Internationale Regulierung als letzter Ausweg?

Strategien zur Rückgewinnung politischer Gestaltungskompetenz auf Finanz- und Kapitalmärkten

 

Prof. Dr. Robert Guttmann (Hofstra University New York, Economic Department)

 

I. Die Dominanz des "Hot Money"

 

1) Wenn wir von Globalisierung sprechen, dann müssen wir den Währungsmarkt, als das Nervenzentrum des sich zunehmend global organisierenden Kapitalismus begreifen. Dieser Markt hat heute ein durchschnittliches Handelsvolumen von $ 1.4 Trillionen pro Tag erreicht, eine Verzwanzigfachung in den letzten zwei Jahrzehnten.

2) Von dieser sagenhaften Summe sind nur zirka 15% den traditionellen internationalen Aktivitäten des Welthandels und langfristigen Investitionen gewidmet. Der Rest, also über Eintausend Milliarden Dollar, wird von kurzfristigen Kapitalbewegungen absorbiert, die täglich zwischen Währungen und Nationen hin- und herfließen (oft innerhalb von wenigen Minuten). Der Hauptzweck dieses sogenannten "hot money" ist der Versuch der Finanzinstitutionen und Industriefirmen, sich kurzfristig gegen Kapitalverluste, von Schwankungen der Währungskurse oder Zinssätze zu schützen oder mit solchen Preisschwankungen spekulative Gewinne zu erzielen (z.B. durch Ausnutzung von Zinssatzdifferenzen zwischen verschiedenen Währungen).

3) Dies bedeutet, daß die Weltwirtschaft heutzutage von kurzfristigen Kapitalbewegungen, die oft höchst spekulativer Natur sind, dominiert wird. Diese Entwicklung ist erstrangig der schritthaften Deregulierung des Geldes zuzuschreiben - die Einführung flexibler Währungskurse nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems 1971, die Deregulierung der Zinssätze von 1979-81, und der graduelle Abbau jedweder Kontrollen über transnationale Kapitalbewegungen in den 80er Jahren. Zweitrangig ist diese qualitative Veränderung im modus operandi des kapitalistischen Wirtschaftsystems durch die Computerisierung des Geldes und des Kredits bestimmt worden, weil jene technologische Revolution die Transaktionen auf den Finanzmärkten radikal beschleunigt und global verknüpft hat.

 

 

II. Die Macht des globalen Finanzkapitals

 

1) Das sich global-spekulativ organisierende Finanzkapital stellt für uns alle eine doppelte Herausforderung dar.

2) Erstens ist klar, daß das Finanzkapital spekulativer Natur sich an sich selbst nährt - und dies auf potentiell höchst unstabile Weise. Die durch Deregulierung des Finanzkapitals viel größer gewordenen Preisschwankungen auf den Währungs- und Finanzmärkten ziehen die Spekulation an, weil jene ja gerade von großen Preisbewegungen zu profitieren versucht. Zur selben Zeit hat diese zunehmende Spekulation genau das Resultat, die Preisschwankungen zu vergrößern. Weil die Spekulation zu hoher Verschuldung neigt, haben die früher oder später unvermeidlichen Implosionen der spekulativen "bubbles" heutzutage einen starken Multiplikatoreffekt im Kreditwesen. Glücklicherweise haben hier die verschiedenen betroffenen Zentralbanken bisher ganz gut auf solche Krisen als "lender of last resort" reagiert. Die Extension des Internationalen Währungsfond als Manager globaler Finanzkrisen hat zwar seit dem Beginn der globalen Schuldenkrise im Jahre 1982 viel Fortschritt gemacht, reicht aber nicht aus, um mit jedweder Form solcher Krisen fertig zu werden. Wir müssen uns also ernsthaft den Kopf zerbrechen über die Möglichkeit einer globalen Finanzkrise, welcher wir nicht rechtzeitig Herr werden können.

3) Zweitens ist durch mehrere spektakuläre Beispiele ganz klar geworden, daß die Repräsentanten des globalen Finankapitals enorme politische Macht gewonnen haben. Wenn sie mehrheitlich gegen eine Währung, also gegen die Wirtschaftspolitik einer Regierung, wetten, kommt es zu einer solch überwältigenden Kapitalflucht daß dem keine - auch nicht die größte - Zentralbank gewachsen ist. Dieser brutale Tatbestand erzwingt überall eine Wirtschaftspolitik, die das Finanzkapital favorisiert - hohe Realzinsen, budgetäre Sparmaßnahmen, Deregulierung, Privatisierung. Der Raum für Realisierung progressiver Alternativprogramme innerhalb des gegebenen institutionellen Rahmens hat sich also radikal verkleinert.

 

 

III. Die Tobin-Steuer als mögliche Antwort

 

1) Es stellt sich nun die Frage, wie man dieser Erpressung entgegnen kann. Eine sehr interessante Antwort ist die im Jahre 1978 vom amerikanischen Nobelpreisökonom James Tobin vorgeschlagene Umsatzsteuer für alle Transaktionen im Währungsmarkt. Selbst bei niedrigen Steuersätzen würde eine solche Steuer sehr viel Geld einbringen (bis zu $500 Milliarden im Jahr bei einem Steuersatz von einem halben Prozent), welches man für verschiedene Zwecke verwenden könnte: Entlastung der Schuldenlast bei den Entwicklungsländern, Vermeidung (oder zumindest Verlangsamung) des Abbaus des sozialen Wohlfahrtstaates ("Welfare State"), und/oder gemeinsame Bekämpfung von ökologischen Problemen auf weltweiter Ebene.

2) Der Hauptzweck einer solchen Tobin-Steuer ist aber nicht, eine ertragreiche Quelle von Staatseinnahmen zu sein, sondern die Währungsspekulation zu bremsen. So eine Steuer hat nämlich viel größere Auswirkung auf die Spekulation, die ja von äußerst kurzfristigen Transaktionen bestimmt wird und mit relativ geringem Eigenkapital funktioniert. Sie ist dementsprechend weniger belastend für Welthandel und langfristige Investitionen, die viel langsamer von einer Währung zu einer anderen fließen und mit geringerer Verschuldung operieren. In der Hinsicht kann man durchaus annehmen, daß selbst bei niedrigem Steuersatz die Tobin-Steuer die Spekulation bremsen würde.

3) Technisch gesehen ist die Einführung einer solchen Steuer nicht schwierig, so lange dies auf globaler Ebene (zumindest in den 20 wesentlichen Finanzmarktzentren der Welt) und mit einem einheitlichen Steuersatz gemacht wird. Dies ist sicherlich viel einfacher als andere Alternativen zur Eindämmung des Finanzkapitals, welche oft empfohlen werden, wie z. B. Koordination der Wirtschaftspolitik zwischen den G-7 Ländern oder Kapitalkontrollen.

4) Warum aber haben die Politiker so eine gute Idee bislang nicht in die Realität umgesetzt? Die Vertreter der Finanzkapitalinteressen, in ihrem Konsensus zu starkem politischen Einfluß fähig, haben diesen Plan blockieren können. Um ihren Widerstand zu überwinden, bedarf es nicht zuletzt der Zusagung des Industriekapitals, welches aber an dieser Frage bis heute nicht mit dem Finanzkapital hat brechen wollen. So eine Koalition ist sicherlich nicht eine automatische Sache, die sich von selbst versteht. Das Industriekapital würde von der Eindämmung der Spekulation durchaus profitieren, weil das mehr langfristiges Planen mit weniger Risiko erlauben würde und die Kosten des "hedgings" verringern könnte. Warum ist das Industriekapital dann so kurzsichtig bei ihrer Unterstützung des Finanzkapitals in seiner Opposition zur Tobin-Steuer? Nicht zuletzt weil mit der Explosion der Finanzaktiva bei den Industriefirmen die "financial managers" jetzt den größten Einfluß haben. Ein anderer Grund ist, daß die Industrie in ihrer politischen Interessensvertretung den Druck des globalen Finanzkapitals auf Nationalregierungen als nützlich sieht, vor allem bezüglich der Senkung direkter und indirekter Lohnkosten.

5) Die Idee der Tobin-Steuer ist daher eine Frage der politischen Machtkonstellation, eine gute Gelegenheit für politisch-ökonomische Erziehungsarbeit.

 

 

IV. Zu einem neuen Weltgeld?

 

1) Ein letztes Wort noch zur Zukunft der Weltwirtschaft. Ich glaube, daß - mit oder ohne Tobin-Steuern und anderen Regulationsmechanismen - die Weltwirtschaft von den Turbulenzen des "hot money" dominiert wird, so lange wir nationale Währungen als Weltgeld verwenden (wie den Dollar oder die Mark). Nationale Währungen sind unvollkommenes Weltgelt, weil sie nicht alle Funktionen des Geldes im internationalen Bereich gleichzeitig auf stabile Weise ausüben können. Diese Strukturschwäche des gegenwärtigen internationalen Geldsystems ist eine Quelle kontinuierlicher Destabilisierung der Weltwirtschaft.

2) Um mit diesem Problem fertig zu werden, brauchen wir eine neue Art von echtem Weltgeld, welches von einer globalen Geldbehörde reguliert wird und in einem öffentlichen Zahlungssystem zirkuliert. Das hat sich schon John Maynard Keynes im Jahre 1944 vorgestellt. Seinen Bancor-Plan sollte man sich jetzt wieder überlegen als Strukturreform, natürlich auf heutige Bedingungen angepaßt und dementsprechend modernisiert.

3) Diese Idee klingt vielleicht utopisch, ist es aber in Wirklichkeit viel weniger als es scheint. Schon bald wird es auf der ganzen Welt "cybercash" geben, und diese neuartige, völlig privatisierte, und staatenlose Geldform wird die Widersprüche des gegenwärtigen Geld- und Kreditwesens so vertiefen, daß man sich in nicht allzu langer Zeit den Kopf über radikale Alternativen zerbrechen wird.