zwar generell ein attraktives Zuwanderungsland für mittel- und osteuropäische Arbeitskräfte, die Tradition der Arbeitsmigration ist jedoch in den jeweiligen Herkunftsländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Zwischen Polen und westeuropäischen Staaten, vor allem Deutschland, bestehen seit Jahrzehnten stärkere Migrationsbeziehungen als beispielsweise zwischen Rumänien, Ungarn, Bulgarien und der Bundesrepublik. Die von deutscher Seite aus stark reglementierte neue Arbeitskräftemigration aus Mittel- und Osteuropa erfordert zudem bestimmte Voraussetzungen, wie beispielsweise Firmenkooperationen im Falle von Werkvertragsarbeitnehmern, die nicht in allen mittel- und osteuropäischen Staaten in gleicher Weise gegeben sind. Weiterhin entwickelten sich im Verlauf der Ost-West-Wanderungen zwischen Deutschland und Polen vielschichtige Migrationsnetzwerke, die weitere Migrationen begünstigten. Während sich zwischen Rumänien sowie Ungarn und Deutschland die Migrationsbeziehungen verstärken, existieren sie im Falle von Bulgarien erst in Ansätzen.
Neue Zuwanderungsbestimmungen nach der EU-Erweiterung
Mittlerweile ist die Zuwanderung aus den 8 mittel- und osteuropäischen
EU-Beitrittsstaaten nach Deutschland durch die Osterweiterung der Europäischen
Union auf eine neue Basis gestellt. Ab dem 1. Mai 2004 gilt innerhalb der erweiterten
Union die Freizügigkeit von Personen, die allerdings im Falle der Arbeitnehmerfreizügigkeit
eingeschränkt werden kann. Hier gibt es eine gestaffelte bis zu siebenjährige
Übergangsfrist (2+3+2), die es den bisherigen Mitgliedstaaten erlaubt,
ihre nationalen Migrationsregelungen vorerst beizubehalten, wobei die Notwendigkeit
hierfür nach zwei Jahren zu überprüfen ist. Fünf Jahre nach
Beitritt ist prinzipiell Freizügigkeit gegeben; nur im Falle einer schweren
Störung des Arbeitsmarktes oder der Gefahr einer solchen Störung können
die Mitgliedstaaten ihre nationale Regelung für maximal zwei weitere Jahre
aufrechterhalten. Obschon Deutschland nach wie vor an den bislang geltenden
Regelungen der Arbeitsmigration festhält, wird es spätestens ab dem
Jahre 2011 keine Beschränkung der Zuwanderung aus den mittel- und osteuropäischen
EU-Beitrittsstaaten mehr geben. Es wurde jedoch bereits im Zuge der Osterweiterung
die Dienstleistungsfreiheit (das heißt das Recht, als Selbständiger
oder als Gesellschaft, ohne Einschränkungen über die Grenze hinweg
in anderen EU-Staaten Dienstleistungen zu erbringen) umfassend auf die neuen
Mitgliedstaaten erstreckt. Dabei haben sich Deutschland und Österreich
vorbehalten, die Dienstleistungsfreiheit in bestimmten Bereichen (für Deutschland:
Bausektor, Innendekoration, Gebäudereinigung) einzuschränken, solange
die nationalen Bestimmungen für einen beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt
aufrechterhalten werden.
Durch die EU-Mitgliedschaft haben die Staatsangehörigen der mittel- und
osteuropäischen Beitrittsstaaten zudem das Recht, in jedem anderen EU-Staat
als Selbständige eine Firma zu gründen. Wollen sich Handwerker aus
den neuen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas in Gewerben niederlassen, die in
Deutschland eine Meisterprüfung voraussetzen, so gelten die entsprechenden
Regelungen der Handwerksordnung in Verbindung mit den EU-Richtlinien. Danach
darf jede(r) Gewerbetreibende aus einem EU-Mitgliedstaat sein Handwerk in Deutschland
ausüben, wenn sein/ihr Betrieb im Heimatland bereits sechs Jahre bestanden
hat. Es muss keine Meisterprüfung oder eine ähnliche Qualifikation
nachgewiesen werden.
Vor dem Hintergrund der EU Bestimmungen kommen somit folgende Konstellationen
in Betracht, wie Staatsbürger aus den mittel- und osteuropäischen
Beitrittsstaaten - über die bisher geltenden Regelungen hinaus - in Deutschland
eine Beschäftigung ausüben können. Entweder es wird das Recht
auf Niederlassungsfreiheit genutzt, das es den Bürgern der Beitrittsstaaten
erlaubt, in Deutschland eine Firma zu gründen und selbständig tätig
zu werden. Oder aber es bieten Selbständige aus den mittel- und osteuropäischen
Beitrittsstaaten in Deutschland Dienste in nichtbeschränkten Bereichen
an. Zudem kann die Beschäftigung von mittel- und osteuropäischen Arbeitnehmern
über die Entsendung von Arbeitnehmern erfolgen, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit
nach Deutschland geschickt werden. Unternehmen aus den Beitrittsstaaten, die
nicht in von der Übergangsregelung betroffenen Sektoren tätig sind,
können in Deutschland grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen,
ohne dass die in Deutschland für sie tätigen Arbeitnehmer dafür
eine Arbeitsgenehmigung benötigen. Allerdings müssen diese Mitarbeiter
zur Stammbelegschaft gehören und vor der vorübergehenden Entsendung
ins Ausland schon mindestens ein Jahr bei dem Unternehmen beschäftigt gewesen
sein.
Die neuen Formen der Arbeitsmigration im Rahmen der EU-Osterweiterung gerieten
in Deutschland in der jüngsten Zeit stark in die Kritik. Dies betrifft
sowohl die Möglichkeit für Firmen aus den neuen EU-Beitrittsstaaten,
Arbeitnehmer im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit zu entsenden als auch das
Recht von Mittel- und Osteuropäern, in Deutschland als Selbständige
- beispielsweise im Handwerk - tätig zu werden. Da Dienstleistungen entsprechend
des Herkunftslandprinzips (d. h. zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen der Herkunftsländer)
angeboten werden dürfen, erwächst heimischen Betrieben und heimischen
Arbeitnehmern aufgrund der legalen Ausnutzung von Lohnkostenvorteilen in bestimmten
Branchen und Regionen eine verstärkte Konkurrenz durch mittel- und osteuropäische
Dienstleister.
Die Ost-West-Wanderungen nach der EU-Erweiterung
Mit großer Spannung war in Deutschland erwartet worden, wie sich der
Wanderungssaldo aus den 8 neuen mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten
nach der Osterweiterung entwickeln würde. Ab diesem Zeitpunkt (1. Mai 2004)
war die Personenfreizügigkeit gegeben, die Immigration von abhängig
beschäftigten Arbeitnehmern blieb jedoch - wie bereits dargestellt - begrenzt.
Im Vergleich zum Jahr 2003 stieg die Nettomigration aus den neuen EU-Staaten
im Jahr 2004 um ca. 50%, das heißt von 25.850 auf 39.190 Personen an,
wobei sich dieser Wanderungssaldo wie in der Vergangenheit aus hohen Zu- und
Abwanderungen ergab. Die meisten Immigranten kamen auch im Jahre 2004 aus Polen,
deren Nettozuwanderung sich im Vergleich zum Jahre 2003 nahezu verdoppelt hatte.
Festzustellen ist jedoch, dass der Wanderungssaldo aus den 8 neuen mittel- und
osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten im Jahre 2004 deutlich unter den vor
der Osterweiterung prognostizierten Wanderungen blieb. So waren beispielsweise
Boeri und Brücker (2005: 14) ursprünglich davon ausgegangen, dass
die Immigration aus den neuen Beitrittsstaaten nach Deutschland im Jahre 2004
bei Freizügigkeit ca. 155.000 Personen umfassen würde. Dass die tatsächliche
Immigration nur etwa ein Viertel des geschätzten Wanderungsumfanges ausmachte,
muss den Beschränkungen zugeschrieben werden, die für Deutschland
im Bereich der Arbeitskräftemigration gelten. Allerdings erreichte die
Zuwanderung von saisonalen Arbeitskräften aus Mittel- und Osteuropa, die
nur teilweise in der Zuwanderungs- und Abwanderungsstatistik erfasst wird, ihren
bisher höchsten Wert von insgesamt 329.000 Personen, wovon 286.000 aus
Polen kamen.
Mit der Osterweiterung der EU erhielten die Bürger der neuen Mitgliedstaaten
das Recht auf Niederlassungsfreiheit, das es ihnen erlaubt, in Deutschland (unter
den gleichen Bedingungen wie alle EU-Bürger) eine Firma zu gründen.
Damit war seit dem 1. Mai die Möglichkeit gegeben, die weiterhin stark
eingeschränkte Beschäftigungserlaubnis für MOE-Zuwanderer durch
den Weg in die Selbständigkeit zu umgehen. Tatsächlich wurde in Medien
und Politik mehrfach diskutiert, ob es seit der Osterweiterung eine bemerkenswerte
Zahl von MOE-Firmengründungen gegeben hatte. Bislang liegen jedoch nur
begrenzte Informationen zu neuen Firmengründungen von MOE-Staatsbürgern
seit der Osterweiterung vor. So gibt es keine Hinweise darauf, dass es in den
für ausländische Existenzgründer typischen Nischenökonomien'
wie im Einzelhandel und Gaststättengewerbe zu Firmengründungen größeren
Ausmaßes von Staatsbürgern der neuen EU-Mitglieder gekommen ist.
Anders sieht es allerdings im Bereich des Handwerks aus, wo nach Informationen
der Handwerkskammern seit dem 1. Mai 2004 eine erhebliche Zahl von Einzelfirmen
durch Staatsangehörige der osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten gegründet
wurde. Dies ist umso bemerkenswerter, als es vor der Osterweiterung nur wenige
Existenzgründer im Handwerk aus den MOE-Staaten in Deutschland gegeben
hatte.
Eine Untersuchung der gegründeten Einzelfirmen nach Berufsbezeichnungen
zeigt, dass sich hauptsächlich Gebäudereiniger, Fliesen-, Platten-
und Mosaikleger, Holzbauer, Maurer sowie Bodenleger aus den neuen EU-Staaten
in Deutschland niedergelassen haben, die regional besonders im Einzugbereich
von Großstädten (München, Frankfurt, Hamburg, Berlin und Köln)
konzentriert sind. Mit Abstand die meisten Firmengründer kommen aus Polen.
Vor dem Hintergrund der Informationen zu Herkunftsland, Ansiedlungsregion und
Berufsbereich der neuen MOE-Existenzgründer lässt sich vermuten, dass
eine Reihe unter ihnen die Firmengründung wählten, um in Deutschland
- trotz der Übergangsregelungen im Migrationsbereich - einer Beschäftigung
nachgehen zu können. Nicht von der Hand zu weisen ist zudem, dass einige
der neuen Firmengründer aus den osteuropäischen EU-Staaten bereits
vor der Osterweiterung in Deutschland irregulär tätig waren und die
Möglichkeit der Existenzgründung nutzten, um ihre Beschäftigung
zu legalisieren.
Fazit: Risiken und Chancen der Zuwanderung
Aufgrund der migrationspolitischen Übergangsregelungen sind die befürchteten
starken Zuwanderungen von Arbeitsmigranten aus den neuen mittel- und osteuropäischen
EU-Beitrittsstaaten nach Deutschland bislang ausgeblieben. Auch deuten die jüngsten
Erfahrungen daraufhin, dass die Ost-West-Wanderungen nach der EU-Erweiterung
in erster Linie von (kurzfristigen) Arbeitsmigrationen geprägt sein werden.
Vieles spricht dafür, dass zunächst nur die Personen kommen werden,
die eine Arbeit aufnehmen wollen oder die bereits ein Beschäftigungsangebot
haben und dass erst später, wenn überhaupt, deren Familienangehörige
nachziehen. Die anhaltende Neigung der Mittel- und Osteuropäer zu kurzfristigen
bzw. zu Pendelmigrationen lässt darauf schließen, dass sie auf Arbeitsmarktimpulse
flexibel reagieren.
Dennoch begegnen Öffentlichkeit und Politik in Deutschland der möglichen
Zuwanderung von Mittel- und Osteuropäern noch immer mit erheblichen Vorbehalten.
Es wird befürchtet, dass die zunehmende Freizügigkeit zu einem Druck
auf die Löhne und zu einer Verdrängung heimischer Arbeitskräfte
führte. Zudem wird diskutiert, dass Immigranten aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten
möglicherweise das deutsche Sozialsystem überfordern und dass sich
soziale und kulturelle Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung anbahnen
könnten. Diese möglichen Folgen von Ost-West-Arbeitsmigrationen erscheinen
allerdings nur für eng abgegrenzte regionale oder sektorale Arbeitsmärkte
realistisch, oder aber im Falle von Arbeitnehmerentsendungen. Die bisherigen
Erfahrungen mit osteuropäischen Arbeitsmigranten zeigen, dass es sich um
im Vergleich mit deutschen Arbeitnehmern jüngere und gut ausgebildete Personen
handelt. Dies aber kommt den künftigen Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes
entgegen. Im nächsten Jahrzehnt wird sich die Bevölkerung Deutschlands
ohne Zuwanderung verringern und sie wird auch deutlich altern. Zudem gibt es
schon heute einen erheblichen Bedarf an hochqualifizierten und qualifizierten
Arbeitskräften bei gleichzeitig sehr hoher Arbeitslosigkeit. Vor diesem
Hintergrund ist die nach der EU-Osterweiterung zu erwartende Zuwanderung nicht
nur ein Risiko für die Beschäftigung und soziale Sicherheit in bestimmten
Sektoren und Branchen, sondern auch eine Chance.
Anmerkung
(1) Die mittel- und osteuropäischen Staaten schließen Polen, die Slowakei, die Tschechische Republik, Slowenien, Ungarn, die baltischen Staaten, Bulgarien und Rumänien ein.
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