Meine sehr verehrten Damen und Herren,
in Frankreich und den Niederlanden scheiterten kürzlich die Referenden
über die Ratifizierung des Vertrages über eine Verfassung für
Europa. Der Vertrag war von den EU-Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober
2004 in Rom unterzeichnet worden. Er sollte anlässlich der EU-Erweiterung
die Europäische Union transparenter, demokratischer und handlungsfähiger
machen. Die Volksabstimmungen in unseren Nachbarländern haben uns wieder
einmal in ernüchternder Art und Weise vor Augen geführt, dass 48 Jahre
nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft immer noch
erhebliche Vorbehalte der Bürgerinnen und Bürger gegen eine weitere
europäische Integration bestehen.
Auch bestehen, insbesondere nach dem Beitritt weiterer, überwiegend mittel-
und osteuropäischer Staaten, Unsicherheiten und Ängste. Dies gilt
insbesondere in Bezug auf einen Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt
durch Unionsbürger aus den Beitrittsländern. Wie bei der Ausländer-
und Fremdenfeindlichkeit sind diese Ängste freilich oft diffus, weil Informationen
und das Wissen um politische und ökonomische Zusammenhänge fehlen.
Nicht selten werden diese Ängste für Zwecke nationaler Wahlkämpfe
instrumentalisiert und von Parteien zum Teil aus innenpolitischen Gründen
mit Unterstützung unseriöser pseudowissenschaftlicher Gutachten geschürt.
Umso wichtiger sind Veranstaltungen, wie die heutige, um durch sachliche Informationen
aufzuklären und für die europäische Idee zu werben.
Immerhin gab es jüngst auch einen kleinen Lichtblick am Horizont: Während sich die französischen und niederländischen Bürgerinnen und Bürger gegen die EU-Verfassung ausgesprochen haben, stimmten die Schweizer dem Beitritt zum Schengener Übereinkommen zu. Das Schengener Abkommen regelt den freien Reiseverkehr in der EU. Die Übernahme der Bestimmungen bedeutet für die Schweizer, dass sie bei der Einreise in die 15 bisherigen Vertragsstaaten nicht mehr systematisch kontrolliert werden. Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, wird es aber weiter Warenkontrollen an der Grenze geben.
Trotz der Widerstände in einigen EU-Mitgliedstaaten muss weiterhin gelten:
Zur Erweiterungspolitik gibt es keine ernsthafte Alternative. Gerade die Osterweiterung
der EU macht deutlich, dass es nicht nur um die Erweiterung und Vertiefung von
ökonomischen Prozessen und gegenseitigen Güter- und Kapitalaustausch
geht.
Die Erweiterung der Europäischen Union ist von immenser politischer Bedeutung,
weil durch das politische Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa tief greifende
Konflikte bis hin zu Kriegen, Bürgerkriegen und Vertreibungen ethnischer
Minderheiten, die unsere europäische Geschichte so leidvoll geprägt
haben, in Zukunft strukturell verhindert werden können und der Friede in
Europa dauerhaft gesichert werden kann.
Das ist für mein Dafürhalten auch die fundamentale Leitidee der europäischen
Integration, die von der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
durch die Römischen Verträge am 25. März 1957 bis hin zur Europäischen
Union durch den Vertrag von Maastricht vom 1. November 1993 und den Amsterdamer
Vertrag vom 1. Mai 1999 prägend ist. Umso wichtiger ist, dass parteiübergreifend
mit allen Kräften einer Spaltung Europas entgegen getreten wird und die
derzeitige Vereinigungs- und Identitätskrise überwunden wird.
Die Menschen stellen sich allerdings zu Recht die Frage nach der Zukunft:
Welche Auswirkungen wird die EU-Erweiterung hinsichtlich der Ost-West-Migration
haben?
Welche Folgen ergeben sich für die nationalen Arbeitsmärkte?
Wird die Arbeitslosigkeit in Deutschland zunehmen und werden die Löhne
sinken?
Ziehen die alten EU-Länder Facharbeitskräfte und die hochqualifizierten
"besten Köpfe" ab und schaden so dem ökonomischen Wachstum
in den Beitrittsstaaten?
Laufen die kleinen Handwerksbetriebe und DienstIeistungsunternehmen Gefahr,
durch billigere Anbieter aus den neuen EU-Staaten in den Ruin getrieben zu werden?
Die These, dass Millionen Beitrittsstaater quasi auf gepackten Koffern sitzen
und nur darauf lauern die Arbeitsmärkte der alten EU-Staaten zu stürmen,
wird durch migrationswissenschaftliche Studien nicht belegt. Hierauf hat Frau
Dietz in Ihrem Beitrag bereits hingewiesen. Nach einer Studie des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung wird es keine Massenzuwanderung nach
Deutschland geben. Die Zuwanderung wird insgesamt zu gering sein, um Löhne
und Beschäftigung in einer offenen Volkswirtschaft wie Deutschland spürbar
beeinflussen zu können. Zu erwarten ist ein langfristiges Migrationspotential
von zwei bis 2, 8 Millionen Menschen. Als wichtigstes Einwanderungsland in der
erweiterten EU werde Deutschland von der Zuwanderung profitieren. Von der EU-Osterweiterung
sind insgesamt positive Effekte für die dann existierenden 25 EU-Mitgliedstaaten
zu erwarten. Nach der Studie von Herbert Brücker vom Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung und Tito Boeri von der Mailänder Bocconi-
Universität steigert eine Zuwanderung aus Osteuropa in die alten EU-Länder
das Bruttoinlandsprodukt der erweiterten Union in höherem Maße als
der zusätzliche Handel und Kapitalverkehr durch die Osterweiterung. Zu
diesem Schluss kommt.
Wenn ein Prozent der Bevölkerung aus dem Osten in den Westen wandert, um
dort beruflich tätig zu sein, wächst das Bruttoinlandsprodukt im Westen
um 0,2 bis 0,3 Prozent. Wenn sie sich in den prosperierenden Regionen im Westen
niederlassen, liegt die Steigerungsrate sogar bei 0,5 Prozent.
Die Gewinne der Wanderung sind allerdings unterschiedlich verteilt. Bei gleich
bleibenden Einkommen im Zielland gewinnt die Bevölkerung im Herkunftsland,
während die Bevölkerung im Zielland leichte Verluste hinnehmen muss.
Die Arbeitslosigkeit wird in der EU insgesamt durch Migration sinken, kann aber
in den Zuwanderungsländern geringfügig steigen. Dies gilt allerdings
nicht, wenn sich die Migranten vorrangig in den boomenden Ballungszentren niederlassen.
Im übrigen besteht bereits seit längerem in erheblichem Umfang zumindest kurzfristige Arbeits- und Pendelmigration von Ost- nach Westeuropa aufgrund der mit den meisten Beitrittsstaaten bilateral abgeschlossenen Werkvertragsübereinkommen, Vereinbarungen über Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe (bis zu 3 Monaten; 2002: 300.000; Polen: 86 %, Tschechien: 1,2 %) und Gastarbeitnehmer zur beruflichen und sprachlichen Aus- und Fortbildung (1 Jahr bis max. 18 Monate; 2002: 4.864 von einem Gesamtkontingent von 11.050) sowie Grenzgängerbeschäftigung (ungegrenzte Dauer; 2002: 9.375). Hinzu kommt, dass aufgrund der seit Anfang der 90er Jahre abgeschlossenen Europaabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern bereits die volle Niederlassungsfreiheit hergestellt ist.
Wahrnehmung der Grundfreiheiten aus dem EG-Vertrag durch die Beitrittsstaater?
Unionsbürger aus den Beitrittstaaten (Beitrittsstaater) genießen
seit dem 1. Mai 2004 uneingeschränkt die allgemeine Freizügigkeit
aus Artikel 18 EG-Vertrag. Es besteht somit keine Einschränkung des Rechts
auf Einreise und Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Für Nichterwerbstätige
bedeutet dies, dass sie sich unter den in der Freizügigkeitsrichtlinie
genannten Bedingungen, insbesondere ausreichendem Krankenversicherungsschutz
und ausreichender Existenzsicherung, in den Alt-EU-Mitgliedsstaaten aufhalten
können. Die Grenzkontrollen zu den Beitrittsstaaten bleiben ebenfalls zunächst
bestehen. Zulässig ist aber nur die Feststellung der Staatsangehörigkeit.
Eine Ausforschung des Aufenthaltszwecks darf nicht erfolgen. Es ist anzunehmen,
dass Drittstaater, die über einen gültigen Aufenthaltstitel eines
Beitrittsstaates verfügen, das Recht haben, sich bis zu drei Monaten frei
im Schengengebiet zu bewegen (betrifft ca. 100.000 Drittausländer). Im
übrigen dürfen nach Art. 5 Absatz 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens
Inhaber nationaler Aufenthaltstitel über alle Schengen-Außengrenzen
einreisen und durch die Schengen-Staaten reisen, um in den Beitrittsstaat zu
gelangen, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Allerdings kann ein EU-Mitgliedstaat die Arbeitnehmerfreizügigkeit,
also das Recht auf genehmigungsfreie Beschäftigung, Anerkennung beruflicher
Qualifikationen und gewerkschaftlicher Betätigung, für eine Übergangszeit
einschränken. Die Mitgliedstaaten können entscheiden, inwieweit sie
ihren Arbeitsmarkt ab dem Beitritt aufgrund nationaler Maßnahmen für
Staatsangehörige aus den Beitrittsstaaten öffnen. Uneingeschränkte
Arbeitnehmerfreizügigkeit besteht allerdings für Malta und Zypern
einseitig in den alten Mitgliedstaaten.
So hat Deutschland beschlossen, von den Übergangsregelungen Gebrauch zu
machen. Anders sieht es in Schweden, teilweise in den Niederlanden sowie dem
Vereinigten Königreich und Irland aus.
So bestehen in Schweden keine speziellen Übergangsregelungen. Dies bedeutet,
dass Arbeitssuchende aus den Beitrittsstaaten unter denselben Bedingungen wie
Arbeitnehmer aus anderen Ländern der Europäischen Union und des Europäischen
Wirtschaftsraumes einschließlich der Schweiz beschäftigt werden können.
In den Niederlanden benötigen Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten,
mit Ausnahme von Zypern und Malta, zwar nach wie vor eine Arbeitsgenehmigung.
Eine Reihe von Sektoren und Tätigkeitsbereichen sind allerdings von dem
Arbeitsgenehmigungsverfahren ausgenommen: internationale Fahrer, Matrosen und
Seeleute, Operationsassistenten und bestimmte Laboranten sowie Fleischer. Die
Tätigkeitsbereiche können angepasst werden. In diesen Fällen
wird Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Wochen eine
Arbeitsgenehmigung erteilt. Das Nachrangprinzip entfällt; erforderlich
sind lediglich eine ordnungsgemäße Beschäftigung und rechtlich
einwandfreie Arbeitsbedingungen.
In Großbritannien und Irland gibt es grundsätzlich seit dem 1. Mai
2004 keine Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sämtlicher
Beitrittsstaater.
Im Übrigen gilt auch in den Ländern mit Übergangsregelung: Soweit
sich Angehörige der acht mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten
rechtmäßig im Inland aufhalten, auf Grund des dreimonatigen freien
Aufenthalts oder als Niederlassungsberechtigte oder Nichterwerbstätige,
können sie Arbeit suchen. Allerdings gilt für die Besetzung einer
Stelle der Vorrang von Inländern und anderen EU-Angehörigen. Falls
kein bevorrechtigter Arbeitnehmer für eine Stelle verfügbar ist und
sich ein Bewerber aus den Beitrittsstaaten sowie ein Bewerber aus einem Drittstaat
um einen freien Arbeitsplatz bemühen, gilt die "Gemeinschaftspräferenz",
d.h. dem Bewerber aus dem Beitrittsstaat ist der Vorzug zu geben.
In der Übergangsphase gilt das sog. 2 + 3 + 2 Modell: Jeder EU-Staat kann
während eines Zeitraums von zwei Jahren Maßnahmen zum Zugang zu einer
abhängigen Beschäftigung treffen. Es besteht die Möglichkeit
der Verlängerung dieser Maßnahmen um weitere drei Jahre auf der Basis
eines Berichts der Kommission. Bei einer Störung des Arbeitsmarktes kann
die Übergangsfrist nochmals um weitere zwei Jahre verlängert werden.
Die Übergangsregelung ist für die alten Mitgliedsstaaten nicht verpflichtend.
Unabhängig von Übergangsfristen bestehen aber einige Ausnahmen: Beitrittsstaater,
die am Tag des Beitritts in einem Beitrittsstaat für einen ununterbrochen
Zeitraum von zwölf Monaten oder länger zum Arbeitsmarkt zugelassen
waren, haben Zugang zum Arbeitsmarkt dieses Staates, aber nicht Zugang zum Arbeitsmarkt
anderer Staaten, die nationale Maßnahmen der Beschränkung anwenden.
Das gleiche gilt, wenn sie nach dem Beitritt für einen ununterbrochenen
Zeitraum von zwölf Monaten oder länger zum Arbeitsmarkt zugelassen
waren. Allerdings verlieren diese Personen die ihnen gewährten Rechte,
wenn sie den Arbeitsmarkt des Alt-EU-Mitgliedsstaates während der Anwendung
von nationalen Maßnahmen freiwillig verlassen.
Die unselbständige Erwerbstätigkeit eines Beitrittsstaaters ohne erforderliche
Arbeitsgenehmigung ist zwar ordnungswidrig, führt aber nicht zum Erlöschen
des Aufenthaltsrechts und rechtfertigt keine Ausweisung oder Strafe.
Keine Einschränkung besteht für die Dienstleistungsfreiheit, wenn
die Dienstleistung in persona durch den Selbständigen selbst z.B. durch
den selbständigen Maurer, Fliesenleger oder Dachdecker erbracht wird. Dieses
Recht bestand bereits auf Grund der bereits vor zehn Jahren abgeschlossenen
Europaabkommen mit den MOE-Staaten. Für Deutschland und Österreich
besteht aber in der Übergangsphase die Möglichkeit der Beschränkung
der Entsendung von Arbeitnehmern durch einen Dienstleistungserbringer aus den
acht Beitrittsstaaten in bestimmten problematischen Dienstleistungssektoren:
Baugewerbe einschließlich verwandter Wirtschaftszweige, Innendekorateure
sowie Reinigung von Gebäuden, Inventar und Verkehrsmitteln. In anderen
Bereichen ist eine Entsendung unbeschränkt möglich (z.B. Pflegeleistungen,
Kfz-Reparaturen).
Sollte allerdings ein Dienstleitungserbringer aus einem Alt-EU-Mitgliedsstaat,
z.B. aus Großbritannien, Irland, Schweden oder den Niederlanden, mit seinen
auf dem dortigen Arbeitsmarkt bereits zugelassenen Arbeitskräften aus den
Beitrittsstaaten auftauchen, um ein Bauwerk zu erstellen, greifen auch die Übergangsregelungen
nicht. Hier würde nur die Ausweitung des Entsendegesetzes durch die Festlegung
von gesetzlichen Mindestlöhnen für weitere Branchen weiterhelfen,
um einer Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte und einem Lohndumping
entgegenzuwirken.
Auch die Niederlassungsfreiheit besteht bereits auf Grund der Europaabkommen.
So hat der EuGH im Fall der polnischen und tschechischen Staatsangehörigen
Jany und anderer, in Amsterdam praktizierender Fensterprostituierter, das Recht
auch für die Ausübung einer selbständigen Prostitution zuerkannt.
Das einzige Recht, was dem EU-Mitgliedstaat noch verbleibt, ist die Überprüfung,
ob die Selbständigkeit "echt" ist, und ob mit der geplanten selbständigen
Tätigkeit eine Unabhängigkeit von Sozialleistungen des Aufnahmestaates
gewährleistet ist. Kann ein solcher freizügigkeitsberechtigter Selbständiger
an der Grenze die notwendigen Nachweise für die geplante Tätigkeit
erbringen, muss ihm sogar an der Grenze ein Visum erteilt werden.
Für die Niederlassungsfreiheit bestehen keine Übergangsregelungen.
Allerdings dürfen durch das Unternehmen Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten
nur im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschäftigt werden. Dies
gilt nicht für sog. Schlüsselpersonal, also Führungskräfte
und Personen mit hohen fachspezifischen Qualifikationen für bestimmte Arbeiten
und Aufgaben und Kenntnissen, die für den Betrieb notwendig sind (z.B.
Geschäftsführer, Prokuristen, Leitende Angestellte).
Auch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit gibt es Versuche, das EU-Recht
zu umgehen. Der Europäische Gerichthof hat aber klargestellt, dass für
eine Niederlassung eine "feste Einrichtung", also z.B. ein Büro
oder Lager- bzw. Geschäftsräume, erforderlich ist. Eine "Schlafstelle"
in einer Kleinwohnung stellt keine Niederlassung dar.
Missbrauch der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerentsendegesetz
und Dienstleistungsrichtlinie
Es ist zu erwarten, dass die Bedeutung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
noch weiter zunehmen und die Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückdrängen
wird. Allerdings besteht die Gefahr der Umgehung durch Scheinselbständigkeit.
Eine von der Bundesregierung eingerichtete "Task Force Dienstleistungsmissbrauch"
soll Missbräuche aufdecken und der organisierten Kriminalität im Zusammenhang
mit Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung das Handwerk legen.
Die Bundesregierung hat Anfang Mai die Erweiterung des Anwendungsbereichs des
Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden
Dienstleistungen, kurz Arbeitnehmer-Entsendegesetz genannt, beschlossen. Das
Gesetz verpflichtet entsprechend der EU-Entsenderichtlinie im Ausland ansässige
Arbeitgeber dazu, bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern in Deutschland
bestimmte hiesige Arbeitsbedingungen einzuhalten. Der Anwendungsbereich des
Gesetzes ist bisher im Wesentlichen auf den Baubereich beschränkt. Er soll
nunmehr für alle Branchen, in denen die Gefahr der Beschäftigung ausländischer
Arbeitnehmer zu Niedriglöhnen besteht, geöffnet werden. Mit der Gesetzänderung
könnten zukünftig die Tarifvertragsparteien aller Branchen durch Vereinbarung
einer tarifvertraglichen Lohnuntergrenze sicherstellen, dass Lohn- und Sozialdumping
in ihrer Branche verhindert werden und im Wettbewerb mit ausländischen
Unternehmen faire Arbeitbedingungen herrschen. Sollten keine tarifvertraglichen
Einigungen zustande kommen, müsste, wie in anderen EU-Mitgliedstaaten -wie
z.B. in Frankreich-, über gesetzliche Mindestlöhne nachgedacht werden.
Im Februar 2004 wurde von der EU-Kommission der Vorschlag für eine "Richtlinie
des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im
Binnenmarkt", die sog. EU-Dienstleistungsrichtlinie vorgelegt. Dieser Richtlinienvorschlag
wird zurzeit in den europäischen Gremien beraten. Kern des Richtlinienentwurfs
ist die Einführung des Herkunftslandprinzips, wonach der Erbringer einer
Dienstleistung nur den Rechtsvorschriften seines Herkunftslandes unterliegt,
auch wenn die Leistung in einem anderen Land erbracht wird. Dieses Prinzip ist
mehr als problematisch, weil es zu einem schonungslosen Standortwettbewerb,
zu einem ruinösen Steuerwettbewerb, zu Sozialdumping oder einem Dumping
bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen sowie zu einer massiven Verschlechterung
des Arbeitsschutzes führen wird.
Fazit:
Auch die Übergangsregelungen hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit
und der Arbeitnehmerentsendung, können angesichts der allgemeinen Personenfreizügigkeit,
der uneingeschränkten persönlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
und zahlreichen Umgehungsmöglichkeiten keinen effektiven Schutz der Arbeitsmärkte
in den alten EU-Mitgliedstaaten vor Billiglohnkonkurrenz aus Mittel- und Osteuropa
garantieren.
Letztlich ist das Problem durch die Übergangsfristen auch nur aufgeschoben
und nicht aufgehoben: Spätestens nach 7 Jahren, also ab dem 1. Mai 2011,
ist ohnehin ohne wenn und aber die volle Freizügigkeit hergestellt.
Dringend geboten ist angesichts des erweiterten Binnenmarktes eine europäische
Mindestlohnpolitik, um einem Lohn- und Sozialdumping entgegenzuwirken. Arbeitnehmern
muss auch in den Niedriglohnsektoren das in der Europäischen Sozialcharta
verankerte "Recht auf ein angemessenes Arbeitsentgelt" garantiert
werden.
Eine EU-Dienstleistungsrichtlinie sollte sich in Ermangelung eines Mindestmaßes
an Harmonisierung der Arbeitsbedingungen an dem Arbeitslandprinzip orientieren.
Entscheidend müssen die am Arbeitsort geltenden tarifvertraglichen oder
gesetzlichen Arbeitsbedingungen sein.
Im Hinblick auf die Überalterung in unserer Gesellschaft, dem Mangel an
qualifizierten Arbeitskräften und mangels effektiver einwanderungsrechtlicher
Regelungen könnte eine verstärkte Wahrnehmung der Freizügigkeit
durch die Beitrittsstaater auch als eine Chance begriffen werden. Dies könnte
auch die verknöcherte Zuwanderungsdebatte in Deutschland positiv befruchten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.