Thesen
1.
Die ökologische Krise ist in ihrem
Kern eine Gesellschaftskrise, ein Ausdruck der Störung des gesellschaftlichen
Naturverhältnisses. Die quantitative Betrachtung der Gefährdung
der natürlichen Lebensbedingungen durch ständig steigenden Ressourcenverbrauch
und Umweltzerstörung ist nur die eine Seite der ökologischen
Krise. Die andere Seite besteht in dem darin zum Ausdruck kommenden Verständnis
von Natur als ausbeutbare und vernutzbare Ressource für umfassende
menschliche Bedürfnisbefriedigung. Dieses Naturverständnis und
das davon geprägte gesellschaftliche Naturverhältnis beruht auf
einem Kulturverständnis, in der Kultur als das andere der Natur, als
sein Gegenpol begriffen wird.
2.
Die „Dreifaltigkeit“ des gegenwärtigen
Ökologie-Nachhaltigkeitsdiskurses: Ökonomie - Ökologie -
Soziales muß deshalb um eine vierte Dimension, die Kultur erweitert
werden. Während die quantitative Seite der ökologischen Krise
und der Weg daraus, wo es um Ressourcen und Wirtschaftlichkeit geht, als
„Ökologie der Mittel“ bezeichnet werden kann, zielt die qualitative
Seite, die vor allem eine kulturelle, ethische und ästhetische ist,
auf eine „Ökologie der Ziele“ (Wolfgang Sachs).
3.
Im Mittelpunkt einer „Ökologie der
Ziele“ steht zum einen die Natur im umfassenden Sinn, d.h., unser Natur-
und damit Kulturverständnis und nicht die Frage regenerierbarer Energien,
effizienter Stoffumsätze, sparsamen Materialverbrauchs. Zum anderen
geht es um die Kernfrage nach einem sinnhaften, guten, gelungenen Leben,
um Bedürfnisse und Bedarfe, um die Bedingungen menschlichen Lebens
hier und in den anderen Erdteilen, vor allem in den Ländern des Südens.
4.
Im Laufe der Herausbildung der modernen
bürgerlichen Gesellschaft hat sich ein Kulturverständnis herausgebildet,
in dem Kultur als Gegenteil von Natur begriffen wurde. Der Mensch schafft
sich indem er die Natur zunehmend beherrscht, ausbeutet und sich nutzbar
macht eine eigene »Gegen- oder Übernatur« (Ernst Fischer)
Natur wird zum bloßen Objekt abgewertet. Gleichzeitig wird die beherrschte
und verdrängte Natur zum Projektionsraum für Wunschbilder, Sehnsüchte
und das ganz andere. Dieser Doppelcharakter menschlichen Kultur- und Naturverständnisses
prägt auch die ästhetischen Theorien, aus denen das Naturschöne
seit Hegel ausgeschlossen ist, und das Verhältnis von Kunst und Natur,
das sich holzschnittartig von einer nachahmenden über eine skizzierende
Darstellung bis zur Nichtbeachtung in der Kunst der Moderne charakterisieren
läßt.
5.
Seit etwa ein bis zwei Jahrzehnten gibt
es immer stärkere Anzeichen für eine Revision dieser Entwicklung.
In dem Maße wie die Störung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses
nicht mehr zu ignorieren ist und sich in weltumspannenden ökologischen
Krisen niederschlägt, wird nicht nur in dem verschiedenen Wissenschaften
und Tätigkeitsfeldern das jeweilige Naturverständnis thematisiert
und z.T. revidiert, sondern auch in den Bereichen künstlerische Praxis
und ästhetische Theorie kommt es zu einer solchen Öffnung für
ein anderes Verständnis der Natur. Umweltkunst, Naturkunst, Ökologische
Kunst, Kunst in der Landschaft, Landart, u.a. einerseits, ökologische
Ästhetik, Aufwertung des Naturschönen als ästhetische Kategorie,
Ästhetik der Natur andererseits sind Ausdruck dieser Revision tradierter
Denkmuster.
6.
In der kulturellen Praxis im engeren Sinn
und in der darauf bezogenen Kulturpolitik fehlt bislang ein solcher erneute
Bezug auf Natur als Grundlage und Bereicherung menschlichen Lebens noch
weitgehend. In kaum einer Kommune sind Umsetzungsschritte zu Agenda-21-Prozessen
auch Gegenstand kultureller Praxis, und in den kulturpolitischen Neuorientierungen
fehlen in der Regel eine Infragestellungen des bisherigen einseitigen Kulturverständnisses
und Überlegungen zu einem anderen Umgang mit der Natur. Daran haben
auch Absichtserklärungen wie von der UNESCO-Konferenz von Stockholm
vom April 1998 noch nichts geändert; wo im Aktionsplan „The Power
of Culture“ als 1. Prinzip festgehalten ist: »Nachhaltige Entwicklung
und kulturelle Entfaltung sind wechselseitig von einander abhängig«.
7.
Diese Ignoranz kultureller Theorie und
Praxis gegenüber ökologischen Problemen ist deshalb besonders
erstaunlich, weil zum einen die Umweltbewegung zu einem gewichtigen Teil
auch als ästhetische Bewegung begonnen hat, als Protest gegen die
Zerstörung der als schön empfundenen Landschaften, gegen das
Häßliche, Bedrohliche, Zerstörerische der technischen Entwicklungen.
Zum anderen ist die Verdrängung ökologischer Themen auch deshalb
verwunderlich, weil Kultur immer zum Inhalt hat „wie wir leben und leben
wollen“. Wo, wenn nicht in Kultur und Kunst als Orte der Welt- und Selbsterfahrung,
bei kultureller Selbsttätigkeit und sinnhaftem Tätigsein, können
die Fragen nach einem sinnhaften Leben „jenseits des Ernstfalls“ (Bazon
Brock) praktisch angegangen werden?
8.
Die Begegnung mit dem „Unschönen
als wichtige Triebfeder ökologischen Handelns“ verweist darauf, daß
auch Schönheit ein „Lebens-Mittel“ (Toblacher Thesen 1998) ist. Das
Streben nach Schönheit als anthropologische Grundkonstante menschlichen
Lebens findet sich zu einem großen Teil in künstlerisch-kulturellen
und handwerklichen Schaffen der Menschen wieder, hat aber seinen Ort auch
in der Natur, in den Landschaften, der Attraktivität der Berge, Wälder
und des Meeres. Dabei ist die Schönheit der Natur für den Menschen
Raum der Kontemplation, der Imagination und der Korrespondenz (Martin Seel).
9.
Eine ökologisch orientierte Kulturpolitik,
die mit dem tradierten Kultur-Natur-Verständnis bricht, kann in dreifacherweise
zu einem verantwortlichen Umgang mit der natürlichen Mitwelt beitragen:
– sie kann zur Sensibilisierung für
ökologische Denk- und Handelsweisen beitragen;
– sie kann die qualitative Zieldiskussion
über sinnhaftes, gutes Leben führen helfen;
– sie kann selber in ihrer kulturellen
Praxis sich an Zielsetzungen von Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit
ausrichten.
10.
Die ökologische Sensibilisierung
mit kulturell-künstlerischen Mitteln und eine ästhetische Bildung
der Sinne ist eine mögliche und sinnvolle Form kulturell-künstlerischer
Praxis. „Öko“- und „Naturkunst“ gehören hier ebenso dazu wie
kulturelle ästhetische Bildung und sinnliche Sinnesbildung, Joseph
Beuys‘ „Einheit der Sinne“ und Hugo Kükelhaus‘ „Erfahrungsfeld der
Sinne“. Natur ist dabei gleichermaßen Feld, Gegenstand und Subjekt.
Die ästhetisch-ökologische Kulturarbeit
verpufft als gutgemeinte Methode aber oft, ähnlich wie moralische
Appelle für eine ökologisch verantwortliche Lebensweise. Zudem
sperren sich Kunst und Kultur gegen eine Instrumentalisierung, und sei
es auch für einen noch so guten Zweck. Geschieht eine solche Funktionalisierung,
verkommen sie leicht zur Öko-Agitprop-Kunst und verlören ihren
Eigensinn.
11.
Vorstellungen vom guten Leben sind philosophisch-ethische
Denkbilder. In kultureller Selbsttätigkeit und künstlerischer
Praxis einerseits, Warenästhetik, Konsumorientierung und Lebensstildifferenzierung
anderseits finden sie ihren praktischen Ausdruck. Kulturelle Praxis und
künstlerische Produktion können die Frage nach sinnhaftem, gelungenem
Leben besser thematisieren als andere Wissens- und Praxisformen und über
Zieldiskussionen dazu beitragen, einem Weg von Haben zum Sein, zu einem
„langsamer, weniger, besser, schöner (Toblacher Thesen 1992) und zu
Mechanismen, die „ressourcensparende Verlockungen, dem ressourcenverbrauchenden
Konsum“ (Karl Ganser) entgegenhalten, zu finden.
12.
Kulturelle Praxis und kulturpolitisches
Handeln ignorieren heute nicht nur den Bereich eines ökologisch verantwortlichen
Umgehens mit den Lebensbedingungen menschlicher Existenz, sondern sie sind
auch ein wichtiger Ort und Movens des "Steigerungsspiels" der Erlebnisgesellschaft
(Gerhard Schulze): weiter, mehr, bunter, prominenter. Kultur und Kunst
sind immer mehr verkommen zum Standortfaktor, zum Indikator im Städtewettbewerb,
zur Touristenattraktion. Das Diktat der Einschaltquote ist kein "Privileg"
vom Kommerzfernsehen und Kulturindustrie, sondern prägt auch die öffentliche
Kulturpolitik. Quantität statt Qualität ist nicht erst seit der
Krise der öffentlichen Haushalte das Motto der meisten Kultureinrichtungen
und der Kulturpolitik, die in der Regel stolz Besucherzahlen präsentiert
bevor über ein inhaltliches Ziel gesprochen wird.
13.
Ein Bruch mit dieser Kulturpolitik setzt
eine inhaltliche Zieldiskussion voraus. Orientierung können hierbei
Leitbilder einer nachhaltigen Entwicklung sein wie sie in den Diskussionen
um sustainable development in der Nachfolge des Brundtland-Berichtes und
der Deklarationen der UNO-Konferenz »Umwelt und Entwicklung«
in Rio 1992 erarbeitet wurden. (Wobei »Nachhaltigkeit« kein
Ziel, sondern eine Qualität zielorientierten Handelns ist.)
Ausgangspunkt für die Entwicklung
einer ökologisch orientierten Kulturpolitik können beispielsweise
Leitbilder aus der Studie »Zukunftsfähiges Deutschland«
des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sein, die dann
auf kulturpolitische Zielsetzungen und kulturelle Praxis angewandt werden
müssen:
»4.1 Rechtes Maß für
Raum und Zeit: Entschleunigung und Entflechtung, langsamere Geschwindigkeiten,
kürzere Distanzen....
4.3 Von linearen zu zyklischen Produktionsprozessen:
Unterschiedliche Zeitdimensionen von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft,
Einstieg in eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise, ... ökologische
Produktpolitik
4.4 Gut leben statt viel haben: zweideutiger
Wertewandel, ... Überdruß am Überfluß, Wohlstand
light, Zeitwohlstand statt Güterreichtum, Eleganz der Einfachheit
4.7 Stadt als Lebensraum: Was eine Stadt
braucht und verbraucht, städtische Eigenart schwindet, der Weg zur
Stadt als lebenswertem Ort,
4.8 Internationale Gerechtigkeit und globale
Nachbarschaft: ... Den doppelten Standard aufheben, Mehr Chancengleichheit
herstellen...Globale Nachbarschaft – und wie sie entstehen kann.«