Elektronische Bürgernetze: von euphorischer Rhetorik zu
realitätsbezogenen Konzepten
Von Peter Mambrey
Local Community Networks in den USA
Local Community Networks, einfach übersetzt als elektronische Bürgernetzwerke, sind in den USA entstanden und ausführlich beschrieben worden. Dies geschah teils missionarisch (Rheingold 1992) teils wissenschaftlich fundiert (Schuler 1994; 1996). Im Regelfall sind die Beschreibungen so ausgerichtet, daß sie die positiven Optionen für die Bürger als Informations- Distributions- und Reaktionsmedien herausstreichen: sie leisten einen positiven Beitrag für mehr bürgernahe bzw. bürgereigene Öffentlichkeit und Basisdemokratie (Leggewie/Maar 1998). Athenische Verhältnisse werden beschworen. Zwischen Basisdemokratie und repräsentativem Prinzip wird sich von den elektronischen Medien eine verstärkte Kontrolle der Öffentlichkeit über das politische System versprochen (Grossmann 1995: 15). Eine Symbiose aus elektronischer Zukunft und Basisdemokratie aus der Vergangenheit scheint machbar. Macht und Stimme werden im Sinne Platons und de Tocquevilles an die Bürger zurückgegeben, sie werden in den politischen Prozeß wieder einbezogen (reknit the citizenry into the political process; Fishkin 1995: 143). In der Literatur wird als politisches Ziel die Kontrolle des politisch-administrativen Systems und authentische Artikulierung von Bürgerstimmen (voice) angestrebt (Miller 1996), und nur ausnahmsweise um die Politikgestaltung im Sinne eines "volonté générale", der mittels eines press button voting a la Ross Perot in verbindliche Entscheidungen umgesetzt wird.
In der Praxis vieler Bürgernetze in den USA geht es viel pragmatischer ganz allgemein um die Verbesserung der Binnenkommunikation von Bürgergruppen bestimmter (Stadt-)Regionen (metropolitan areas) und nicht um die Beeinflussung des politisch-administrativen Systems. Ziele sind vielmehr die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einer Region und Überwindung sozialer Isolation durch Kommunikation. Dabei geht es z.B. um den Zugang zum Internet für Randgruppen (Behinderte, Schüler), um die ökonomische Entwicklung von Regionen, um den Aufbau mediatisierter sozialer Beziehungen zum wechselseitigen Verständnis (US-Afrikaner, US-Hispanier), um Kommunikation innerhalb von Selbsthilfegruppen (Drogenmißbrauch) (CPSR 1997) und anderes. Diese Aktivitäten wachsen. Sie sind als Virtualisierung des sozialen Lebens in einer Gesellschaft zu sehen. Virtuelle Beziehungen zwischen Individuen ergänzen und ersetzen immer stärker die direkte Kommunikation und massenmediale Vermittlung von sozialen Konventionen und Inhalten. Es wird eine Verschiebung von sozialer Inklusion und Exklusion, sozialer Kontrolle und Governance sowie von kommunikativen Stilen (Exhibitionismus/Voyeurismus) und Wahrnehmung erwartet (Kling 1998). Diese Themen werden relevante Forschungsfelder für die Sozialwissenschaften werden. Dabei ist dieser Trend zur Virtualisierung nicht durch das Internet oder die Informations- und Kommunikationstechniken angestoßen worden, sondern durch die steigende Mobilität aufgrund der Verkehrssysteme und den Möglichkeiten der Telefonie, des Rundfunks und des Fernsehens. Das Internet wirkt jetzt durch seine Funktionalitäten als Beschleuniger dieser Entwicklung.
Bürgernetze in Europa
Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa entstanden Projekte, die sich als Bürgernetze verstanden. Die "Digitale Stad" Amsterdam war das Vorzeigeprojekt in Europa, Initiativen entstanden ohne Ausnahme in allen Ländern der EU. Sogar die Europäische Kommission unter Bangemann trat für eine Förderung von Bürgernetzen in Städten ein. Ausgehend von Aktivitäten an Universitäten wurden Konzepte für Kommunen aufgestellt, um elektronische Bürgernetze aufzubauen und auszuprobieren. Bekannt ist z.B. die Bremer Infothek, die zum Ziel hatte, die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung, aber auch innerhalb der Bürgerschaft zu verbessern (Kubicek 1993). Es handelt sich um Versuche der sozialen Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken. Diese Ansätze kann man in der Tradition der "Wissenschaftsläden" der achtziger Jahre sehen, die von ihrem Konzept her auf Wissenstransfer von Wissenschaftlern zu den Bürgern hin setzten.
Mittlerweile ist in Europa eine Ernüchterung eingetreten, das Angebot ist größer als die Nachfrage. Die Beschäftigung mit diesem Thema auf Tagungen und Workshops bleibt (Barcelona 1998; IMD 1998), der Anteil an Diplomarbeiten (z.B. Irrgang 1997, Emmrich 1998) und Dissertationen wächst. Die Ansprüche und Sichtweisen scheinen sich jedoch zumindest in Deutschland verändert zu haben. Vielleicht vollzieht sich nur ein Prozeß, wie ihn die Diskussion und Realität von Telearbeit durchlebt hat. War noch Anfang der neunziger Jahre so ein geflügeltes Wort - die Anzahl an Veröffentlichungen über Telearbeit größer als die Anzahl der Telearbeitsplätze, so gilt dies heutzutage nicht mehr. Telearbeit erfaßt immer breitere Schichten von Tätigkeiten. Vielleicht greift ja die Kopierthese, nach der die Erfindung und kulturelle Einbettung von Informationstechniken in den USA erst in einer Zeitverzögerung von etlichen Jahren in Deutschland erfolgt, so wie dies an den Beispielen von Schreibmaschine, Telegraf, Telefon, Radio, Fernsehen und Computer aufzeigbar ist. Der Zeitgeist hat es in Deutschland eben nicht so eilig wie in den USA.
Die Vorgänger von Bürgernetzen haben in Deutschland keine Massenbasis gefunden, sondern blieben auf kleine Teilnehmerzahlen beschränkt und zentrierten sich thematisch häufig auf Technikfragen (CL-Netz, Btx-Mailboxen, News Groups u.a., vgl. die Beiträge von Hooffacker und Albert in diesem Band).
Festzuhalten bleibt: Community Networks haben sich in den USA etabliert und wachsen, ebenso wie die kritische Auseinandersetzungen mit ihnen. In diesem Beitrag sollen einige Unterschiede zu der Situation in den USA genannt werden (vgl. dazu auch Kleinsteuber / Hagen in diesem Band), die zu einer realistischeren Einschätzung der Zukunftsaussichten von Bürgernetzwerken in Deutschland beitragen helfen. Es werden dann Vorschläge unterbreitet, wie Bürgernetze zu fördern sind. Dabei wird aus Erfahrungen bei der Nutzung von Telekooperationssystemen für das Arbeiten zurückgegriffen. M.E. ergibt das Vorgehen der Kontrastierung interessante Hinweise über Erfolg und Mißerfolg. Ich möchte einige Aspekte aufgreifen:
Das Begriffsverständnis evoziert einen hohen, normativen Anspruch an die Qualität der
Bürgernetze
Charakteristisch für die Beschreibung von Bürgernetzen in der Vergangenheit sind die sehr weiten und teils emphatischen, normativen Beschreibungen. Diese ergänzen das technische Verständnis von Bürgernetzen als elektronisch vernetzbare Computer um die aus der gemeinsamen Kommunikation resultierenden Folgen: die virtuelle, soziale Gemeinschaft.
Mehrere Gedankenschritte sind dazu notwendig:
Computer müssen vernetzt sein;
Bürger müssen darüber polydirektional interaktiv kommunizieren;
aus der Kommunikation entsteht soziale Gemeinschaft;
die Binnenkommunikation dieser Gemeinschaften wird zu Teil- oder Gegenöffentlichkeiten;
diese Gegenöffentlichkeit wird Teil der öffentlichen Meinung und nimmt Einfluß auf die Politikherstellung.
Beispielhaft für die Definition von virtuellen Gemeinschaften ist z.B. Erickson (1997: 26). Er sieht folgende Kriterien: 1) computervermittelte Interaktion (die technische Perspektive also ergänzt um soziales Handeln) 2) Mitgliedschaft und Ausschluß 3) soziale Beziehungen 4) Beteiligung und wechselseitigen Austausch, 5) geteilte Werte und Verhaltensweisen, 6) kollektive Güter, 7) Dauer. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht geht es bei elektronischen Gemeinschaften um soziale Gruppen mit einer kollektiven Identität, die sich in Wir-Empfindungen und Wir-Forderungen äußern und die durch Rituale und Abgrenzung zum Anderen hin aktualisiert werden (Leggewie 1998: 43). Dyson (1998: 49) weist besonders auf den konstitutiven Mechanismus von Reziprozität für Gemeinschaft hin, wie ihn die Beatles so treffend formulieren: The love you take is equal to the love you make. Dieses sozio-technische Verständnis von Bürgernetzen ist von den USA übernommen worden und wird auch im deutschen Sprachkreis verfolgt (vgl. Leggewie & Maar 1997). Vielleicht liegt es gerade an diesem hohen Anspruch nach Gemeinschaftsbildung durch Bürgernetze, daß die Meßlatte für ihren erfolgreichen Betrieb so hoch liegt.
Die Metapher "Local Community Networks" wurde in Deutschland nicht zum Leitbild
Die kommunitaristische Idee der virtuellen Gemeinschaft von Netzbürgern scheint sich in Deutschland nicht durchzusetzen, statt dessen dominiert der E-Commerce, so kommentierte Tilman Baumgärtel 1997 den Beschluß des Berliner Internet-Projekts "Internationale Stadt", sich selbst aufzulösen (vgl. dazu den Bericht von Blank in diesem Band. Sicherlich gibt es viele Gründe, warum sich Bürgernetze in der Vergangenheit nicht durchgesetzt haben. Ich möchte einen weiteren hinzufügen: Elektronische Bürgernetze, lokale Gemeinschaftsnetzwerke, local community networks: das sind nach deutschem Begriffsverständnis keine überzeugenden Metaphern, keine intuitiv verstehbaren Visionen, die überzeugen.
Die Nutzung von vernetzten IuK-Techniken evoziert neue Konstruktionen von Wirklichkeit, Identität und Alltagsleben. Wir sind sozialisiert durch Konzepte der Vergangenheit, die oft neues Verständnis dominieren und dadurch das Verständnis und gerade die Nutzung neuer sozio-technischer Entwicklungen behindern können. Es kommt deshalb nicht zu einer Emergenz neuer Wirklichkeit. Das Konzept "local community networks" ist ein gutes Beispiel dafür, daß eine 1:1-Übertragung aus einer Kultur (US-Amerika) in eine andere (Deutschland) unproduktiv sein kann.
Das Konzept: Entfernung
Während es in den USA die Begriffe "room" und "space" für Raum gibt, die für sich sprechen, müssen wir im deutschen Sprachgebrauch auf den Kontext achten oder ein Wortkompositum generieren: Weltraum, Zeitraum, Wohnraum. Raum ist eng geknüpft an das Lokale, d.h. physisch erfahrbar, überschaubar, nahe, bekannt, Ort für das Zusammentreffen von Menschen. Die Nutzung vernetzter Computer evoziert genau das Gegenteil: das globale Dorf, das Virtuelle, die Telekooperation mit unbekannten Anderen, das Abstrakte: wer macht sich schon Vorstellungen darüber, wie seine e-mails physikalisch geroutet werden, wo welche Päckchen gerade fliegen? Deshalb ist der Begriff "local community network" im deutschen eher ein Widerspruch. Lokal wird als örtliche direkte Kommunikation und nicht mit dem Gebrauch von vernetzten Computern in Verbindung gebracht. Hinzu kommt das unterschiedliche Verständnis von Entfernung. Ich wohne in einer Stadt nahe Bonn. Nach amerikanischem Verständnis wäre das die Cologne metropolitan area.
Die Netzwerk-Metapher
Städte in Deutschland haben aufgrund der historischen Entwicklung Zentren, die nicht nur abstrakt sind und in der Vorstellung existieren (das Herz von Kölle), sondern sichtbare Symbole der Identifikation und Treffpunkte für Kommunikation darstellen: Marktplätze, Rathäuser, Kirchen etc. Bei einer Großzahl amerikanischer Städte läßt sich dieses Zentrum nicht lokalisieren, Identifikation findet so nicht über sichtbare Symbole statt. Deutsche Bürger sind deshalb Konzepten verhaftet, die zentrale, örtliche Symbole für Identifikation bieten. Dem steht das Netzwerkkonzept gegenüber, mit seinen flach strukturierten, heterarchischen, flüchtigen und dynamischen Elementen. Der Anteil an Selbstorganisation in solchen Netzwerken ist hoch. Dies widerspricht dem Weberschen Verständnis von bürokratischen Organisationen und dem repräsentativem Verständnis politischer Willensbildung und Entscheidung in Deutschland.
Die Gemeinschafts-Metapher
Im deutschen Sprachgebrauch löst die Übersetzung von "community" in "Gemeinschaft" intuitiv kaum positive Konnotationen aus, es sei denn, er wird konkretisiert: Notgemeinschaft u.a. Es werden heute eher andere Begriffe benutzt, Gemeinde, Verein, Gruppe, Genossenschaft und anderes. Ältere Mitbürger haben den Begriff "Volksgemeinschaft" als Nazimythos erlebt.
Natürlich hindern auch ökonomische Faktoren wie die inhibitiven Kosten der Netznutzung den Aufbau von Bürgernetzen. Die mentalen Schranken und unterschiedlichen Lebenserfahrungen sind dennoch ein wichtiger Faktor, der oft übersehen wird, wenn Konzepte aus den USA in andere kulturelle Räume bruchlos übertragen werden. Einfach kopieren, das funktioniert nicht, es behindert die Enkulturation und Weiterentwicklung von Techniken.
Aktuelle Trends
Professionalisierung
In der Gestaltung des Internets läßt sich ein Wandel beobachten. Der Grad der professionellen Aufmachung steigt gewaltig. Das Design und die Funktionalitäten der einzelnen URLs unterscheiden sich mittlerweile deutlich von den hausgemachten Seiten, die immer noch die Regel sind. Design Teams und Journalisten arbeiten zusammen, um immer bessere Angebote zu erstellen. Dies betrifft nicht nur das Layout, sondern auch die Aufbereitung der Inhalte und die Funktionalitäten wie Runterladen auf die lokale Platte, Bestellen, moderierte Diskussionen unterstützen etc. Das kann man beispielhaft an dem Web-Angebot des Deutschen Bundestages und der meisten seiner Fraktionen sehen. Die Zeitzyklen, zu denen das Erscheinungsbild und das "Look and Feel" geändert werden, werden immer kürzer. Zur Zeit öffnet sich eine Schere zwischen der professionellen Gestaltung von Web-Seiten und denen der Bürger (vgl. dazu auch die Überlegungen bei Rilling in diesem Band). Dadurch wird m.E. als Effekt ausgelöst, daß die Neigung zum Informationsanbieten durch Einzelne abnimmt, die wirklich revolutionäre Funktion des Internets über die Interaktivität hinaus. Die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG kann dadurch nicht nur passiv wahrgenommen werden als freie Wahl aus Informationsangeboten, sondern auch aktiv, nämlich selbst Sender von Informationen für ein großes Publikum zu sein. Das Privileg der Massenmedien kann und wird so auch unterlaufen (Bsp. Green Peace: Brent Spar; Berichte über Massaker in Mexiko etc.).
Aus Feldversuchen, die vor mehr als zwanzig Jahren im Zuge der Einführung des Kabelfernsehens durchgeführt wurden, und die ein lokales Bürgerprogramm anboten, ist bekannt, daß sich die Aktiven immer wieder mit dem professionellen Fernsehen verglichen haben und vom Bürger als Laien beurteilt wurden. Entsprechend sank die Bereitschaft, aktiv auf "Schülerzeitungsniveau" mitzumachen. Unprofessionelle mediale Darstellungen ziehen nicht genug Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich, das trifft auch für den lokalen Raum zu. Medien etablieren möglicherweise ein Anspruchsniveau an die Darstellung von Informationen, daß, wenn es nicht selbst erreicht wird, zu Passivität und Rezeption führt und aktives Einbringen verhindert. Nicht jeder hat die psychische Robustheit von Verona Feldbusch oder mag Karaoke singen.
Broadcasting und Interaktivität
Eine weitere Schere, die sich auftut, betrifft das Spannungsverhältnis zwischen Broadcasting und Interaktivität. Die kommerziellen Angebote im Internet (Unterhaltung, E-Commerce, teilweise auch Bildung) nehmen rasant zu. Sie sind überwiegend one-to-many Beziehungen zwischen den Interaktionspartnern, wenige senden, der Rest rezipiert (asynchrones Runterladen von Dateien). Das ist das typische Broadcast-Konzept der traditionellen Massenmedien, das der Radiotheorie von Brecht widerspricht, nach der jeder Empfänger und Sender sein sollte. Deshalb besteht die große Gefahr, daß virtuelle Gemeinschaften aus überwiegend rezeptiven Couch Potatos bestehen werden und nicht aus interaktiven Bürgern.
Diese Trends wie Professionalisierung und Rezeptivität statt Interaktivität stehen einer Entwicklung von lokalen Gemeinschaftsnetzen entgegen, die auf den aktiven Bürger setzen.
Ausblick
Es ist eine normative Entscheidung, sich für die soziale und politische Nutzung des Netzes für und gerade auch durch die Bürger einzusetzen. Dabei spielt der Einzelne (z.B. als Entwickler) aber auch das politisch-administrative System eine Rolle. Das politisch-administrative System muß Rahmenbedingungen gewährleisten, die sich auf den Zugang zu den Ressourcen einer Wissensgesellschaft beziehen:
Technischer Zugang Hardware, Software und Infrastruktur müssen für alle verfügbar sein;
Bildungsmäßiger Zugang Medienkompetenz muß in Schule und Ausbildung vermittelt werden;
Finanzieller Zugang die Kosten müssen wie beim Telefon für alle bezahlbar sein;
Öffentlicher Zugang keine Person darf vom Zugang zu den frei verfügbaren Informationen ausgeschlossen werden, sei es, daß sie es sich nicht leisten kann oder es nicht von Zuhause aus möchte;
Partizipative Entwicklung eine Teilhabekultur muß gefördert werden, in der Bürger sich aktiv einbringen und das Bürgernetz selbst gestalten (community design of community networks ), wie es z.B. in der schulischen Mitbestimmung von Eltern schon praktiziert wird.
Aus Sicht von Systementwicklern lassen sich viele Erfahrungen für die Gestaltung und Pflege von Bürgernetzen übertragen, die bei der Einführung von kollaborativen Telekooperationstechniken in Organisationen gewonnen wurden. Einige Empfehlungen lauten:
Training und kontinuierliche Betreuung es geht nicht ohne kontinuierliche, professionelle Unterstützung bei der Nutzung und Weiterentwicklung;
Institutionalisierung es muß eine Organisationsstruktur aufgebaut werden, durch die gewährleistet wird, daß Regeln und für alle verbindliche Entscheidungen getroffen und auch durchgesetzt werden;
Konventionen Nutzungskonventionen müssen gemeinsam entwickelt und akzeptiert werden;
Adäquate Metaphern um ein Bürgernetz zu etablieren und weiterzuentwickeln, sind eingängige Metaphern und Leitbilder zu schaffen, die eine gemeinsame Leitorientierung bilden;
Wahrnehmungsmechanismen um sich in den Systemen zurechtzufinden, müssen Wahrnehmungsmechanismen (awareness) geschaffen werden, die über die Historie von Dokumenten, Aktionen und Akteuren informieren. Orientierung und Navigation in Systemen muß unterstützt werden;
Offene Gestaltbarkeit (taylorability) die Systeme müssen individuell anpaßbar sein (behindertengerecht, altersgruppenspezifisch u.a.)
Verantwortung und Legitimation soziale Strukturen müssen das technische System integrieren, um Verantwortlichkeit individueller Handlungen und Legitimation von gemeinsamen Handlungen zu garantieren;
Transparenz und Kontrolle es müssen Strukturen geschaffen werden, die verbindliche Regeln für Transparenz und Kontrolle, Datenschutz und Datensicherheit in virtuellen Gemeinschaften zu sichern;
Reziprozität das Prinzip der Reziprozität sollte als Leitidee in den Handlungsvoraussetzungen etabliert werden (z.B. reine Zuschauer werden ausgeschlossen, es gibt nur Aktive u.a.).
Das sind nur einige wenige Designprinzipien für die sozio-technische Gestaltung von Bürgernetzen. Sie zu berücksichtigen bedeutet, die Hürde zur Realisierung von Bürgernetzen noch höher zu hängen. Es bedeutet auch eine Professionalisierung bei der Unterstützung für Bürgernetze. Dies ist m.E. jedoch notwendig, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein sollen. Sie werden nicht von selbst funktionieren. Neueste Ansätze (Ishida 1998) zur technischen Realisierung von Bürgernetzen versuchen, dem Folge zu leisten. Sie gehen von einem funktionalen Verständnis von Bürgernetzen aus, Infrastruktur für Bürger zu sein, ähnlich wie es das Telefonnetz heute schon ist. Der normative Auftrag bleibt dabei auf der Strecke, die soziale und politische Nutzung von Bürgernetzen wird nicht mehr thematisiert. Wenn diese Trends sich so durchsetzen, ist eine Chance zur Demokratisierung und bürgernahen Politik vertan.
Literaturverzeichnis
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