VON DER FRAUENFÖRDERUNG ZUR GESCHLECHTERDEMOKRATIE______________________________________
                                             FRAUEN UND MÄNNER MÜSSEN SICH IN BEWEGUNG SETZEN !
 

Claudia Neusüß

Wenn wir uns heute Unternehmen und Organisationen im Non-Profit-Bereich anschauen, stehen diese vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Veränderte politische und soziale Rahmenbedingungen erfordern neue Konzepte und spezifische Strategien in diesen Institutionen.
Bezogen auf die Geschlechterfrage ist in neueren Ansätzen von "diversity"oder von "Total-E-Quality"(u.a.) als Element der Personalentwicklung die Rede. Das etwas behäbig daherkommende Konzept der klassischen Frauenförderung mit Gleichstellungsbeauftragten in Institutionen und Betrieben ist mit dem Ruch des Defizitären behaftet. Aufgrund ihrer zumeist geringen Ausstattung ist ihr Einfluss von nur begrenzter Reichweite. Gleichzeitig werden sie mit erheblichen Erwartungen konfrontiert.
Auf europäischer Ebene begegnet uns unter dem Begriff des"mainstreamings" ein Ansatz, der die "Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Massnahmen der Gemeinschaft" zugrunde legt.
Für die Entwicklungszusammenarbeit formulierte der Rat der Europäischen Union 1998, daß die systematische Einbeziehung einer Analyse der Geschlechterperspektive bei der Formulierung, Planung, Durchführung und Evaluierung aller Entwicklungsmaßnahmen und -strategien die Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit sei. Wir werden über diese Ansätze im Verlaufe der Tagung mehr erfahren.

Was sind die "geschlechterpolitischen" Instrumente der Zukunft?

Ein Rückblick auf den Reformprozeß der Heinrich Böll Stiftung zeichnet die Überlegungen nach, die weg von einem konventionellen Konzept der Frauenförderung hin zu einem Ansatz führten, der den Namen Geschlechterdemokratie erhielt. Geprägt wurde der Begriff von der Berliner Trendforscherin Halina Bendkowski.
Ebenfalls deutlich werden die mit einem solchen Ansatz verbundenen Sorgen und Hoffnungen:

Die Reform
Alle früheren Stiftungen, die 1997 in der neuen Heinrich Böll Stiftung fusionierten (die alte Heinrich Böll Stiftung, der Buntstift und die Frauenanstiftung) hatten reichhaltige Erfahrungen mit frauenpolitischer Arbeit gesammelt. Insbesondere die Erfahrungen der Frauenanstiftung, die zu 100% Frauenprojekte förderte, zeigte die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen dieser Arbeit.

Erfahrungen von Isolation, Frauenpolitik als Nische ohne Einfluß auf den "Hauptdiskurs", eine nicht unkomplizierte Binnendynamik wiesen einerseits auf Grenzen und Schwierigkeiten einer allein auf Frauenpolitik und Frauenprojekte zielenden Organisationsform. Mit Blick auf eine "geschlechter-gemischte" neue Stiftung wurde andererseits befürchtet, daß in der Zusammenarbeit mit Männern die ursprünglichen feministischen Positionen untergehen bzw. abgeschwächt werden könnten.
Auch heute ist die Debatte um Frauenpolitik versus Geschlechterdemokratie im grünen Umfeld nicht unumstritten, fürchten doch manche, vertraute frauenpolitische Errungenschaften könnten angesichts von Sparzwängen und Popularitätsflaute verlorengehen, ohne dass das geschlechterdemokratisch"Neue" ernsthaft Gestalt annehme.
Unter den Reform-OptimistInnen jedenfalls bestand (und besteht!) die positive Erwartung, daß das Leitbild der Geschlechterdemokratie neue Impulse z. B. in Richtung auf Professionalisierung, Breitenwirkung und Agenda-Setting liefern werde. Insbesondere die verantwortliche Einbeziehung von Männern wird als ein Ansatz gesehen, neue Wege einzuschlagen.

Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftsaufgabe - Das Konzept der Heinrich Böll Stiftung
Das Leitbild der Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftsaufgabe ist in der Stiftungssatzung verankert. "Die Herstellung demokratischer Verhältnisse zwischen Frauen und Männern" (Helga Lukoschat) als politisches Ziel ist auf Organisationenebene mit dem Ziel verbunden, die Heinrich Böll Stiftung als eine Organisation zu entwickeln, in der die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen selbstverständlich und frühzeitig mitgedacht wird. Fundamental sind die Berücksichtigung geschlechterdemokratischer Aspekte bei der Strategie- und Programmplanung, aber auch und gerade im "Alltagsgeschäft". Dabei geht das Konzept als Instrument der Organisationsentwicklung davon aus, dass sich beide, Männer und Frauen, in Bewegung setzen müssen, um Geschlechterverhältnisse egalitär zu gestalten. Bestandteil von Geschlechterdemokratie ist daher auch, den direkten"Dialog" zwischen Männern und Frauen zu fördern und dazu geeignete Instrumente und Maßnahmen zu entwickeln. So wurde bereits im Herbst 1997 unter der konzeptionellen Leitung von Helga Braun und Mechthild Beereswill eine internationale Konferenz organisiert, die die Frage nach Gleichheit in ungleichen Verhältnissen als demokratietheoretische und -praktische Frage von "Teilhabe" in Form geschlechterdemokratischer Dialoge zwischen prominenten DemokratietheoretikerInnen stellte.

Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftsaufgabe
Zwei organisatorische Strukturelemente tragen in der gegenwärtigen Praxis der Heinrich Böll Stiftung wesentlich zur Annäherung an dieses Ziel bei: GeschlechterdemokratiereferentInnen - eine Frau und ein Mann - arbeiten an der Konzeptentwicklung und befördern geeignete Prozesse zur Entwicklung und Umsetzung. Konkret bedeutet dieren statt Anweisen, Qualifizieren statt Kontrollieren und Sensibilisieren statt Forderungskataloge aufzustellen. Eine hohe Bedeutung kommt der Kommunikation zu: Wichtiges Stichwort ist hier "präventives Denken", das heißt frühzeitig Geschlechterdemokratie (in Aktivitäten) zu konzeptionalisieren bevor "Sachzwänge" strukturkonservativ wirken.

Unterstützt wird dies durch eine "Männerquote"von max. 50 % Männern in Leitungsfunktion wie im Gesamtunternehmen - oder, vertrauter formuliert, mindestens die Hälfte aller Angestellten auf allen Ebenen sind Frauen (derzeit insgesamt etwa 70%). Die Entwicklung des Leitbildes der Geschlechterdemokratie ist außerdem als besondere Vorstandsaufgabe festgelegt und wird von einem ehrenamtlichen "Frauenrat", der ebenfalls in der Satzung als konstituierend festgelegt ist, kontrolliert und begleitet.

Zu den bisherigen, auf Innenwirkung orientierten Elementen gehören die Durchführung von gender trainings mit dem Ziel, für Geschlechterfragen und - schieflagen zu sensibilisieren, ein virtueller Workshop zur Geschlechterdemokratie und Kommunikationsforen im Intranet, Fachgespräche, kollegiale Reflexionsgruppen und ausgewiesene Schlüsselprojekte. Die Stellenbeschreibungen aller hauptamtlichen MitarbeiterInnen enthalten die Mitwirkung an der Umsetzung von Geschlechterdemokratie als einen Bestandteil des Aufgabenprofils.

Die Heinrich Böll Stiftung befindet sich mitten in einem Prozeß der Reorganisation. Dazu gehört auch, die Binnenverhältnisse geschlechterdemokratisch zu gestalten und Qualitätskriterien für Projekte und Veranstaltungen im Inland und Ausland zu entwickeln, um Standards (zum Beispiel Zielstellungen) und Reflektionspflichten als verbindlich festzulegen. Diese sollen als Instrument von Controlling und Qualitätskontrolle eingesetzt werden und damit die Steuerung unterstützen helfen.

Das Feministische Institut
Als zweites strukturelles Standbein zur Weiterentwicklung feministischer Perspektiven und kritischen Begleitung des Konzeptes der Geschlechterdemokratie fungiert seit 1998 das Feministische Institut. Diese "Tochter der Reform" stellt ein international ausgerichtetes Feld zur Förderung von Dialog, Erfahrungsaustausch und Vernetzung von Frauen aus Wissenschaft, Weiterbildung, Wirtschaft, Politik und Medien. In der gegenwärtigen Aufbauphase agiert das Feministische Institut als Abteilung mit Sonderstatus und verfügt über einen eigenen Budgetrahmen.
Das Feministische Institut soll als "Nase-vorn" - Abteilung Trends der internationalen Frauenbewegungen aufspüren und konzeptionell umsetzen helfen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten des Feministischen Instituts steht die Frage nach politischer Partizipation von Frauen und dem Transfer zwischen Wissenschaft und Politik, den Bezügen von Theorie und Praxis. Dazu gehört sowohl das Nachdenken über die Reichweite und Wirkungsweise von politisch relevanten Tomatenwürfen - wie im Rahmen der Auftaktveranstaltung: "Wie weit  flog die Tomate? - 30 Jahre neue deutsche Frauenbewegung"als auch die Entwicklung "zeitgemäßer" politischer Strategien.

Die Internationalität des Instituts wird durch sein virtuelles Kernprojekt: GLOW - das "Global Center for Womens Studies and Politics"unterstrichen.
Das Glow-Forum basiert auf dem theoretischen Ansatz einer globalen Zivilgesellschaft, die durch globale Kommunikations- und Bildungsangebote sowie weltweit verfügbare Information zu frauenpolitischen Aktivitäten und Netzwerken, Datenbanken und Forschungseinrichtungen weiterentwickelt und gestärkt werden soll.
Angesichts neuer weltpolitischer Herausforderungen und den damit verbundenen Veränderungen auch für Geschlechterverhältnisse halten wir die internationale Arbeit und die Verknüpfung von Inlands- und Auslandsarbeit für zentral: Politikstrategien von Frauen im internationalen Vergleich, wie zum Beispiel die Fragen von Global Governance und adäquaten Verhandlungsstrategien in den (neuen) globalen wie überregional lokalen Politikbezügen sind dafür nur einige Beispiele.
Das Institut könnte sich - so eine gemeinsame Vision - zu einer Anlaufstelle der internationalen feministischen Diskussion entwickeln und zur Weiterentwicklung feministischer transnationaler und transkultureller Konzepte beitragen.

Ausblick:
Es ist noch zu früh, um über Stand und Gelingen des Konzepts der Geschlechterdemokratie Auskunft zu geben.
MitarbeiterInnen der Stiftung nennen positiv, dass das Konzept der Geschlechterdemokratie sich von "alten und langweiligen Defizitansätzen" entfernt, dass "neue  Perspektiven für Männlichkeit entwickelt werden", und "Frauen in Führungspositionen sichtbar sind", dass "ohne erhobenen Zeigefinger selbst Wege ausprobiert werden können" oder dass "viele Assoziationen geweckt werden". Kritisiert wird von manchen, der Begriff sei "pathetisch", manchmal"künstlich", könne"zu neuen Scheren im Kopf" führen, "sei noch zu wenig konkret - fast noch ein Versprechen". Gewünscht wird eine noch stärkere Einbeziehung von MitarbeiterInnen in Planungen und Veranstaltungen , ein besserer Informationsaustausch und Erkenntnisse über die konkreten Umsetzungserfahrungen, ein größerer Einsatz an kreativen Methoden sowie die Dokumentation von Erkenntnisfortschritten im Rahmen eines entwickelten"Wissensmanagments".
Bis zum Frühjahr 2000 planen wir eine erste Reflexion und Bestandsaufnahme zur bisherigen Arbeit. Das mehrstufige Projekt "Geschlechterdemokratie 2000 "wurde vom Frauenrat der Stiftung initiiert und ist als eine Bestandsaufnahme angelegt, die verschiedene Aspekte in den Blick nimmt. U.a. wird die Reichweite des Konzeptes und ihr Einfluss auf die inhaltlich-programmatische Arbeit der Stiftung und die politische Öffentlichkeit analysiert. Stärken und Schwächen für die politisch-praktische Relevanz sollen herausgearbeitet werden. Welche Innovationskraft geht mit dem Ansatz einher? Kann ein Einfluss auf politische Kultur ausgemacht werden?
Einige - ganz konkrete -  Schwierigkeiten sind bereits deutlich geworden. Zeitdruck, fehlende Sensibilisierung und fachliche Kompetenz, Prioritätenkonkurrenz. "Neu denken - und handeln" erfordert zweifelsohne Zeit, Know-How, Kreativität, geeignete Instrumente und politischen Willen.

Das Konzept der Geschlechterdemokratie beinhaltet einen längerfristigen und tiefgreifenden Umgestaltungsprozess. Es liefert kein geschlossenes Weltbild , eher ein auf kontinuierliche Veränderungsprozesse angelegtes Instrumentarium zur prozesshaften Veränderung von Organisationen. Als politisches Konzept verweist es darauf, dass Demokratie solange unvollständig ist, solange sich Männer und Frauen nicht gleichermaßen an ihr beteiligen.