Lena Ulbricht

Alles beim Alten?
Frauenselbstverständnis und Frauenpolitik zwischen den Generationen

Bericht vom dritten "Ladies Lunch on tour"
am 10. Juni 2005 im Frankfurter Gallus-Theater

Am 10. Juni 2005 lud die Heinrich-Böll-Stiftung Hessen im Frankfurter Gallus-Theater zu ihrem dritten "Ladies Lunch" ein, der zum länderübergreifenden Projekt "Ladies Lunch on tour" mehrerer Landesstiftungen und des feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung gehört. Da die Veranstaltung im Zeichen der Generationenfrage stand, waren als Gäste jeweils zwei Vertreterinnen der "älteren" und der "jüngeren" Frauengeneration eingeladen. Für die Frauenbewegung der 70er Jahre kamen Franziska Becker, Karikaturistin bei verschiedenen Zeitschriften wie z.B. der Emma, und Antje Vollmer, Abgeordnete im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Den "Nachwuchs" vertraten Oda Albers, Redakteurin bei der Brigitte Young Miss und freie Journalistin und Nicole Maisch, Vorsitzende der Grünen Jugend Hessen. Der Abend wurde durch die frauenpolitische Sprecherin des hessischen Landesvorstands der Grünen Ingrid Borretty eröffnet und von der Journalistin Gesine Kleinschmit moderiert.

Im Zentrum der Veranstaltung standen folgende Fragen:
Beruht die Krise der Frauenbewegung auf einem Generationenkonflikt? Wie unterscheidet sich das Frauenselbstverständnis in den verschiedenen Generationen und wie wird die eigene Sozialisation als Frau gesehen? Was verstehen die anwesenden Frauen unter dem Begriff Feminismus und welche Einstellung haben sie zu Frauenpolitik? Wie bewerten sie den aktuellen Stand der Geschlechterverhältnisse und gibt es noch Bereiche, in denen Frauensolidarität notwendig wäre?

Da die Veranstaltung als Erzählcafé konzipiert war, fanden die Podiumsteilnehmerinnen viel Raum, von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten. Es wurde deutlich, dass alle generationenübergreifend bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht hatten. Bei den jüngeren Frauen waren diese jedoch noch nicht so gravierend aufgetreten, zumindest im privaten Bereich hatten sie mit geringeren Widerständen und Hindernissen zu kämpfen gehabt als die Pionierinnen der 70er Jahre, die diese Freiheit erst erkämpfen mussten. Hatten die jungen Frauen einerseits das Gefühl, auf die Unterstützung der gleichaltrigen Männer zählen zu können und auch in der Ausbildung und in der Berufswahl Freiheit zu genießen, hatten sie andererseits im Beruf (Zeitschriftenwesen) und in der Politik (Grüne Jugend Hessen) bereits feststellen müssen, dass sie als Frau mit geschlechtsspezifischen Problemen zu kämpfen haben.
Dennoch waren sich die jungen Podiumsteilnehmerinnen in ihrer Distanzierung von der Frauenbewegung einig, der sie zwar viel zu verdanken hätten, der sie sich aber fern fühlten. Besonders Attribute wie das -damals so typische- burschikose Aussehen und die konfrontative Haltung gegenüber Männern lehnten sie ab. Sie wiesen darauf hin, dass in ihrer Generation diese Form des Feminismus regelrecht als Makel gilt. Sie verstehen sich eher als "Privatfeministinnen", die sich gemeinsam mit ihren Männern für eine Umdeutung der Geschlechterrollen einsetzen, indem sie das jeweilige von ihnen präferierte Modell leben und in ihrem persönlichen Umfeld wirken.
Zur Frage der Frauenpolitik in unmittelbarer Zukunft wurde der Vorschlag geäußert, jungen Frauen ein Organ zu geben, in dem sie sich repräsentiert fühlen und über das sie sich eine Öffentlichkeit schaffen können: eine alternative feministische Zeitschrift ("Young Emma").

Die Vertreterinnen der Frauenbewegung legten in Bezug auf die 70er Jahre ein erstaunlich ehrliches und mutiges Maß an Selbstkritik an den Tag. Dennoch ermutigten sie die jungen Frauen, ihren Kampf -angesichts der fortdauernden Benachteiligung- weiterzuführen und der zunehmenden Individualisierung und Entsolidarisierung die Stirn zu bieten.

Das zahlreich erschienene und sehr engagierte Publikum steuerte aus persönlicher Erfahrung gespeiste Berichte und Kommentare bei. Ein neuer Aspekt, der die Gemüter erregte, war der Schönheits- und Schlankheitswahn, dem junge Frauen ausgesetzt sind. Es wurde thematisiert, dass Frauen heute auf vielen Ebenen Leistung, bzw. Perfektion abverlangt wird: neben dem Beruf und der Familie eben auch im äußeren Erscheinungsbild. Hinter dem Schönheitswahn steht eine enorme Industrie von Mode, Kosmetik, Sport, Nahrungsmitteln und Wellness. Resultat sind unzufriedene, unsichere junge Frauen, die diesen Konflikt um die Schönheit allein mit sich ausmachen. Nicht selten entstehen daraus verschiedene Formen der Essstörung. Hier bot sich den älteren Frauen die Gelegenheit, die Jüngeren an einen Kerngedanken ihrer Bewegung zu erinnern, der offensichtlich nach wie vor aktuell ist: Das Private ist politisch und muss in die Öffentlichkeit gebracht werden.

Zum Ende der Veranstaltung war klar, dass sich die Generationen aufgrund ihrer Sozialisation zwar unterscheiden, jedoch alles andere als konfliktiv sind. Die Jüngeren sind weniger kämpferisch, da sie bereits von den Errungenschaften der Älteren profitieren. Von deren Organisations- und Mobilisierungserfahrung können sie jedoch viel lernen.

Da zum Ende der Veranstaltung das Bedürfnis der Teilnehmerinnen, sich eingehender auszutauschen, groß war, blieb ein Großteil der Frauen zum anschließenden Imbiss. In kleinen und größeren Gruppen wurde mehrere Stunden lang weiterdiskutiert.
Die Resonanz war durchweg überaus positiv, auch wenn nur maximal ein Viertel der anwesenden Frauen jünger als 30 war. Die jungen Frauen auf dem Podium zeichneten sich dafür durch große Lebendigkeit und aufschlussreiche Redebeiträge aus. Besonders Oda Albers profitierte von Ihrer Arbeit bei Frauen- und Mädchenmagazinen und stellte hin und wieder ihre persönliche Meinung in den Hintergrund, um Auffassungen, die ihrer Ansicht nach von einer Großzahl junger Frauen vertreten werden, darzustellen.

 

Die Verfasserin war von April bis Juli 2005 Praktikantin bei der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen. Die 21-Jährige studiert in Berlin und Paris Politikwissenschaft.