Arbeitsorganisatorischer Wandel und Geschlechtergerechtigkeit

Von Dörthe Jung
 

Ernüchternde Bilanz der Gleichstellungsgesetzgebung

Als in den achtziger Jahren die Einführung einer Gleichstellungsgesetzgebung diskutiert wurde, verbanden viele die Hoffnung, hier ein Instrument in der Hand zu haben, das die beruflichen Entwicklungschancen von Frauen grundlegend verbessern kann. Allerdings war auch schon damals der Kreis der kritischen Stimmen nicht zu überhören. Heute, nach teilweise 15jähriger Erfahrung mit der Umsetzung von Frauenförderungs- oder Gleichstellungsgesetzen, kann man eine ernüchternde Bilanz ziehen: gesetzgeberische Instrumentarien bergen ein ungleich geringeres Potential in sich, einen strukturellen Wandel hin zu mehr gleichwertigen beruflichen Chancen von Frauen und Männern anzustossen, als es die ungeheuren Anstrengungen vermuten lassen, die in ihre Entwicklung, ihre Durchsetzung und Implementierung gesteckt werden. Spätestens seit dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 ist endgültig auch ein weiteres Lieblingsinstrument der Gleichstellungspolitik, die Quote, zu Schaden gekommen, spielten sich doch trotz parteiinterner Quotierung bei Bündnis90/die Grünen und bei der SPD beim Postenverteilen die alt vertrauten Possen ab.

Am Ende des alten Jahrhunderts lässt sich im Hinblick auf frauenpolitische Erfolge und organisatorischen Wandel mithin eine gute Portion Ernüchterung feststellen. Ernüchterung bedeutet jedoch nicht unbedingt Resignation. Sie kann auch ein guter Ratgeber für das Überdenken von Defiziten und für konzeptionelle Innovation sein.

Transformationsprozeß und veränderte frauenpolitische Instrumentarien

Der Transformationsprozeß der industriellen Arbeitsgesellschaft bedeutet eine epochale Umwälzung der arbeitsorganisatorischen Strukturen. Diese arbeitsorganisatorischen Strukturen geben aber wiederum bis heute noch die Basis der bislang entwickelten frauenpolitischen Instrumentarien ab. Hier wird ein Bedarf an neuen frauenpolitischen Strategien deutlich, die helfen, den Wandel zukunftsfähig und nachhaltig für Frauen und Männer zu gestalten.

Die Abkehr von tayloristischen Arbeitsstrukturen führt zu einer Flexibilisierung von Arbeitsformen und Arbeitszeiten, die sich nicht mehr in die klassische Schablone des traditionellen Normalarbeitsverhältnis pressen lassen. Arbeitsanforderungen und Kompetenzen werden neu fokussiert oder anders zugeschnitten. Diese Veränderungen folgen nicht unbedingt den bisher gültigen geschlechtsspezifischen Zuordnungen. Es ist durchaus offen, inwieweit die Strukturen des Geschlechterverhältnisses der nachindustriellen Dienstleistungsgesellschaft die gleichen Benachteilungen und Privilegierungen aufweisen wie sie aus der industriellen Arbeitsgesellschaft hervorgegangen sind. Es wird von daher eine spannende Frage, wie die arbeitsorganisatorischen Veränderungen für mehr Geschlechterdemokratie zu nutzen und zu gestalten sind.

Komplexität von Organisationen

Aus der Perspektive des Wandlungsprozesses kann heute klarer gesehen werden, wie wenig die bisherigen Verfahren zur Umsetzung der frauenpolitischen Instrumentarien die Komplexität von Organisationen berücksichtigen. Als Insellösungen angelegt, sind ihre Erfolgschancen schon vom Ansatz her als eher gering einzuschätzen. So sind z.B. für eine erfolgreiche Implementierung der Quote und ihrer Philosophie Interventionen und Veränderungsprozesse auf verschiedenen Ebenen des Betriebes bzw. der Organisation notwendig. Neben den klassischen Bereichen der Frauenförderung wie Personalbereich, Bewerbungs- und Einstellungsverfahren, Beurlaubungs- und Arbeitszeitmodelle sind Fragen der Kooperations- und Kommunikationsformen, des Führungsstils, der Arbeitsteilung, der Bewertung von Arbeit und der Unternehmensphilosophie für eine erfolgreiche Umsetzung von Quotierungen von entscheidender Bedeutung. Die Logik des in Deutschland gängigen Umsetzungsverfahrens frauenpolitischer Instrumentarien geht nun davon aus, das sich alle mittel- und unmittelbar betroffenen Arbeitsbereiche quasi automatisch im Geiste der Quotierung verändern. Ein spezieller Steuerungsbedarf wird nicht gesehen und entsprechend nicht verabredet. Unausgesprochen wird darauf vertraut, ‘irgendwie’ möge das frauenpolitische Regelsystem schon die vorhandenen Strukturen verändern. Eine organisationstheoretische Betrachtung macht schnell deutlich, daß ein solcher Automatismus für komplexe Systeme nicht als typisch angenommen werden kann.

Strukturen der Gender Balance focussieren

Diesem konzeptionellen Mangel immanent ist zudem die eingeschlagene einseitige Geschlechterperspektive der frauenpolitischen Instrumentarien, stehen doch im Mittelpunkt vorrangig Defizite und mögliche Förderungschancen von Frauen. Wenig Aufmerksamkeit erfahren die Strukturen der Gender Balance. Neben dem ideologischen Bias, der mit der ausschließlichen Fokussierung auf Frauen einhergeht und der mittlerweile nicht nur Abwehr bei Männern sondern verstärkt auch bei Frauen provoziert, wird so die Chance verpaßt, die Veränderungspotentiale von Männern zu erkennen und zu aktivieren.

Chancen für mehr Geschlechtergerechtigkeit nutzen

Die Tagung möchte unter dem Stichwort “Geschlechterdemokratie in Organisationen” einen Blick in die Zukunft wagen: Wo sind frauenpolitische oder geschlechterdemokratische Ansätze, die Lösungen für eine aktive Gestaltung der arbeitsorganisatorischen Veränderungen darstellen? Uns geht es dabei nicht um die Suche nach der einzigartigen neuen Strategie. Wir wollen verschiedene Handlungsansätze vorstellen und diskutieren, angefangen von der Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung und der europäischen Strategie des Mainstreaming, über Organisations- und Personalentwicklungskonzepte, dem Managing Gender Diversity bis hin zu konkreten methodischen Anregungen wie dem Gender Training. Der Komplexität des Wandels und moderner Organisationen sind unterschiedliche Strategien und methodische Verfahren angemessen, ein Mix, der die besondere Situation der Unternehmen, der Organisationen und der MitarbeiterInnen berücksichtigen kann.

Die Tagungsphilosophie geht davon aus, daß der Umbruch der industriellen Arbeitsgesellschaft neue Chancen für mehr Geschlechtergerechtigkeit in sich birgt. Die Globalisierung erzwingt neue Unternehmensstrukturen, die es ermöglichen, schneller und flexibler Entscheidungen zu fällen, um näher an den KundInnen zu sein. Der Abbau von hierarchischen Strukturen führt zu neuen Arbeitsformen wie Team- und Projektarbeit, in denen das Potential von Frauen eine neue Bewertung und Gewichtung erfährt. Und die Zeiten stehen schlecht für den omnipotenten autokratischen Führungstyp. Heute ist vermehrt kommunikatives Führungsverhalten gefragt, das auf die Verantwortung und Kompetenzen von MitarbeiterInnen setzt. Darüber hinaus ermöglicht die notwendige Flexibilität auch eine gestiegene Sensibilität für Differenz, für Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit. In allen diesen Entwicklungen der Unternehmensstrukturen und Arbeitsorganisationen liegen große Veränderungspotentiale, die als Chancen für eine gerechtere Gender Balance genutzt werden können. Dabei müssen die Instrumente, die eine geschlechterdemokratische Veränderung unterstützen, selbst flexibel angelegt sein. Heute geht es vor allem darum, Prozesse zu gestalten und eine veränderte Gender Balance für Innovationen zu nutzen.

In den nächsten Jahren wird verstärkt die vertraute männliche Arbeits- und Berufsbiographie zusammen brechen. Auch wenn immer noch viele die Sicherungen des männlichen Normalarbeitsverhältnisses scheinbar unerschrocken verteidigen, so ist die Tendenz nicht aufzuhalten, daß zunehmend die klassischen Muster weiblicher Erwerbsbiographie auch für Männer normal werden. Die Homogenität männlicher Arbeits- und Erwerbsbiographien wird einer größeren Buntheit und Unterschiedlichkeit weichen. Auch in diesem Wandel liegen Chancen, weil das männliche Veränderungspotential sichtbar werden kann. Für die Wahrnehmung von mehr Teilzeit und für eine verbesserte Balance von Arbeit und Leben/Familie votieren schon heute mehr Männer, als daß sie es leben. Eine Unternehmenskultur, die zukünftig nicht auch diese Bedürfnisse von Männern aufgreift, wird wahrscheinlich bald nicht mehr als nachhaltig zu bezeichnen sein.

Und frauenpolitische Strategien, die sich diesem Potential gegenüber verschließen, unterstützen merklich wenig den sicher auch weiterhin schweren Weg zu mehr:  “Geschlechterdemokratie in Organisationen”.