Gender Gap in der Demokratie - Geschlechterverhältnis und direkte Demokratie
Von Barbara Holland-Cunz
Zukunft für die Demokratie wagen?
Das Millennium-Fieber grassiert und steigert täglich seine Intensität. Kaum ein Tag vergeht ohne publizistische Prognosen und Rückblicke; ReiseveranstalterInnen machen allerletzte Offerten für das ultimative Silvesterfest, Computer sind durchgecheckt... oder es ist ohnehin zu spät. Von Herrensocken über Kirchenglocken, Schokolinsen, Fußabtreter und Zahnbürsten bis zur neuen Generation der Hochgeschwindigkeitszüge wird derzeit alles mit dem Label 2000 verziert, vermarktet, verkauft: "Zukunft" ist in. Mit dem herannahenden "magischen" Datum, das im europäischen Raum seit vielen Jahrhunderten mit mystischen Hoffnungen und Befürchtungen aufgeladen ist, verbinden sich auch in unserer so aufgeklärten heutigen Publizistik utopische und dystopische Szenarien: zum einen die Hoffnung auf ein friedliches, global denkendes, partizipatorisches und ökologisches Jahrhundert, zum anderen die Befürchtung einer aufgrund des 2000-Problems von der einen auf die andere Sekunde abstürzenden elektronischen Zivilisation. Während die einen das kommende Paradies ausmalen, sehen die anderen die Apokalypse in Form außer Kontrolle geratener russischer Atomraketen herannahen.
Ausgelöst durch den bevorstehenden Datumswechsel erleben wir gerade eine massenkulturelle Schein-Blüte des utopischen Denkens, eine publizistische Pseudo-Auseinandersetzung mit Zukunft, die sich vor allem durch bis zur Peinlichkeit gesteigerte Strategien der Vermarktung auszeichnet. Politische Utopien werden höchst wortreich beschwiegen, demokratiepolitische Zukunftsperspektiven in all dem massenmedialen Millenniumsgetöse weder thematisiert noch problematisiert. Aus der Sicht der politischen Theorie und der Utopieforschung ist dies bemerkenswert, symbolisiert doch die 2000 in der europäischen politischen Ideengeschichte, und keineswegs nur in der Esoterik, die vielleicht bedeutendste Konstruktion einer politischen Zäsur. Die 2000 verlangt, politiktheoretisch gesprochen, Stellungnahme. Das schließt ganz wesentlich die "demokratische Frage" (Ulrich Rödel/Günter Frankenberg/Helmut Dubiel (1989)) ein.
Denn gerade "die Demokratie" steht heute auf dem Prüfstand. Wie ist ihr vielbeschworener "Sieg" vor genau einem Jahrzehnt zu bewerten? Ein Pyrrhussieg, in dem die eigenen Mängel nun endlich scharf zu Tage treten (ein Argument, das u.a. Helmut Dubiel (1994: 58f.) stark gemacht hat)? Seit das nordwestliche repräsentative Demokratiemodell nicht mehr durch das totalitäre Kontrastbild glänzen kann, hat sich die Forderung nach einer Demokratisierung der Demokratie in der öffentlichen und der innerwissenschaftlichen Debatte beharrlich festgesetzt. In den neunziger Jahren läßt sich eine auffallende Konjunktur der empirischen Demokratieforschung (vgl. exemplarisch Schmidt 1995, 1996, 1998) und der Partizipationsforschung, eine intensive politiktheoretische Diskussion (vgl. resümierend Greven/ Schmalz-Bruns 1999) und eine direktdemokratisch inspirierte verfassungspolitische Debatte (vgl. die hervorragende Dokumentation zu den Diskussionen im Zuge der Wiedervereinigung bei Klages/ Paulus 1996) beobachten. Die Globalisierungsthese schließlich hat in der internationalen politischen Theorie eine Fülle von Überlegungen zum Bedeutungsverlust des demokratischen Nationalstaates und eine Fülle von noch sehr unzulänglichen Entwürfen zu transnationalen demokratischen Formen und Verfahren ausgelöst (vgl. insbes. Held 1991a, 1991b, 1991c, 1993a, 1993b). All diese politiktheoretisch höchst an- und aufregenden Entwicklungen deuten darauf hin, daß "Demokratie" nicht mehr in der traditionellen Weise thematisiert bzw. affirmiert werden kann.
Zahlreiche Fragen sind noch völlig offen: Werden sich demokratische Verfahren weltweit durchsetzen können? Unter welchen politischen Voraussetzungen? Noch nicht einmal knapp die Hälfte aller Staaten der Erde dürfen heute als demokratische Verfassungsstaaten bezeichnet werden (vgl. Schmidt 1996: 183). Welche systemische Form sollte das Institutionenarrangement annehmen, um zugleich effiziente Entscheidungen und ein hohes Maß an Beteiligung zu garantieren? Wird uns das kommende Jahrhundert eher einen "Kampf der Kulturen" (Samuel P. Huntington) als einen demokratischen "Schub" bescheren? Werden Nationalismus, Sexismus, Rassismus, Ethnozentrismus und vielfältige Fundamentalismen dominieren oder wird die tolerante, grenzoffene, multiethnische Gesellschaft den politischen Wettstreit gewinnen? Welche neuen staatsbürgerlichen Optionen muß sie dafür entwickeln? Oder wird der Kapitalismus in seiner neuen globalisierten Gestalt alle sozialen und partizipatorischen Fortschritte zunichte machen - Regime der Ökonomie, Herrschaft der "transnationals", verschärfte Armut für die Mehrheit der Frauen und des Südens? Kurz gesagt: Wie können wir angesichts düsterer Befürchtungen zur globalisierten Weltordnung der Demokratie eine bessere Zukunft verschaffen?
Gender Gap in der Demokratie
Voraussetzung jeder Zukunftsvision ist die kritische Analyse des Ist-Zustandes, der auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte zu betrachten ist. Im Rückblick erweisen sich diese Jahrzehnte als Hoch-Zeiten des BürgerInnenprotests, der neuen sozialen Bewegungen, des Aufkommens veränderter, "postmaterieller", politischer Werthaltungen, Jahrzehnte des Protests, die in der friedlichen Revolution in Ostdeutschland und im Mauerfall kulminieren. Etwas beschönigend möchte ich festhalten, daß all diesen bürgerInnenschaftlichen Mobilisierungserfahrungen politischer Erfolg beschieden war. Der Zusammenbruch des Realsozialismus ist evident, die Friedensbewegung letztlich erfolgreich gewesen, ökologische Fragen müssen heute international ausgedealt werden, es existiert ein zumindest diffuses Bewußtsein über Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis. Die politischen Erfahrungen engagierter BürgerInnen haben nicht nur die AktivistInnen selbst stark verändert, sondern die politische Kultur insgesamt deutlich demokratisiert. Ein Erfahrungs-basiertes Wissen über die eklatante Differenz zwischen kompetentem BürgerInnenengagement und dem elitären Selbstverständnis der professionellen Politik ist in der politischen Öffentlichkeit strukturell verankert worden.
Nicht ganz unwesentlich hat dazu auch die Aufmerksamkeit für die Geschlechterverteilung in den Repräsentationsorganen beigetragen. Die wissenschaftlichen Kritikerinnen der "Realdemokratie" (Elke Biester (1994)) haben in den vergangenen zehn Jahren nachgewiesen, daß das bestehende institutionelle Arrangement der repräsentativen Demokratie strukturelle Mechanismen enthält, die nicht-männliche, nicht-gebildete, nicht-weiße Mitglieder aus den demokratischen Entscheidungsorganen und Entscheidungsverfahren noch immer weitgehend ausschließt oder doch zumindest deren politische Arbeit wesentlich erschwert. Die zahlreichen Partizipationsstudien von Beate Hoecker (1987, 1995, 1996, 1998), Bärbel Schöler-Macher (1994), Birgit Meyer (1992, 1996, 1997), Virginia Penrose (1993) und Waltraud Cornelißen (1993), um hier nur einige zu nennen, dokumentieren die tiefgreifende geschlechterpolitische Teilung der repräsentativen Demokratie in selbstbewußte Insider und nur formell zugelassene Außenseiterinnen. Alle Studien verweisen auf aufwendige Hilfsstrategien und konstruierte Erklärungsmuster, mit denen Politikerinnen ihre Rolle als "integrierte Außenseiterinnen" (um Sandra Hardings (1994) Terminus zur Rolle feministischer Wissenschaftlerinnen hier einmal aufzugreifen) zu leben gelernt haben. Sie versuchen, den Gender Gap in den Verfahren und Erfahrungen der repräsentativen Demokratie gleichsam in ihrer eigenen politischen Identität zu überbrücken.
Besonders anregend (aber auch strittig) finde ich hier die Ergebnisse von Bärbel Schöler-Machers Untersuchung "Die Fremdheit der Politik" (1994), die allerdings auf einer sehr kleinen Untersuchungsgruppe basiert. Aus zwölf geführten nicht-standardisierten Leitfaden-Interviews mit Landes-Parlamentariennen und teilnehmender Beobachtung zum Handlungskontext der Befragten konstruiert Schöler-Macher vier exemplarische Strategien des Umgangs mit der Marginalität heraus, die Schöler-Macher a) das Leiden am Vorgefundenen in der Politik, b) die Herausforderungen des Vorgefundenen, c) das Paktieren mit dem Vorgefundenen und schließlich d) dessen reflektierte Nutzung nennt (Schöler-Macher 1994: 234-250).
So problematisch man/ frau das Vorgehen finden mag, so deutlich bestätigen doch alle anderen empirischen Befunde diese fragilen wissenschaftlichen Konstruktionen. Alle vier "typischen Muster der Anforderungsbewältigung und Erfahrungsverarbeitung" (Schöler-Macher 1994: 235) beschreiben Selbsttypisierungen in Bezug auf/ in Abgrenzung von sozial weibliche(n) Rollen: a) die Mutter und Frauenkämpferin, die unter ihrem altruistischen Engagement fast zerbricht, b) die mutige politikkritische Einzelkämpferin, gleichsam die Amazone in der Höhle des Löwen, c) die die weiblichen Listen diplomatisch nutzende, den Mann komplementär ergänzende "typische" Frau und schließlich d) die sich nicht typisierende/ stilisierende Frau, der, wenig überraschend, Bärbel Schöler-Machers wissenschaftliche Sympathie gilt. Politische Handlungsfähigkeit jenseits klassischer Zuschreibungen findet sich allenfalls im letzten Typus; alle anderen Muster stehen unter dem Diktat einer patriarchatsbezogenen Selbstdefinition, sei sie Reproduktion klassischer Weiblichkeit oder hilflose Rebellion gegen traditionelle Rollen.
Bedenkt man/ frau diese eklatanten habituellen Zumutungen und Selbst-Zumutungen an starke, gut ausgebildete, profilierte, erfolgreiche Frauen in der professionellen Politik, so kann es nicht verwundern, daß die Partizipation von Frauen im konventionellen Bereich des Politischen noch immer sehr viel niedriger ist als im unkonventionellen Bereich, in dem, nach den optimistischen Schätzungen von Beate Hoecker (1995), unterdessen eine Gleichverteilung existiert. Eine frauenfreundlichere politische Kultur läßt sich zwar heute in Zahlen ablesen, doch bleibt sie weitgehend auf der Ebene der Einstellungen und findet keinerlei materiale Entsprechungen in den Foren der Repräsentation. In den meisten europäischen Ländern antwortet eine deutliche Mehrheit von durchschnittlich 74% zu 22% der Befragten auf die Frage, ob Politik eine Sache von Männern sei, Politik sei eine Sache von Männern und Frauen, wobei Deutschland mit 64% zu 33% am blamablen unteren Ende liegt (vgl. Hoecker 1995: 184 nach Gabriel 1992: 573). Dieses bemerkenswerte Dreiviertel findet sich jedoch nicht in den Parlamenten.
Auf die weibliche Parteimitgliedschaft hat diese politisch-kulturelle Frauenfreundlichkeit ebenfalls keinen Einfluß. Nur zwei Prozent der ostdeutschen und drei Prozent der westdeutschen Frauen gegenüber vier Prozent der ostdeutschen und sieben Prozent der westdeutschen Männer gehören einer Partei an (vgl. Hoecker 1996: 28 nach Daten von 1993). Ende 1995 betrug der Frauenanteil an den Parteimitgliedschaften für die Grünen 33% (West) (keine Angaben Ost), für die SPD 28% (West)/ 24% (Ost), für die FPD in beiden Landesteilen 25%, die CDU 23% (West)/ 34% (Ost) und die CSU 16% (Hoecker 1996: 29, 30). In Westdeutschland hatte die PDS Ende 1995 einen Frauenanteil von 25%, in Ostdeutschland Ende 1994 einen Frauenanteil von 43% (SED 1988: 36%; noch heute sind 90% der PDS-Mitglieder ehemalige SED-Mitglieder) (vgl. ebd.). Der Frauenanteil an den Parteimitgliedschaften lag demnach fast überall unter dem heutigen Frauenanteil des Bundestages.
Im Wahlverhalten bestehen dagegen bekanntlich kaum noch Unterschiede: Bei der Bundestagswahl 1998 waren die Stimmenanteile beider Geschlechter für SPD, CDU/ CSU, FDP und PDS gleich, nur bei den Grünen und bei der politischen Rechten gab es jeweils eine Abweichung von zwei Prozentpunkten nach oben bzw. unten (Grüne: 6% männlich, 8% weiblich, Rechte 4% männlich, 2% weiblich) (vgl. Jung/ Roth 1998: 13). Schließlich möchte ich noch eine letzte wichtige Information zum Gender Gap in der Demokratie anführen, basierend auf Daten, die mir, angesichts der erstaunlich unaufschlußreichen Datenlage in den unzähligen vergleichenden Untersuchungen zur Demokratiezufriedenheit, mein Gießener Kollege Steffen Kühnel aus ALLBUS 1998 herausgefiltert hat. Die Daten beziehen sich auf die regelmäßig gestellte Frage: "Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie - alles in allem - mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert?". Die aktuelle Demokratiezufriedenheit von Frauen und Männern im Vergleich weist zwar nur jeweils einige Prozentpunkte Differenz zwischen männlichen und weiblichen Befragten im Osten bzw. Westen auf. Es ergibt sich jedoch eine extreme Differenz, wenn man/ frau die Demokratiezufriedenheit westdeutscher Männer (52,2% sind sehr oder ziemlich zufrieden) mit der Zufriedenheit ostdeutscher Frauen kontrastiert (nur 19,5% sind sehr oder ziemlich zufrieden). Die insgesamt sehr große Unzufriedenheit in Ostdeutschland wird durch das Geschlecht noch verstärkt (der entsprechende Vergleichswert für die westdeutschen Frauen lautet 46,5%).
Genug der Zahlen. Nicht nur die Demokratisierung des Privaten, ganz wesentlich auch die Demokratisierung der politischen Öffentlichkeiten - Parlamente, Parteien, Organisationen, Medien - ist selbst nach dreißig Jahren Neuer Frauenbewegung noch nicht wirklich gelungen. Die habituellen Anforderungen im konventionellen Bereich des Politischen sind nach wie vor klassisch patriarchal, die Partzipation von Frauen dort noch immer deutlich niedriger als die der Männer und deutlich niedriger als im unkonventionellen Bereich. Die typischen Abwehrstrategien gegen die sehr langsam steigende Partizipation von Frauen in den Repräsentationsorganen und Parteigremien sind bekannt: Ausweitung der Gremiengröße, Verlagerung der Entscheidungen in informelle Zirkel, Aufwertung der korporatistischen Entscheidungsorte, Entwertung der subnationalen Entscheidungsebenen. "Die Demokratie" ist noch immer und immer wieder neu strukturell und systematisch undemokratisch. Nur eine radikale Demokratisierung kann hier langfristig Abhilfe schaffen.
Dem entspricht die klassisch-feministische Option für die partizipatorische Demokratie, für eine emphatische Vision der Demokratie als Lebensform. Partizipatorische Demokratie beschreibt eine politische Modellform, die ausgesprochen anspruchsvoll ist, verlangt sie doch von der BürgerInnenschaft demokratisches Denken und Handeln im "ganzen" Leben. Mit Carole Patemans (1974) früher Arbeit über Demokratie und aktuellen Studien zur Direktdemokratie (vgl. hier vor allem Möckli 1994 und Jürgens 1993) kann belegt werden, daß ernsthafte Partizipationsangebote die heute zum Teil brachliegenden Partizipationsbedürfnisse eindeutig hervorrufen könnten. Menschen nehmen die Chancen politischer Partizipation wahr, wenn ihnen wirklich ernsthaft Gelegenheit zu wirkungsmächtiger Beteiligung geboten wird; sie empfinden Partizipation dann nicht als Last, sondern als Bereicherung, gar als selbstgewählte Verpflichtung.
Allen repräsentativdemokratischen Unkenrufen zum Trotz ist die partizipatorische Demokratie ein höchst stabiles politisches System: "...it is self-sustaining through the educative impact of the participatory process. Participation develops and fosters the very qualities necessary for it; the more individuals participate the better able they become to do so." (Pateman 1974: 42 f.; vgl. auch 25). Gängige Argumentationen, die von der bestehenden Politikverdrossenheit auf eine substantielle politische Desinteressiertheit schließen, gehen fehl: Sie interpretieren die in Repräsentativdemokratien systematisch vorhandenen Partizipationsdefizite als frei gewählte bürgerInnenschaftliche Option. Dagegen braucht es eine klar definierte und politisch realisierbare Alternative - zumal 87,8% aller Westdeutschen und 93,7% aller Ostdeutschen voll oder eher dem Satz zustimmen: "Demokratie sollte nicht auf den politischen Bereich beschränkt bleiben, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen verwirklicht werden." (ALLBUS 1998). Ein eindeutigeres Votum für partizipatorische Demokratie ist wohl kaum denkbar!
Direkte Demokratie aus feministischer Sicht
Eine unmittelbare, kurzfristig realisierbare, erste Chance - hin auf die langfristige Perspektive der partizipatorischen Demokratie - bietet das politische Instrumentarium der direkten Demokratie, bekanntlich nun nach fünfzig Jahren der Tabuisierung durch die politische Klasse in den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen in einem kurzen Passus symbolisch verankert. Die demokratietheoretische Debatte des male stream kann für feministische Perspektiven in der Demokratie einige wichtige Anhaltspunkte liefern. Die aktuelle Forschungsdiskussion (vgl. die Studien von Otmar Jung (1990, 1994), Gunther Jürgens (1993), Wolfgang Luthardt (1994), Silvano Möckli (1994)) hält zumindest die direktdemokratische Ergänzung für notwendig und mit den Institutionen der Repräsentation für vereinbar. Nach den neueren Forschungen steht eindeutig fest: Direktdemokratische Institutionen destabilisieren das politische System nicht, sondern erhöhen im Gegenteil seine politische Integrationskraft und sind, zumindest als Ergänzung des institutionellen Arrangements, mit dem Grundgesetz (Art. 20, Abs. 2 GG: "Abstimmungen") absolut kompatibel.
Ganz praktisch-politisch gedacht, lassen sich eine Reihe guter Gründe anführen, warum in feministisch-demokratietheoretischer Perspektive die direkte Demokratie, zumindest als Ergänzung der Repräsentation, eine zentrale Rolle spielen sollte: 1.) Basisnahe, nicht parteigebundene politische Beteiligungsformen werden von Frauen zur Zeit quantitativ und thmatisch-qualitativ eindeutig bevorzugt. Direktdemokratische Optionen kommen den bereits bestehenden Beteiligungswünschen von Frauen pragmatisch entgegen. 2.) Frauen haben mit direktdemokratischen Politikformen sehr viel mehr praktische Erfahrungen sammeln können als mit repräsentativdemokratischen Verfahren; bei der Direktdemokratie besteht keine geschlechtsspezifische Erfahrungsdifferenz. 3.) Die unmittelbare Zugänglichkeit direktdemokratischer Beteiligungsformen ist systematisch höher, die Barrieren für nichtprofessionell politisch Arbeitende sind deutlich niedriger als bei konventionellen Politikformen. Für Frauen als gleichsam prototypische politische LaiInnen sind direktdemokratische Verfahren deshalb besonders attraktiv. 4.) Direktdemokratische Politik beansprucht im Unterschied zur professionellen Arbeit in repräsentativdemokratischen Organen ein geringeres oder doch mindestens ein selbstbestimmbares Zeitbudget und ist deshalb mit alltäglichen Arbeitsbelastungen besser vereinbar. 5.) Während die repräsentativdemokratische Berufspolitik die traditionelle geschlechtshierarchische Arbeitsteilung voraussetzt und reproduziert, gilt dies nicht für direktdemokratische Verfahren. 6.) Direkte Demokratie begünstigt in hohem Maße politische Bildung und Aufklärung, sie kann deshalb als Politisierungsarena gegen tradierte Rollenmuster genutzt werden. 7.) Direktdemokratische Verfahren ermöglichen die unmittelbare Politisierung neuer Themen und Problemlagen, u.a. auch aus dem privaten Bereich. Die Übersetzungsleistungen und die typischen Übersetzungsverluste sind hier deutlich geringer als im klassischen Policy-Zyklus. 8.) Direktdemokratische Instrumente sind von politischen "Klimabedingungen" weniger abhängig als bislang unterstellt und deshalb in jede politische Kultur integrierbar. Die Erfahrungen mit Referenden oder Volksgesetzgebung haben gezeigt, daß die politische Kultur eines Landes durchaus konservativ und zugleich stark direktdemokratisch sein kann. Auf föderaler Ebene ist Bayern, auf nationaler Ebene die Schweiz dafür das herausragende Beispiel. 9.) Direkte Demokratie kann als unmittelbare Kritik an Parteipolitiken initiiert und propagiert werden. Als solche stellt sie ein angemessenes frauenpolitischen Instrument autonomer Bewegungspolitik dar. 10.) In diesem Sinne dienen direktdemokratische Verfahren auch der Bewegungsmobilisierung selbst.
Mein Votum für direktdemokratische Verfahren ist ein Votum für ein kurzfristig durchsetzbares institutionelles Gegengewicht zu den bestehenden repräsentativdemokratischen Organen. Neben der grundsätzlichen Chance auf eine angemessenere BürgerInnenbeteiligung heute und neben der langfristig aufrecht zu erhaltenden Option auf eine partzipatorische Demokratie (vgl. ausführlich Holland-Cunz 1998) sehe ich in einer direktdemokratischen Modernisierung des Grundgesetzes vor allem drei spezifische politische Chancen: a) für eine basisorientierte Erneuerung der Frauenpolitik, b) für den gesellschaftlichen Erfolg direktdemokratischer Initiativen, c) gegen die demokratischen Einschränkungen durch den Globalisierungsprozess.
Neue Chancen für die Frauenpolitik aus direktdemokratischer Sicht
Seit dem Beginn des frauenpolitischen Institutionalisierungsschubes Anfang der achtziger Jahre hat sich die Frauenbewegung stark hierarchisiert und vermachtet, sie ist, entgegen ihrem ursprünglichen politischen Anliegen, in ihrem main stream schon lange nicht mehr basisdemokratisch organisiert - allenfalls noch an ihren Rändern. Eine neue direktdemokratische Orientierung könnte diesem Problem, das zu struktureller feministischer politischer Unlust geführt hat, potentiell Abhilfe schaffen. Angesichts des mühsamen, langweiligen, Phantasie-feindlichen, nervtötenden frauenfördernden Alltags, von dem sich viele Aktivistinnen lieber heute als morgen für eine inspirierende Alternative verabschieden würden, könnte ein Bündnis mit engagierten DirektdemokratInnen neue Lust auf Politik machen - so wie vielerorts das politische Bündnis mit AktivistInnen der Lokalen Agenda 21 für Feministinnen lange verschüttete, kaum mehr vorstellbare politische Energien freigesetzt hat. Die vielerorts bereits bestehende oder gerade entstehende Kooperation zwischen Frauenpolitikerinnen und Agenda-AktivistInnen hat für beide Seiten Früchte getragen. Für die Gleichstellungspolitik bedeutet das Selbstverständnis der Lokalen Agenda 21 eine Erweiterung der gängigen Perspektiven um die Aspekte Ökologie und internationale Kooperation, für Agenda-AktivistInnen bedeutet eine klare Gleichstellungsorientierung die Einlösung einer der wichtigen Ansprüche der Agenda 21.
Demokratietheoretisch gesprochen spiegeln solche praktisch-politischen Kooperationen zudem eine bedeutsame aktuelle Zielvorstellung, denn radikaldemokratische Bündnisse zwischen differenten herrschaftskritischen Bewegungen, Initiativen und Gruppen stellen die derzeit wohl konkreteste Option im demokratietheoretischen Spektrum des Feminismus dar. Als zeitlich und thematisch begrenzte Bündnispolitiken sind sie am einfachsten zu realisieren, als zeitlich und thematisch unbegrenzte können sie als längerfristige Chancen politischer Bindung und Gebundenheit betrachtet werden (vgl. ausführlich Holland-Cunz 1996). Bündnispolitiken, gerade auch transnationale, zwischen herrschaftskritischen Bewegungen und Basisinitiativen tragen außerdem wesentlich zu einer notwendigen Ent-Institutionalisierung und Entprofessionalisierung des Politischen bei, die der herrschenden Berufspolitik in den Repräsentationsorganen bürgerInnenschaftliche Arbeits- und Diskursformen gegenüberstellt.
Wenn Demokratie nicht nur Berufs-, sondern vor allem Lebensform sein soll, braucht sie konkret sichtbare, attraktive, real gelebte und ernsthaft erprobte Alternativen. Die Erprobung einer inklusiven, partizipatorischen, "starken" Demokratie, einer Demokratie, die nicht nach Geschlecht, Klasse, Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung, Alter, Gesundheit, Religion und Bildungsgrad diskriminiert und marginalisiert, könnte eine wichtige demokratiepolitische Aufgabe für Praxis-Bündnisse zur direkten Demokratie darstellen. Die anspruchsvolle bürgerInnenschaftliche Aufgabe bestünde darin, die Vision öffentlich zu thematisieren, beispielgebend zu handeln, selbst die ersten Schritte der Verwirklichung einer inklusiven Demokratie zu tun.
Chancen für direktdemokratische Initiativen aus frauenpolitischer Sicht
Obgleich meine Beschreibung der aktuellen feministischen Lage nicht gerade positiv ausfällt, können Initiativen zur direkten Demokratie dennoch von den zahlreichen, höchst vielfältigen politischen Erfahrungen der Neuen Frauenbewegung profitieren. Keine andere soziale Bewegung der vergangenen Jahrzehnte hat sich vergleichbar intensiv, herrschafts- und selbstkritisch mit den folgenden Problembereichen auseinandergesetzt: der Politisierung und Politisierbarkeit politikferner Gruppen, den Kommunikations-, Rekrutisierungs- und Reputationsmustern der repräsentativen Politik, den thematischen Lücken und Tabus bei den Themen der politischen Agenda und der Relation zwischen personeller und struktureller Ausgrenzung von demokratischen Entscheidungen. Feministinnen haben zudem ein immenses Erfahrungswissen in Kampagnenpolitik (§ 218, Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt gegen Mädchen, Pornographie), ein ebenso großes Wissen in der erfolgreichen Verankerung neuer institutioneller Instrumente und Verfahren (Frauenbeauftragte, Förderpläne, Gleichstellungsgesetze, Frauenministerien), Feministinnen kennen die Konflikte an der Kreuzung von konventioneller und unkonventioneller Politik genauer als uns lieb ist, sind erprobt in politischer Phantasie und Provokation auf der Straße und last not least in erfolgreicher Verfassungsrevisionspolitik (Ergänzung Art. 3 GG nach der Wiedervereinigung).
All diese politischen Erfahrungen und Erfolge sind zweifellos absolute Essentials für den Versuch einer Politisierung und Verankerung direktdemokratischer Verfahren auf allen Ebenen des Politischen. Wenn sie gelingen soll, müssen Initiativen, Aktionen und AktivistInnen zahlreicher werden, die Realisierungsvorschläge konkreter und entsprechende bürgerInnenschaftliche Interessen lauter, provokanter, unübersehbarer und medienwirksamer vorgetragen werden. Die Routine und das Wissen einer noch immer starken Frauenpolitik könnten für Initiativen zur Direktdemokratie hilfreich sein.
Sogar die schmerzlichen feministischen Erfahrungen mit politischen Rückschlägen, Mißerfolgen und Niederlagen (§ 218, fortbestehende gesellschaftliche Arbeitsteilung, zunehmende Armut von Frauen) sind für die Einführung direktdemokratischer Verfahren relevant, verweisen sie doch auf einen höchst strittigen Aspekt der Direktdemokratie: auf das Drama bzw. gar "Verbot" einer Niederlage, d.h. die typische, Direktdemokratie-feindliche Unterstellung dauerhaft "falscher", d.h. beispielsweise rassistischer Entscheidungen des unmittelbar befragten Souveräns. Selbstverständlich ist, wie in allen politischen Verfahren, damit zu rechnen, daß man/ frau in wichtigen Abstimmungsfragen unterlegen sein könnte. Unser im internationalen Vergleich außerordentlich stark repräsentativdemokratisches Institutionenarrangement hat in den vergangenen Jahren jedoch auch nicht verhindert, daß deutlich rassistische Entscheidungen getroffen wurden (weitreichende Einschränkung des Asylrechts, unzureichendes neues Staatsbürgerschaftsrecht).
Die repräsentativdemokratische Parteienherrschaft schützt also keineswegs vor problematischen politischen Entscheidungen. Die traditionell fraglose und politisch autoritär gefärbte Unterstellung einer größeren Verantwortlichkeit und Rationalität bei der politischen Klasse - im Unterschied zum "dummen Volk" - geht fehlt. Die Kompetenzzuschreibung an die professionelle Politik ist in jüngerer Zeit dem entsprechend auch dramatisch zurückgegangen: Nur noch 25% der Bevölkerung in Westdeutschland und 22% in Ostdeutschland glauben 1996, daß man/ frau "große Fähigkeiten" haben muß, "um Bundestagsabgeordneter in Bonn zu werden" (Cusack 1999: 240).
Selbst der Erfolg der Unterschriftenliste der Union in Hessen beweist nicht, daß die direkte Demokratie systematisch Fehl- und Vorurteilsentscheidungen stützt oder hervorbringt. Formelle, institutionalisierte, "echte" direktdemokratische Verfahren verlangen öffentliche Pro-und-Kontra-Debatten und echte Pro- und-Kontra-Abstimmungen, stützen damit politische Aufklärung und bringen, so der aktuelle Stand der vergleichenden Demokratieforschung, deutlich zukunftsorientierte Entscheidungen hervor (vgl. insbes. Schmidt 1998: 195 und 196). "...die Neigung, Politik zu Lasten der Zukunft zu betreiben, ist vor allem in Repräsentativdemokratien ein verbreitetes Laster..." (Schmidt 1998: 195).
Die öffentliche Debatte vor der zu fällenden Entscheidung, das öffentliche Gespräch der aufgeklärten BürgerInnenschaft, bringt den entscheidenden demokratiepolitischen Unterschied hervor. Volksinitiative, Volksbefragung und Referendum sind zudem nicht identisch mit einem "von oben" lancierten Pseudo-Plebiszit. Die Legitimität der formellen, direktdemokratischen Instrumente erwächst aus dem Initiativ- und Entscheidungsrecht des Souveräns (d.h. "von unten"), während Plebiszit und Unterschriftensammlungen dieser Art staatlich initiierte Legitimationsbeschaffungsinstrumente darstellen, die nicht der öffentlichen Aufklärung, sondern wahlstrategischen Überlegungen verpflichtet sind.
Die Bedeutung der politischen Kommunikation und ihrer spezifischen Formen ist hiermit angesprochen. Sie ist ein zentrales Thema der aktuellen Demokratietheorie. "(A)nhaltende Gespräche" (Benjamin Barber (1994: 127) der BürgerInnenschaft sind bei allen zeitgenössischen diskursiven Demokratietheoretikern (nicht so bei Barber 1994, vgl. jedoch dagegen wiederum Barber 1996) bezeichnenderweise unmittelbare face-to-face Kommunikationen. Dieses gleichsam altmodische Verständnis des politischen Sprechens wird sogar im avancierten deliberativen Theoriemodell (vgl. exemplarisch Habermas 1992, 1997) vertreten: Der politische Diskurs umfaßt vielfältige Formen der Kommunikation, nach Jürgen Habermas (1992: 19) sowohl ethische Selbstverständigung als auch Interessenausgleich und Kompromiß.
Der diskursive Aspekt betont zugleich wesentlich ein reflexives Verfahrensmoment: Diskursive Demokratie denkt immer auch über die Bedingungen ihres Sprechens und Entscheidens nach und könnte hier die sprachkritischen feministischen Arbeiten der vergangenen Jahre praktisch-politisch nutzbar machen. Die im main stream (vgl. auch den Überblick bei Buchstein 1997) zu beobachtende Überkomplexität des diskursiven Ansatzes sollte aus frauenpolitischer Perspektive nicht reproduziert werden, resultiert dies doch vor allem aus der main-stream-Ablehung direktdemokratischer Verfahren als "unterkomplexe(s) Leitbild" (Rainer Schmalz-Bruns (1997: 22). Aus feministischer Sicht bietet sich das Leitbild Direktdemokratie gerade aufgrund seiner vermeintlichen Unterkomplexität an, denn direktdemokratische Verfahren sind wegen ihrer Einfachheit, Zugänglichkeit und Durchsichtigkeit gerade für politikferne und parteiverdrossene Gruppen besonders attraktiv.
Chancen der direkten Demokratie in der globalisierten Republik
Zu den ernstesten Gefahren für die Zukunft der Demokratie gehören heute diejenigen Transformationsprozesse, die unter das ubiquitäre Stichwort "Globalisierung" fallen. Selbst bei einer nüchternen Betrachtung der Sachlage, die nicht in ein Katastrophen-Pathos verfällt, sind die demokratiepolitischen Probleme der Globalisierung größer als ihre Chancen. Die konkreten politischen, ökonomischen und kulturellen Sachverhalte, die unter das große Wort subsumiert werden, sind extrem disparat bis widersprüchlich. Globalisierung beschreibt bekanntlich ein heterogenes Faktorenbündel politischer, ökonomischer und kultureller Transformationen, denen gemeinsam ist, daß sie die souveränen Entscheidungsmöglichkeiten des klassischen Nationalstaates durch freiwillige Abgabe oder unfreiwilligen Verlust von Macht und Kompetenz erheblich einschränken. Die neuen Hierarchien, die dadurch entstehen, sind, Bob Jessop (1998: 278) zufolge, "komplex(en) und verschachtelt(en)."
Neben der neuen Dominanz der Ökonomie über die Politik, der Deregulierung der Märkte, der zunehmend informell organisierten und ungeschützten Arbeit ist vor allem der Aspekt gesellschaftlicher Beschleunigungen, die alle Teilprozesse der Globalisierung kennzeichnen, für die Frage nach der Zukunft der Demokratie besonders relevant. Hohe Geschwindigkeiten passen nicht zum eher bedächtigen Zeitrhythmus demokratischer Entscheidungsprozesse. Zeitbezogene Effizienzsteigerungen, die die neuen Geschwindigkeiten nahelegen, gehen in Demokratien immer zu Lasten der Partizipationschancen. Sie stärken die out-put-Orientierung demokratischer Prozesse, nicht aber eine neue in-put-Orientierung, die für jede Demokratisierung der Demokratie absolut unverzichtbar ist.
Intensivierung der Arbeit, Verdichtung der Entscheidungsnotwendigkeiten, Beschleunigung politischer Veränderungen produzieren auch im Alltag eine potentielle Überforderung des menschlichen Zeitempfindens. Inklusiv organisierte, offene Gesellschaften müssen folglich darauf achten, daß gesellschaftliche Prozesse für alle nachvollziehbar bleiben. Demokratietheoretisch betrachtet dürfen sich politische Prozesse nicht dem immensen Zeitdiktat der immer schneller um den Globus rasenden materiellen und immateriellen Ströme (vgl. Jessop 1998) unterwerfen. Direkte Demokratie könnte hier als eine bewußt eingebaute partizipatorische Bremse fungieren, gehört es doch zu den Generalvorwürfen gegen direktdemokratische Verfahren, sie seien für die effizienzorientierte moderne Konkurrenzdemokratie viel zu langsam und ineffizient. Direktdemokratische Verfahren ließen sich als politisch gewollte Entschleunigungsinstrumente politisieren.
Die zeitgleiche Ausdehnung des räumlichen Bezugsrahmens durch die Internationalsierung von Politik und (elektronischer) Kommunikation, durch die Universalisierung des Marktes und der ökologischen Gefahren, Ausdehnungen, die einer hoch komplexen Kontraktion der realen territorialen Maßstäbe gleichkommen, stellt ebenfalls eine Herausforderung an das menschliche Sinnesempfinden dar. Das Raumgefühl muß sich gleichsam abstrahieren, es bewegt sich immer mehr in virtuellen Entfernungen. Unmittelbare politische Bindung und ein face-to-face-orientierter Dialog verlieren an Bedeutung. "Der Globus ist raum- und zeitkompakt ... rekonstruiert (ge)worden, und darin besteht das eigentliche Neue...", resümieren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf (1996: 42) in "Grenzen der Globalisierung". Angesichts der erhöhten Komplexität in globalisierten politischen Entscheidungsstrukturen, angesichts der heute fast undurchschaubaren demokratischen und pseudo-demokratischen Vernetzungen könnte die direkte Demokratie als Instrument einer gewollten Komplexitätsreduktion verstanden und politisiert werden, die "die Demokratie" aus bürgerInnenschaftlicher Perspektive wieder durchsichtiger und zugänglicher macht.
Die Institutionalisierung direktdemokratischer Verfahren könnte also vielleicht sogar gegen die vielbeschworenen Globalisierungsgefahren gesetzt werden, um eine doppelte demokratiepolitische Wirkung zu erzielen: Entschleunigung und Komplexitätsreduktion - um demokratischen Entscheidungsprozessen längerfristig das notwendige "menschliche Maß" zu erhalten. Damit die Demokratie auch nach dem vielbeschworenen Datum 2000 eine Zukunft hat.
Literatur
ALLBUS 1998: Zentralarchiv für empirische Sozialforschung Köln: Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, ZA-Nummer 3000.
Altvater, Elmar/ Mahnkopf, Birgit (1996), Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster.
Barber, Benjamin (1994), Starke Demokratie. Über die Teilhabe am Politischen, Hamburg.
Barber, Benjamin R. (1996), Coca Cola und Heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen, Bern/ München/ Wien.
Biester, Elke (1994), Realdemokratie oder Androkratie. Eine Einführung, in: dies./ Barbara Holland-Cunz/ Birgit Sauer (Hg.), Demokratie oder Androkratie? Theorie und Praxis demokratischer Herrschaft in der feministischen Diskussion, Frankfurt/ New York, S. 7 ff.
Buchstein, Hubertus (1997), Demokratietheorie, in: Politische Vierteljahresschrift, 38. Jg., Heft 1, S. 129 ff.
Cornelißen, Waltraud (1993), Politische Partizipation von Frauen in der alten Bundesrepublik und im vereinten Deutschland, in: Gisela Helwig/ Hildegard Maria Nickel (Hg.), Frauen in Deutschland 1945-1992, Berlin, S. 321 ff.
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