DAS INTERFACE
DER INTERNATIONALEN STADT BERLIN
von Armin Haase Der Verein Internationale Stadt wurde im Dezember 1994 von einer Gruppe Berliner Medienkünstler und Computerfreaks mit dem Ziel gegründet, eine Kommunikationsstruktur im Internet zu entwickeln. Die Idee der sozialen Vernetzung durch Technologie ist nicht neu. Angesichts der zunehmenden allgemeinen Kommerzialisierung des Netzes finden wir es wichtig, kommunikatives Handeln in elektronischen Netzwerken nicht ausschließlich kommerziellen Zielen zu unterwerfen. Der Mensch steht als aktiv Beteiligter und nicht als Verbraucher im Zentrum der Internationalen Stadt. Um das Gestalten von Webseiten und die Netzkommunikation auch für Ungeübte zu ermöglichen, haben wir von Beginn an großen Wert auf unser Interface gelegt. Das System soll ohne besonderes Fachwissen genutzt werden können. Finanziert wird die Internationale Stadt über Dienstleistungen im kommerziellen Bereich, die es uns erlauben, in der eigenen Infrastruktur einigermassen selbstbestimmt und unabhängig arbeiten zu können. In Berlin ist die Internationale Stadt zu einem Anlaufpunkt für Leute geworden, die innovative Projekte im Netz realisieren wollen - sei es nun durch Programmierarbeiten, durch freien Plattenplatz oder einfach nur durch fast alltägliche know-how Transfers. Viele der in Berlin entwickelten Kunstprojekte im Netz, wurden auf diese Weise realisiert. Wir kooperieren mit Freenetbetreibern und anderen Stadtprojekten wie "De Digitale Stad" in Amsterdam. Seit 1994 und der Gründung unseres Projekts hat sich das Internet verändert. Die Fortentwicklung des World Wide Web ist begleitet von einer Veränderung der Nutzungsgewohnheiten - zunehmend stellt sich der expotentiell wachsenden Nutzergemeinde das Netz als "Informationskiosk" dar, und das passive Konsumieren von Webangeboten überwiegt deutlich die aktive Kommunikation und Gestaltung. Diesem allgemeinen Trend versucht Internationale Stadt mit den interaktiven Funktionen seiner Weboberfläche etwas entgegenzusetzen. Nicht nur das Netz und die Welt draußen, sondern auch wir haben die vergangenen zwei Jahre nicht im Stillstand verbracht. Unsere Arbeitsschwerpunkte haben sich zum Teil geändert. Die Projektgruppe ist von sieben auf zehn Personen angewachsen. Unsere Web Server verzeichnen derzeit etwa 350.000 Zugriffe pro Monat. Von einigen unserer ursprünglichen Ziele und Wünsche haben wir uns mittlerweile verabschiedet, weil sie sich als nicht realisierbar erwiesen oder keinen genügenden Anklang fanden. Öffentlich aufgestellte Terminals beispielsweise, an die wir anfangs recht hohe Erwartungen gestellt hatten, erfordern sehr viel Pflege und sind daher nur mit unverhältnismäßig großem Einsatz zu betreiben, weshalb wir heute nur noch gelegentlich und in Zusammenarbeit mit anderen Betreibern, z.B. Bibliotheken, solche Terminals aufbauen. Verändert hat sich inzwischen auch das "Gesicht" der Internationalen Stadt, sein Interface. Es sieht anders aus als sein Vorgänger von 1994, weit wichtiger aber sind die neuen Möglichkeiten, die es anbietet. Zwar waren viele der Interfacefunktionen schon in der vorherigen Version enthalten, wurden aber, wie wir feststellen mußten, durch die spartanische Graphik nicht immer gut wahrgenommen und genutzt. Mit dem neuen Interface wollten wir daher die Benutzerführung verbessern. Eine ästhetisch anregende Graphik fördert die Nutzung der interaktiven Tools. Die Oberfläche der Internationalen Stadt Berlin soll die Umsetzung von Ideen und Zielen der Benutzer des Systems unterstützen bzw. ermöglichen. Als Webdesignanforderung bedeutet das, sie soll verständlich und leicht nutzbar, nützlich und gestaltbar sein. Bei graphischen Benutzeroberflächen besteht ein Problem in den konkreten Bildsprachenmetaphern. Was auf den ersten Blick einfach verständlich und nutzbar erscheinen mag, kann sich auf den zweiten Blick und im Dauerbetrieb als hinderlich und lästig erweisen. Manch einer hat sich sicher schon über Ungereimtheiten gewundert oder über nicht nachvollziehbare Bildsprachen geärgert. Beispielsweise darüber, daß man eine Diskette, die man softwaregesteuert aus dem Laufwerk herausnehmen möchte, auf dem Bildschirm in einen Papierkorb befördern soll. Die Designaufgabe besteht in der Entwicklung einer Bildsprache, die zum einen einfach zu verstehen ist und langwierige Lernvorgänge erspart, andererseits aber so abstrakt ist, daß sie Denken und Kreativität nicht einengt. Am Beispiel der Gestaltung von Icons zur elektronischen Post läßt sich gut darstellen, wie hier viel zu viel des Guten getan werden kann. Email könnte in den vielfältigsten Varianten als Icon symbolisiert werden, praktisch werden allerdings nur einige wenige, von denen angenommen wird, sie seien selbstverständlich, gewählt. Der mit ein paar Strichen skizzierte, deutlich zu erkennende Brief bzw. Briefumschlag findet am häufigsten Verwendung als Email-Icon. Mitunter treibt das Design seltsame Blüten und die an sich schlichte Email-Funktion wird zu einem Filmchen auf dem Bildschirm. Wird Mail eigentlich um der Mail willen verschickt, oder damit endlich mal wieder das niedlich gezeichnete Postauto den Bildschirm überquert und die Briefe im ebenso niedlichen Posthaus abliefert? Solche Bildsprache ist sicher sehr lobenswert, wenn wir dreijährige Kinder zum Postversenden motivieren möchten. Aber sind nicht vielleicht für Lesekundige die vier Zeichen des Wortes MAIL ein geeigneteres Icon? Das Wort MAIL ist verständlich und eindeutig in der Funktionszuweisung. Bei täglich wiederkehrenden Routineabläufen, wie dem Löschen einer Datei, stellt eine dumme Benutzerführung die schlauen Nutzer vor harte Geduldsproben, wenn man beim Löschen jedesmal warten und zusehen muß, wie sich der Deckel des Papierkorbes bei jedem eingeworfenem Stück erst einmal öffent, den Benutzer quasi noch einmal anlächelt und sich dann wieder schließt. Oder man muß noch länger warten, weil die zu löschenden Dateien einzeln den Desktop überflattern, im Mülleimer verschwinden, nur damit dann mit dem Befehl "Papierkorb leeren" erst wirklich gelöscht werden kann. Solche designerischen Unschönheiten gehören heute noch immer zum Standard. Wollen sie diese Zeile wirlich löschen ? ja ? nein ? Gelöschtete Zeilen sind unwiederbringlich verloren ? ja? nein ? Die Zeilen werden jetzt gelöscht ! Abbruch ? Völlig anders konzipiert und im Gegensatz zu den vorgenannten Beispielen ist die Benutzerführung bei einem "Erwachsenen- Betriebssystem" wie Unix, das Benutzer voraussetzt, die stets genau wissen was sie tun. Hier genügt die schlichte Kommandoeingabe "rm -r /*", um eine gesamte Festplatte einschließlich des Betriebssystems leerzuräumen. Eine Rückfrage des Systems "Wollen Sie ernstlich alles, alles löschen und zwar unwiederbringlich??" ist nicht unixgemäß. Die Internationale Stadt hat bei ihrem neugestalteten Interface versucht, eine eigene Bildsprache zu entwickeln, die einerseits einfach zu verstehen ist und andererseits nicht vor der Belästigung des Benutzers durch kleine Lernaufgaben zurückschreckt. Und auch der "Homo Ludens" soll Ansprechendes finden, denn Spiel und Spass sind nicht die unwichtigsten Gründe, den Computer überhaupt erstmal einzuschalten. Die vorherige Oberfläche hatte in dieser Hinsicht nur wenig zu bieten. Die neugestaltete Oberfläche der Internationalen Stadt zeigt links oben im Bild eine der wichtigsten Neuentwicklungen: die "Toolbar", die in ihrer Gestaltung entfernt an eine Spielekonsole erinnert. Die Funktionen der Toolbar werden durch Beschriftungen gekennzeichnet (also kein Briefumschlag- Bildchen, sondern "MAIL".) Auf der Toolbar, die sich jeder Städter nach individuellem Belieben und Bedarf gestalten kann, leuchtet der Knopf zum Einloggen in das System in grellorangener Farbe aus dem ansonsten eher gedeckten Farbspektrum heraus. Nach dem Einloggen ist dann auch ein zweiter, nicht beschrifteter Knopf auf der Toolbar aktiviert, der zur Konfigurationspage für die gestaltbare Toolbar führt. Die Toolbar dient dem direkten Aufruf von Funktionen wie Email, Internet Relay Chat, Hilfe oder den Weg zu eigenen Hotlinks. Sämtliche Funktionen, die in der Internationalen Stadt möglich sind, z.B. das Konferieren per WWW-Oberfläche, die Empfehlung von Hotlinks als Information für andere Städter oder die Abfrage, wer zur Zeit im System eingeloggt ist, können je nach Belieben auf die Toolbar konfiguriert werden. Die Funktionen werden in Gestalt von "Laschen" auf der Toolbar angebracht. "Laschen", also Funktionen, können hinzugefügt und wieder gelöscht werden. Bei entsprechender Konfiguration kann man die Toolbar auch jenseits des Systems von Internationale Stadt in die Weiten des WWW mitnehmen und nutzen, beispielsweise auch auf irgendeinem Rechner irgendwo in der Welt stets seine eigenen Werkzeuge und Adressverzeichnisse zur Hand haben. Die Toolbar stellt ein Werkzeug dar, mit dem die Inhalte und Funktionen der Internationalen Stadt leicht abgefragt und genutzt werden können. Die Inhalte werden auf der Homepage der Internationalen Stadt durch ein dynamisches "Schalenmodell" abgebildet, welches aus verschiedenfarbigen Kreissegmenten, die in Schalen angeordnet sind, besteht. In der Mitte des Schalenmodells befinden sich die Schaltflächen für allgemeine Einwohnerinformationen, Neuigkeiten und Informationen zur Nutzungshilfe. Daran gliedert sich das "Herz" des Systems, die Homepages der Einwohner und Gruppen. Als nächstfolgende Halbschale stehen die Kreissegmente zu den verschiedenen Inhaltsbereichen und zu allen Projekten, die sich auf den Servern der Internationalen Stadt befinden. Unter den Überschriften Medien, Kunst, Text, Musik, Normal, Kommunales, Umwelt und Markt finden sich Projekte wie Allgirls, die Quotenmaschine, Greenpeace Gruppe Berlin, Jugendmailbox Spinnenwerk, Cityscope Potsdamer Platz, Haus der Kulturen der Welt, Kulturbrauerei Prenzlauer Berg, der digitale Umweltatlas, Hausfrauenseiten oder einstürzende Neubauten. Jeder Bereich wird von einem Mitglied der Internationalen Stadt betreut, der auch Ansprechpartner für die vorhanden und neuen Projekte ist Neu gegenüber dem vorherigen Interface ist, daß die Homepage der Internationalen Stadt dynamisch ist, und sich je nach Aktivitäten der Benutzer das Bild des Schalenmodells verändert. Die Grösse und Dicke der Kreissegmente sind variabel und verändern sich nach Menge der in den Bereichen enthaltenen Dokumente und nach den Zugriffen. Die äußere Gestalt der Internationalen Stadt folgt den Aktionen und Zugriffen ihrer Nutzer, was durch die Bildveränderung jeweils aktuell visualisiert wird. Möglich wird diese dynamische Gestaltung durch den Einsatz einer Datenbank, aus der das System seine nicht statischen Webseiten generiert. Dies vereinfacht es auch für die Betreiber, den "Content" des Servers ständig zu aktualisieren und zu erweitern, und dabei die Übersicht über die grosse Menge an Dokumenten zu behalten. Die anschliessend folgende äußerste Schale des Modells ist in die vier Bereiche Service, Empfehlungen, Top 100 und Internationale Stadte aufgeteilt. In Service befinden sich Links auf alle gängigen WWW-Suchmaschinen. Empfehlungen ist wiederum ein von den Nutzern zu bestückender Bereich, in welchem sich die Links auf interressante Websites befinden, die für Nutzern von Nutzern empfohlen werden. Top 100 gibt im Gegensatz zu den Nutzerempfehlungen diejenigen WWW-Sites bekannt, die von den Nutzern tatsächlich am häufigsten besucht werden. Internationale Städte enthält Links zu verwandten Netzprojekten. Aber am besten schauen sie sich die Internationale Stadt und ihr Interface selbst einmal im WWW an. Der Server von IS-Berlin ist unter der Url: http://berlin.icf.de/ 24 Stunden am Tag erreichbar. Kritik und Anregungen bitte an die Emailadresse: is@icf.de |