Direkte Demokratie in der Mediengesellschaft

Von Werner A. Meier
 

Ich beschreibe im folgenden Beitrag kurz die Rolle der Medien im Rahmen direkter Demokratie und thematisiere anschliessend medienpolitische Aktivitäten, die mir geeignet scheinen, dass zwischen normativen Erwartungen und tatsächlich erbrachten Leistungen keine allzu grossen Widersprüche entstehen.

Im Rahmen direkter Demokratie werden in der Schweiz die Medien als Bestandesträger der Demokratie bezeichnet und von ihnen wird eine ganze Reihe von herausragenden Leistungen erwartet:

Art. 93 Radio und Fernsehen
2 Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung sowie zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.
 
Art. 3/1 RTVG: Auftrag: Radio und Fernsehen sollen insgesamt:
a. zur freien Meinungsbildung, zu einer allgemeinen und vielfältigen und sachgerechten Information der Zuhörer und Zuschauer sowie zu deren Bildung und Unterhaltung beitragen und staatsbürgerliche Kenntnisse vermitteln.
Der politische Leistungsauftrag wird demnach in der Schweiz stark betont. Zwar nimmt die Bedeutung dieses Leistungsauftrages faktisch ab, doch Alternativen zu Medien bestehen keine.
 
Diese Aufgabenzuteilung an die Medien geschieht in erster Linie aus mangelnden Alrternativen. Während im 19. Jahrhundert viele eher kleine regionale, kleinräumige Medien und Versammlungskommunikation in eher übersichtlichen sozialen Gebilden vorherrschten, haben Kirche, Parteien und politische Gruppierungen, aber auch Vereine massiv an politischer Bedeutung eingebüsst. Nur eine verschwindend kleine Zahl von UrnengängerInnen gehören einer Partei an, besuchen Wahl- und Abstimmungsversammlungen, beteiligen sich an Standaktionen, führen räsonierende, deliberative Stammtischgespräche oder schreiben Leserbriefe. Es ist eine Minderheit, die vor Wahlen oder Abstimmungen zu Hause beim Morgen, Mittag- oder Abendessen oder am Arbeitsplatz über kommende Wahlen oder Abstimmungen mit Familienmitglieder spricht Dies trifft nicht nur zu bei Wahlen und Abstimmungen auf kantonaler und eidgenössischer Ebene, sondern auch bei Gemeindeangelegenheiten, die zur Entscheidung anstehen. Politik- und Parteienverdrossenheit ist auch in der schweizerischen direkten Demokratie täglich Realität. Ein Systemwechsel allerdings ist nicht mehrheitsfähig. Der nach wie vor ausgeprägte Stolz für die Möglichkeiten direkter Demokratie kann sich eben auch als “wohlwollende Ignoranz” dem politischen System gegenüber manifestieren.
 
Fazit: Auf der politischen Seite nehmen lediglich Minderheiten regelmässig ihre politischen Rechte und Pflichten wahr und auch viele fleissigen Urnengängerinnen sind durch die Komplexität der Abstimmungsgegenstände hoffnungslos überfordert subjektiv wie objektiv. In dieser fallweise als prekär zu bezeichnenden Situation wird den aktuellen Medien fast die gesamte Verantwortung für den deliberativen Meinungsbildungsprozesse auferlegt. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, inwieweit die führenden Medien, die sich schon längst von politischen Parteien emanzipiert und sich in ihrer Handlungslogik verstärkt eigenen unternehmerischen bzw. kommerziellen Zielsetzungen verschrieben haben, in der Lage sind, einerseits einer schleichenden Entpolitisierung der Gesellschaft Einhalt zu gebieten und anderseits die konkreten, absolut notwendigen Leistungserwartungen zu erfüllen.
 
Meine Hauptthese dazu lautet: Auch die schweizerischen Medien sind immer weniger willens, den vielfältigen politischen Erwartungen nachzukommen, sondern interpretieren den Auftrag argumentativer und sachbezogener Informations- und Meinungsbildung nach eigenen, medienspezifischen Direktiven und kommunikativen Mustern. Die Medien sind nicht in der Lage, diese soziologische, gesellschaftspolitisches Dilemmata zu entschärfen, im Gegenteil, sie verschärfen eher die Problematik. Medien lösen wenige Probleme bezüglich den Erfordernissen der direkten Demokratie, schaffen allerdings eine Reihe von neuen durch die systematische Durchsetzung kommerzieller Inszenierungs- und anderer Handlungslogiken.

Der Kommerzialisierungsprozesse im Sinne einer verstärkten medienwirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Betrachtunsgweise nahm bei allen Medien überhand, bei den einen, den öffentlichen weniger als bei den kommerziell ausgerichteten neuen Radio und Fernsehsendern. Dadurch entsteht eine sachliche wie formale Reduktion von Weltkomplexität in konsumierbare, essbare, verdauliche Dosierungen. Dabei spielt auch ein Homogenisierungs- und Agenda-Settingterror durch die Sonntagspresse, dem sich nicht einmal eine zurückhaltende Neue Zürcher Zeitung zu entziehen versteht. Jede Redaktion glaubt, nachziehen zu müssen und fragt nicht nach der Relevanz, nach der Notwendigkeit von Publizität, sondern sucht verzweifelt nach etwas, was die anderen noch nicht gemacht haben, um damit der zweifelhaften Story nicht weniger, dafür umso mehr Auftrieb zu verleihen.

Beispielsweise hatten Schweizer Medien das Wasser vor dem Hatschepsut-Tempel in Luxor auf Bildern und Filmen blutrot gefärbt, um das Ausmass des Massakers eindrücklich zu dokumentieren. Das Nachrichtenmagazin “Facts” unterstellte jüngst dem amtierenden Bundesrat Kaspar Villiger Bordellbesuche. In der Folge fühlte sich der Magistrat bemüssigt, dies an einer eigens dafür einberufenen Pressekonferenz zu dementieren.
 
Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Medien insgesamt steht auf dem Spiel, sondern die kommunikative Leistungsfähigkeit, das gesellschaftliche Gespräch zur Selbstverständigung insgesamt. Die Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit ist bei den Medien mehr als ein unternehmerisches Problem, sondern ein gesellschaftliches, ein politisches.
 
Diese Vorgänge können denn auch nicht in Form einer journalistischen Medienkritik mit anschliessendem “Mea Culpa” abgetan werden, sie erfordern vielmehr eine grundsätzliche Überprüfung der vorherrschenden Spielregeln. Damit ist die Frage nach der Steuerung und Regulierung des Mediensystems angesprochen.
 
Der Widerspruch ist offensichtlich: Politische Kommunikation über Massenmedien werden immer wichtiger, weil die “politischen” Berührungspunkte abgenommen haben (Entpolitisierung der Öffentlichkeit). Gleichzeitig verliert die “politische Kommunikation” in den Medien an Bedeutung: Politische Ereignisse und Issues haben sich gegenüber anderen durchzusetzen, auch wenn die Notwendigkeit der politischen Kommunikation durchaus eingesehen und auch formal akzeptiert wird. Nicht nur die Politik, sondern die Medien insgesamt werden immer stärker zum Bestanteil der Unterhaltungsindustrie und immer weniger unersetzliche Träger demokratischer Entscheidungsprozesse.

Medienregulierung in der Informationsgesellschaft Schweiz

Aus meiner Sicht bieten sich vier unterschiedliche Regulierungsperspektiven für das Mediensystem an: Der Markt, der Staat, die Medienunternehmen selbst und die Zivilgesellschaft.

Der Markt ist unzuverlässig, weil er überhaupt kein Garant für Vielfalt, Qualität und Relevanz darstellt. Der Staat hat in erster Linie die Medienfreiheit zu garantieren und diese nicht etwa einzuschränken. Die Selbstkontrolle der Medienunternehmen entpuppt sich vorderhand noch als Lippenbekenntnis und stösst strukturell an enge Grenzen und der Zivilgesellschaft fehlen Mittel und Instrumente, um einen wirkungsvollen Beitrag zur umfassenden Qualitätsförderung leisten zu können.

Quintessenz: Alle vier Steuerungskonzepte taugen nur beschränkt. Und das ist auch gut so. Alle müssen schwach bleiben, weil sonst die Legitimationsprobleme statt verstärkt beim Management und bei den Medienschaffenden liegen, sich diese auf die regulierenden Kräfte verlagern. Ich jedenfalls möchte die Medien keineswegs aus der Verantwortung entlassen, sondern im Gegenteil, den Legitimationsdruck für alle beteiligten Akteure erhöhen, indem ich für eine gesellschaftliche Selbstregulierung und nicht nur eine unternehmerische plädiere. Diese gesellschaftliche Selbstregulierung entsteht mit Vorteil nicht durch spontane Aktionen wie LeserInnen- oder ZuschauerInnenboykotte, sondern durch eine systematische Institutionalisierung von Aktivitäten, Massnahmen und Massnahmen. Auch die Selbstregulierung muss gesteuert werden, damit sie zuverlässig, transparent und über Zeit wirkt. Ich will das im folgenden konkretisieren.

Wenn der traditionelle Gestaltungsauftrag des politisch-administrativen Systems an Bedeutung verliert, so müssen Unternehmen, Verbände, Interessengruppen etc. verstärkt eingebunden werden. Eine Reihe von unterschiedlichen Aktivitäten, Massnahmen und Instrumente können – verbunden in losen Netzwerken - das Leistungspotenzial schweizerischer Medienunternehmen und Medienlandschaften erhöhen.

Fazit: Den Behörden und Verwaltungen kommt zunehmend auch ein koordinierender, moderierender und mediatisierender Gestaltungsauftrag zu indem sie Möglichkeiten von Aushandlungsprozessen und Selbstregulierungsmassnahmen in Gang setzen und evaluieren. Nicht Entstaatlichung und Deregulierung kann demnach das Ziel staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns sein, sondern die Etablierung von Aushandlungsprozessen zwischen allen beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen. Dafür bedarf es allerdings noch einiger politischer Anstrengungen.
 
Eine solche Anstrengung läge beispielsweise darin, die Institutionalisierung einer Stiftung Medienbeobachtung zu fordern und durchzusetzen. Ich will dies noch ein wenig ausführen, was ich darunter verstehe.

Ich plädiere daher für die Institutionalisierung einer Stiftung in Form eines Kompetenzzentrums, das lediglich als Ideenskizze auf dem Papier existiert. Dies bringt mich in eine schwierige Position, wenn man weiss, dass die Medienbranche allen solchen neuen Vorschlägen gegenüber aus Prinzip auf Distanz geht. Die Befürchtung, neue Kontrollorgane könnten das kostbare Gut der Medienfreiheit einschränken, ist nachvollziehbar und verständlich. Auch die Wissenschaft pocht prophylaktisch immer auf ihre Lehr- und Forschungsfreiheit, wohl wissend, dass diese im Alltag oft sehr pragmatisch interpretiert wird. Ich kann alle Bedenkheitsträger beruhigen: Die Stiftung Media-Watch würde im optimalen Fall lediglich über diskursive und sicher über keine hoheitliche Macht, auch über keine wirtschaftliche Macht verfügen.

Was wären die Aufgaben der “Stiftung Media-Watch”? Die Grundidee besteht darin, allen an der Medienentwicklung in der Schweiz interessierten Institutionen, Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, regelmässig aussagekräftige und zuverlässige, empirisch breit abgestützte Datensätze und Wissensbestände zur schweizerischen Medienlandschaft zur Verfügung zu stellen. Es ginge also darum:

Warum braucht es eine “Stiftung Media-Watch”?
Fazit

Mit meinem Plädoyer für die Stiftung Media-Watch erteile ich gleichzeitig eine Absage an Versuche, ausschliesslich durch den Markt oder durch staatliche, hoheitliche Eingriffe die bestehenden Defizite und Konflikte lösen zu wollen. Die zunehmende unternehmerische Medienfreiheit ist allerdings verbunden mit zunehmender Verantwortung von Verlegern und Medienschaffenden. Medienorganisationen haben der Zivilgesellschaft nicht nur Unterhaltung und Unterhaltungsjournalismus zu liefern, sondern sind gegenüber der Zivilgesellschaft verstärkt auch Rechenschaft schuldig. Die Stiftung Media-Watch möchte sowohl den Machern als auch den “einfachen” Mitgliedern der Zivilgesellschaft die Chance geben, sich am diesem Diskurs zu beteiligen, vor allem um Auskunft darüber zu geben, wie sie als Anbieter und Verbraucher zukünftig mit den Privilegien der neuen Medienfreiheit umzugehen gedenken und welche Schritte und Massnahmen sie unternehmen, damit öffentliche Kommunikation die direkte Demokratie und eine selbstbestimmte Entwicklung eher fördert und nicht etwa verhindert.