Lida M. v.d. Broek
Der Tropfen, der das Faß
zum Überlaufen brachte, führte im Unternehmen Hoogovens Package
Steel (HPS) 1) zur Bildung der Arbeitsgruppe ”Einschüchterung/Diskriminierung”.
Für jede der beteiligten Personen stellte ein anderes Erlebnis diesen
letzten Tropfen dar: Für einen Arbeiter waren es die Bemerkungen,
die nach der Bijlmer-Katastrophe - beim Absturz eines Flugzeugs auf ein
Wohngebiet, das von vielen ausländischen Bürgerinnen und Bürgern
bewohnt war, wurden zahlreiche Menschen getötet - gemacht wurden:
”Ich hätte nichts dagegen, wenn noch mehr Flugzeuge abstürzen
würden.” Für jemand anderen war es die Versetzung einer Kollegin,
die Opfer sexueller Belästigung geworden war, während ihr Peiniger
unbehelligt blieb. Für eine dritte Person war es der 50. Geburtstag
eines farbigen Kollegen, zu dessen Anlaß ein Poster mit der Aufschrift
”Heute Negerküsse gratis” aufgehängt wurde. Auf Managementebene
gab das plötzliche Erscheinen einer Speisekarte mit rassistischen
Inhalten den direkten Anlaß dazu, die Initiative der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, eine Arbeitsgruppe zu gründen, zu unterstützen.
Natürlich waren alle erwähnten Beispiele ”nur scherzhaft gemeint”
und ”sollten keine Beleidigung sein”, aber das Maß war voll, und
die Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Einschüchterung/Diskriminierung
wurde ins Leben gerufen.
Diese Arbeitsgruppe nahm
mit Kantharos 2) Kontakt auf, als sie nach einem Beratungsbüro suchte,
das dabei helfen könnte, ein mit spielerischen Elementen gestaltetes
Diskussionsprogramm zu erstellen. Der ”colour-test” 3) ist eine von Kantharos
eingesetzte Methode: Es handelt sich hierbei um ein Spiel, welches die
Diskussion über Diskriminierung und Rassismus anregt und das sich
als sehr geeignet für große Gruppen erwiesen hat.
Dieser Aufsatz beschreibt die theoretischen Grundlagen, die Entwicklung und die Umsetzung des Projekts ”Einschüchterung und Diskriminierung”, wie es von Kantharos von Sommer 1995 bis Mai/Juni 1996 durchgeführt wurde.
Diversity als zentraler
Ansatz
Themen wie Einschüchterung
oder Diskriminierung assoziiert man normalerweise mit Frauen oder Farbigen
in ihren - so wahrgenommenen - Rollen als Opfer anstößiger Behandlung.
Es zeigt sich jedoch, daß auch weiße Männer von den Problemen,
mit denen Farbige oder Frauen konfrontiert werden, betroffen sind. Häufig
bleibt dies unbemerkt, da es über die Jahre ”zur Selbstverständlichkeit”
geworden ist. Obwohl sich die Arbeitsgruppe bei HPS zunächst den Problemen
von Frauen und Farbigen gewidmet hat, wurde während der Diskussionen
deutlich, daß jede und jeder in der Firma zum Mobbing-Opfer werden
könnte. Über jede/n werden hin und wieder ”Witze” gemacht, jede/r
kann Spitznamen bekommen oder mit geringschätzigen Ausdrücken
bedacht werden. Je nach Reaktion und je nach der eigenen Fähigkeit,
entsprechend zu kontern, wird man entweder akzeptiert oder aber man wird
das nächste Ziel von Mobbing-Aktionen. Unsicherheit, Aussehen und
persönliche Präferenzen werden gnadenlos zum Gegenstand alltäglicher
Frotzeleien. Frauen und Farbige sind hier nicht die Ausnahme, sie bestätigen
vielmehr die Regel. Wie in der Gesellschaft insgesamt werden allgemein
bekannte und mehr oder weniger akzeptierte Klischees leicht als Vorurteile
gegenüber Frauen und Farbigen herangezogen.
Es ist äußerst wichtig, von den Themen Mobbing und Einschüchterung im allgemeinen auszugehen, wenn man die spezifischen Probleme sowohl von Frauen als auch von Farbigen lösen möchte. Denn warum sollte die Mehrheit der weißen Männer an einer besseren Behandlung von Frauen und Farbigen interessiert sein, und dabei die eigene Position in Zeiten der Unsicherheit schwächen, wenn es nicht zu ihrem persönlichen Vorteil wäre? Ideologisch oder ethisch gesehen könnte es einige Begründungen hierfür geben, aber Ideologie zahlt sich nicht aus, und ernähren kann sie einen auch nicht.
Während unserer Voruntersuchungen für dieses Projekt behaupteten die meisten Beschäftigten, daß Frauen und Farbige nicht anders als andere behandelt werden. ”Wer die Kultur akzeptiert und sich ihr anpaßt, wächst hinein - wenn man dies nicht tut, ist man ‚draußen‘, aber dann hat man es nicht anders gewollt!” Auch Frauen und Farbige sagen, daß es dazugehört, mit der Kultur zurechtzukommen: ”Ja, sie machen ständig sexuelle Anspielungen, aber damit kann ich umgehen, manchmal mache ich sogar mit. Das ist einfach nur Spaß und gibt uns neuen Antrieb, da die Arbeit schon langweilig genug ist.” Oder, wie ein farbiger Mann sagte: ”Ja, natürlich machen sie rassistische Bemerkungen und Witze, aber das ist nur Spaß, sie meinen das nicht persönlich!”
Ein anderer Grund, warum man Frauen und Farbige nicht separat betrachten sollte, ergibt sich aus der Diskussion über die bevorzugte Behandlung von Frauen oder ethnischen Minderheiten bei der Besetzung von Arbeitsplätzen (Quotenregelung). Der Widerstand gegen die bevorzugte Behandlung am Arbeitsmarkt wächst. Moderne Formen der Quotenregelung haben häufig bruchstückhaften Charakter, da sie normalerweise in der Unternehmenspolitik nicht fest verankert sind und sich lediglich auf die Personalpolitik beschränken. Quotenregelungen haben das Ziel, ”Ausnahmen für andere” zu machen, in der Regel für Frauen oder Farbige. ”Wie können sie Teil der Firma werden” und ”Auf welche besonderen Bedürfnisse muß man bei ihnen Rücksicht nehmen, damit sie sich in den Betrieb eingliedern können?” Diese Fragen legen den Schwerpunkt auf der Problematik, daß die neue Gruppe vorübergehend auf eine besondere Unternehmenspolitik angewiesen ist, um sich anpassen zu können. Keiner fragt sich, warum diese ”besondere Unternehmenspolitik” notwendig ist und welche organisatorischen Veränderungen erforderlich sind, damit die Situation im Betrieb für jede und jeden zufriedenstellend ist. Die Interessen und Bedürfnisse weißer Männer, die bereits zum Unternehmen gehören, werden nicht berücksichtigt. Somit gerät die dominierende Gruppe im Unternehmen in ein Konkurrenzverhältnis zur ”neuen Gruppe” und wird, ohne es zu wollen, in die Gegenoffensive gedrängt. Dies ist strategisch nicht wünschenswert und kann kann im Grunde als eine Lektion betrachtet werden, die aus den ersten Jahren der Quotenregelung bei der Besetzung von Arbeitsplätzen gelernt wurden. Damit tauchte gleichzeitig die Idee von ”Diversity”auf. Diversity-Management bedeutet, Unternehmensstrukturen zu entwickeln, die für alleVorteile bringen, für die ”Newcomer” genauso wie für die ”Oldtimer” (vgl. Cox, 1993).
Wir hatten also genügend Gründe, ein Programm zu entwickeln, das sich nicht nur auf die Probleme von Frauen und Farbigen konzentriert, sondern sich insbesondere mit dem Problem Mobbing im allgemeinen auseinandersetzt. Ein solches Programm würde uns in die Lage versetzen, die besonderen Probleme von Frauen und Farbigen als Teil des Ganzen zu behandeln und sie als spezifische ”Anschauungsbeispiele” heranzuziehen.
Voruntersuchungen
Ein Projekt zum Thema Einschüchterung/Diskriminierung
sollte vor allem zu einer anderen Einstellung und dann zu einem geänderten
Verhalten führen. Obwohl dies ein langfristiges Ziel ist und nicht
in vollem Umfang in einem Ein-Jahres-Projekt erreicht werden kann, haben
wir diese Zielsetzung angestrebt. Unser kurzfristiges Ziel war es, die
Diskussion über Einschüchterung/Diskriminierung in der ganzen,
ca. 1400 MitarbeiterInnen zählenden Firma, in Gang zu bringen.
Betriebliche Veränderungen können nur herbeigeführt werden, wenn sie zur bestehenden Unternehmenskultur passen. Wenn aber Elemente der Unternehmenskultur mit den gewünschten Veränderungen in Widerspruch stehen, ist es notwendig, sie aufzuzeigen und darüber zu sprechen (vgl. Thomas Roosevelt, 1991). Im Rahmen der Voruntersuchungen war es unser Ziel, die produktiven wie auch die kontraproduktiven Faktoren in der Unternehmenskultur aufzuzeigen.
Analyse der Stärken
und Schwächen
Für eine kurze Zeit
von ungefähr drei Wochen sammelten wir unsere Informationen so, wie
es normalerweise Anthropologen tun: herumlaufen, mit den Leuten sprechen
und versuchen, ”Muster” in ihrem Verhalten und ihren Äußerungen
auszumachen. Nachdem wir die ersten Daten zusammengestellt hatten, bereiteten
wir für einige Leute längere Interviews vor. Dadurch lernten
wir den Produktionsprozeß, die Leute an ihrem Arbeitsplatz, ihre
Sprache und ihren typischen Tagesablauf kennen.
Wir fanden heraus, daß
es einige Dinge gibt, die den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von HPS
sehr wichtig sind. Als erstes war auffallend, daß sowohl die Arbeiter
und Arbeiterinnen in der Produktion als auch die Angestellten in der Verwaltung
und im Management stolz auf ihr Produkt und den Herstellungsprozeß
sind. Mit viel Begeisterung und großem Stolz wurden uns die Fließbänder
gezeigt: Die Leute erzählten uns, wie heiß und gefährlich
einzelne Stufen des Herstellungsprozesses sind, wie mit Unfällen am
Montageband umgegangen wird und wie man ständig versucht, den Qualitätsansprüchen
der Kunden gerecht zu werden. Es gibt viele Beschwerden über die Firma;
über die Arbeitsbedingungen, die Schichten, die Hitze in der Montagehalle
im Sommer und deren Kälte im Winter sowie über das Management.
Dennoch sind die Arbeiter und Arbeiterinnen stolz auf ihre Produkte, den
Herstellungsprozeß und darauf, bei HPS zu arbeiten. Zweitens wird
ein gutes Arbeitsklima, auch als Entschädigung für andere Unannehmlichkeiten,
als sehr wichtig erachtet. Viele finden, daß das Frotzeln und Herumalbern
wichtig sei, um bei guter Laune zu bleiben. Über jede/n werden alle
möglichen ”Witze” gemacht. Dadurch wird die tägliche Routine
vergnüglich: Es passiert etwas und es gibt viel zu lachen. Dem einen
wird Wasser über den Kopf geleert, Öl und Fett werden in die
Taschen, die Handschuhe oder auf den Stuhl von jemandem geschmiert - Beispiele
hauptsächlich dafür, wie jemand zu einem ”Publikum” kommt, was
ein wichtiger Aspekt des Herumalberns ist. Drittens ist das Thema Sicherheit
den Beschäftigten sehr wichtig. Einige Abschnitte des Montagebands
sind lebensgefährlich und können Opfer fordern. Sicherheit wird
also als sehr wichtig erachtet, und dies ist ein Aspekt, der das Zusammengehörigkeitsgefühl
fördert. Einen letzten wichtigen Faktor im zusammenhang mit dem Thema
Einschüchterung bezeichnen wir mit dem Ausdruck caring-culture
- Kultur der Fürsorglichkeit. Jedesmal wenn wir die Firma besucht
haben, gab es eine Situation oder einen Umstand, aus dem heraus ein Zusammengehörigkeitsgefühl
entstand. Manchmal waren das persönliche Probleme, für die Lösungen
gefunden werden mußten. In einem Fall benötigte jemand vorübergehend
ein Dach über dem Kopf , in einem anderen Fall hatte jemand einen
Unfall, und seine Kollegen und Kolleginnen machten sich Sorgen darüber,
ob er seinen alten Job je wieder ausführen könne. ”Wir werden
uns darum kümmern, wir werden ihn zurückholen und dann selbst
eben ein bißchen mehr arbeiten”, meinten seine Kolleginnen und Kollegen.
Die zusätzliche Arbeit ist für sie selbstverständlich und
sie besprechen untereinander Lösungsmöglichkeiten. Die vier hier
vorgestellten Faktoren betrachten wir als Stärken, die den Verlauf
des folgenden Projekts unterstützen sollten.
Demgegenüber entdeckten
wir drei Elemente, die das Phänomen der Einschüchterung bei HPS
verstärken. Erstens gab es auf allen Ebenen Mißtrauen: innerhalb
der einzelnen Schichten, zwischen verschiedenen Schichten und auf jeder
Ebene der Hierarchie waren die Leute ständig auf der Hut und immer
bereit zurückzuschlagen. Sehr verbreitet ist das Mißtrauen gegenüber
dem Management. Von seiten des Managements gab es einen Mangel an Vertrauen
gegenüber den MitarbeiterInnen. Uns Außenstehenden ist aufgefallen,
daß kleine Vorkommnisse, die auf verschiedene Art und Weise interpretiert
werden konnten, immer mit einer negativen Sichtweise belegt wurden: ”Das
machen sie absichtlich.” Das zweite Element, auf das wir aufmerksam wurden,
war der sogenannte big mouth aspect. Jemand mit einer großen Klappe
wird beachtet und respektiert. Leute, die nicht bestimmt auftreten, die
unsicher sind, die zweimal über etwas nachdenken, die ein bißchen
mehr Zeit brauchen, um zu reagieren, werden ausgegrenzt. Wenn du zur Gruppe
gehören willst, mußt du dich anpassen und entweder selbst eine
große Klappe entwickeln, oder deinen Mund halten und ruhig deine
Arbeit verrichten. Leute, die sich für andere Meinungen starkmachen
oder die etwas gegen Beschimpfungen unternehmen, sind unbeliebt oder werden
(in letzterem Fall) als hinterhältig bezeichnet. Schließlich
entdeckten wir das Element der strong group atmosphere. Dieses Element
kann einschüchterndes Verhalten fördern oder verhindern; im Moment
wirkt es fördernd. Jede/r muß sich den Werten der Gruppe anpassen,
EinzelgängerInnen werden nicht toleriert. Die beste Überlebensstrategie
besteht darin, sich der Gruppe anzupassen und dies heißt auch, ihren
Humor zu akzeptieren und mitzumachen, auch wenn das bedeutet, sich bei
Mobbing und Albernheitenzu beteiligen, die nicht lustig sind.
Das Gefühl von Stolz
auf das Produkt und den Herstellungsprozeß, der Wunsch nach einem
guten Arbeitsklima, die Betonung des Sicherheitsaspekts und das Phänomen
des Sich-Kümmerns und Sich-Sorgens auf der einen Seite, und das Mißtrauen,
der big mouth aspect und die Gruppenbildung auf der anderen beeinflussen
sich gegenseitig stark. Zu Beginn des Projekts überwiegen die negativen
Aspekte die positiven. Ziel bei der Entwicklung des Programms ist es, dieses
Verhältnis umzukehren. Unsere Strategie besteht darin, zunächst
die positiven Aspekte zu maximieren, ihnen besondere Aufmerksamkeit und
Bedeutung zukommen zu lassen und zu zeigen, wie man die negativen Aspekte
minimieren kann.
Einschüchterung?
Wir werden sie besiegen!
”Wir werden sie besiegen”
wurde zum Slogan, der am besten beschreibt, wie Einschüchterung innerhalb
der Firma wahrgenommen wird. Vorfälle von einschüchterndem Verhalten
werden bestätigt und gleichzeitig geleugnet. Es werden viele Witze
gemacht, Leuten Streiche gespielt, und häufig wird eine sehr grobe
Ausdrucksweise benutzt, ohne dass das böse gemeint sein soll. Scherze
sollten nicht auf Kosten anderer gemacht werden. ”Wenn jemand damit
nicht zurecht kommt, sollte man aufhören”, sagte man uns in aller
Aufrichtigkeit. Aber wenn jemand zusammenbricht, heißt es: ”Sie haben
es nicht anders gewollt” oder, ”Er ist sowieso ein Bastard, der eine Lektion
verdient hat” oder aber ”Sie hält ja gar nichts aus.” Wichtig ist,
”daß es nicht böse gemeint war.” Geht man also von den ”guten
Absichten” des Peinigers oder der Peinigerin aus, bleibt die Wirkung der
Einschüchterung unbemerkt. Man neigt dazu, sie zu übersehen und
das Opfer zum Schuldigen/zur Schuldigen zu machen.
Wenn aber die Leute wirklich
meinen, was sie sagen, und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dann
besteht die Hauptaufgabe darin, die Wirkung der sogenannten ”Witze” sichtbar
zu machen. Von oben beschriebener Haltung ausgehend entwickelten wir eine
Übung, bei der alle einschüchternden und diskriminierenden Vorfälle
bei HPS aufgelistet wurden. Die ÜbungsteilnehmerInnen mußten
dann angeben, ob die Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben
oder ob sie erfunden waren und ob sie zulässig seien. Bei der Zusammenstellung
der Listen stellte sich heraus, daß nach Meinung der TeilnehmerInnen
die meisten Vorfälle unzulässig seien, und daß sie gleichzeitig
glaubten, daß diese Vorfälle nicht bei HPS stattgefunden hätten.
In den Seminargruppen konnte in der Regel eine Person aus eigener Erfahrung
bestätigen, daß es tatsächlich zu den Vorfällen gekommen
war. Diese Konfrontation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit der alltäglichen
Realität ließ bei vielen von ihnen plötzlich Verständnis
aufkommen. Nach den Seminaren fielen TeilnehmerInnen häufig Fälle
von einschüchterndem Verhalten ein, die sie vor Beginn des Projekts
nicht als solche bezeichnet hätten, die sie aber jetzt ganz sicher
so nennen würden.
Das Programm
HPS wollte ein Halbtagesprogramm
für alle 1400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anbieten. Damit ein
zeitlich so begrenztes Programm wirkungsvoll ist, muß es in ein größeres
Projekt eingebettet sein und von Seiten der Firma breit unterstützt
werden. Daher entwickelten wir ein Programm, das sich in verschiedene Phasen
gliederte. Als erstes wurden eine Öffentlichkeitskampagne und einige
”Grundlagenseminare” geplant. Um eine breite Unterstützung zu schaffen,
stand das ”Grundlagenseminar” einer großen ArbeitnehmerInnengruppe
offen: 140 ArbeitnehmerInnen; die entspricht 10 % der Beschäftigten.
Es nahmen MitarbeiterInnen aller Unternehmensebenen und aus allen Business
Units teil. Im Rahmen der Öffentlichkeitskampagne wurden ein halbes
Jahr lang Plakate ausgestellt. In der Firmenzeitschrift erschienen Artikel
über Einschüchterung und Berichte über die Seminare und
das Programm. Als zweiter Schritt sollte das Programm für eine schichtvon
TeilnehmerInnen des Grundlagenseminars durchgeführt werden:
in zwei weiteren Seminaren wurden dreißig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
geschult. Als drittes wurde das Programms für die Gesamtbelegschaft
angesetzt. Über einen Zeitraum von zwei Monaten konnten alle Abteilungen
am Programm teilnehmen. Das Programm bestand aus einem ”Einschüchterungs-/Diskriminierungsspiel”,
auf das Diskussionsrunden folgten. Schließlich wurde in einem Auswahlverfahren
eine Vertrauensperson für Vorfälle von Einschüchterung/Diskriminierung
gewählt mit der Aufgabe, Hilfestellung zu leisten, Probleme aufzudecken,
im Falle von Beschwerden zu vermitteln und einen in die Unternehmensstruktur
stärker integrierten Ansatz zum Umgang mit Einschüchterung zu
entwickeln.
Die Wirkung
Während aller Phasen
des Projekts wurden Gruppen mit größtmöglicher Vielfalt
gebildet. Die wichtigsten Diversity-Faktoren sind Hierarchie, Bildung,
Arbeiter/Arbeiterin vs. Büroangestellter/Büroangestellte, Alter
sowie Geschlecht und ethnische Herkunft. Diese Vielfalt war während
der Grundlagenseminare von großer Bedeutung. Büroangestellte
und MitarbeiterInnen des Managements dachten im allgemeinen, daß
Einschüchterung kein Thema innerhalb der Firma sei, während Beschäftigte
in der Produktion und MitarbeiterInnen der untersten Ebenen der Meinung
waren, daß die Dinge, die passierten, dazugehörten. Reaktionen
wir ”Du glaubst, das kommt nicht vor? Natürlich tut es das!” von seiten
der FabrikarbeiterInnen und ”Und Sie halten das für normal? Sie machen
wohl Witze!” von seiten der Büroangestellten machten viele Leute nachdenklich.
Es war für die MitarbeiterInnen eine einzigartige Erfahrung, miteinander
in Kontakt zu kommen und mit den unterschiedlichen Einblicken, Erfahrungen
und Meinungen konfrontiert zu werden. Später wurden im Rahmen des
Programms für die Gesamtbelegschaft die Erfahrungen der FabrikarbeiterInnen
und die der Angestellten gleichwertig und komplementär genutzt. Durch
Unterschiede hindurch entstanden Zusammenarbeit und Solidarität; dies
hatte einen großen Einfluß auf die Qualität von Unterstützung
zur Minimierung von Einschüchterung.
Als sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des ersten Grundlagenseminars trafen, waren die meisten von ihnen mehr oder weniger skeptisch: ”Wofür brauchen wir das denn?”, ”Ist das nicht ein bißchen übertrieben?”, ”In unserem Team gibt es keine Diskriminierung”, ”Warum wurde ich denn eingeladen? - Ich diskriminiere doch niemanden, oder?” Die Teilnahme am Seminar war freiwillig aber wir betonten ihre Wichtigkeit. Zunächst wollten sich einige davor drücken, mitzumachen. Auch die zweite und dritte Gruppe reagierte ähnlich. Aber plötzlich war ein Teil der vierten Gruppe dann doch begeistert. ”Sie sagten mir, das Seminar sei interessant und daß man dabei etwas lernen könne, und da dachte ich, wollen wir doch mal sehen.” Nach Abschluß der Seminare wurden Aussagen gemacht wie: ”Normalerweise schlaf ich bei Weiterbildungsseminaren nach der Hälfte ein - das ist mir dieses Mal nicht passiert.” Die letzten Basisseminargruppen wurden immer größer. ”Kann mein Kollege/meine Kollegin auch teilnehmen? Dann können wir das Problem Einschüchterung in unserer Gruppe gemeinsam angehen.”
Was sind nun die wesentlichen Bestandteile des Grundlagenseminars? Wir begannen mit einer Einführung, in deren Mittelpunkt die positiven Aspekte der Firma stehen. Wir erzählten von den Erfahrungen, die wir mit der Firma gemacht haben und berichteten, wie man auf uns reagiert hat. Dann zeigten wir die negativen Aspekte auf, um deutlich zu machen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Ziel des Seminars war es, die positiven Aspekte durch Minimierung der negativen Aspekte zu maximieren. Als nächstes brachen wir das Eis, indem wir an positive und witzige Situationen in der Firma erinnerten. Dann konzentrierten wir uns auf Mobbing-Erlebnisse, wie wir sie aus unserer Schulzeit kennen, odervom Sport oder aus Berichten von den Kindern der Beschäftigten. Zwangsläufig wurden dann auch Beispiele von Mobbing am Arbeitsplatz genannt. Am Nachmittag des ersten Tages machten wir Übungen, die Gruppenmechanismen, ausgrenzende Verhaltensweisen und die Ursachen von Mißtrauen zum Vorschein bringen sollten. Besonders auffallend war bei einem der Spiele der hohe Grad an risikovermeidendem Verhalten: Bei einem Teil des Spiels waren alle Gruppen sehr vorsichtig, obwohl klar war, daß sie so verlieren würden. Als ein wenig später eine Untergruppe anfing, sich risikofreudiger zu zeigen und versuchte, zu schummeln - darum ging es nämlich bei dem Spiel - , wurde diese Gruppe sofort ausgeschlossen und von da an mit Mißtrauen behandelt, obwohl sie versuchte, wieder Vertrauen zu gewinnen. Das Experiment zeigt, daß bei HPS sehr schnell Mißtrauen erzeugt werden konnte, und daß es sehr schwer ist, wieder Vertrauen aufzubauen. Es wurde klar, daß Mißtrauen durch eine einzelne Person erzeugt werden konnte, während für das Entstehen von Vertrauen die Zusammenarbeit aller notwendig ist. So gelang es uns, am ersten Tag des Grundlagenseminars ein Sicherheits- und Vertrauensgefühl aufzubauen, während gleichzeitig Gedanken und Meinungen über einschüchterndes Verhalten zusammengetragen wurden. Am zweiten Tag wurden Rassismus und Sexismus als besondere Formen ausgrenzenden Verhaltens behandelt, die zeigen, wie Einschüchterung und Diskriminierung funktionieren, wie wir damit aufgewachsen sind und wie wir dazu neigen, diese Verhaltensweisen nachzumachen, ohne uns dessen bewußt zu werden. Wie bereits erwähnt, entstand in allen Gruppen plötzlich ein Bewußtsein dafür, als Beispiele von Einschüchterung in der Firma aufgezeigt wurden. Vorkommnisse, die nicht als Einschüchterung gesehen wurden, da sie nicht als solche gemeint waren, wurden nach und nach anders betrachtet. Eine wichtige Fragestellung im Zusammenhang mit Sexismus war: Stellen Sie sich vor, ihre Frau oder ihre Tochter würden so behandelt. Was würden Sie dann sagen? Schließlich übten die TeilnehmerInnen in einem Rollenspiel ein, etwas gegen Einschüchterung/Diskriminierung zu unternehmen.
Die Wirkung des Grundlagenseminars war beeindruckend. Fast alle TeilnehmerInnen sagten, daß sie anfingen, einschüchterndes Verhalten anders wahrzunehmen; sogar einer der vier ”harten Kerle”, der eigentlich nur zum Seminar kam ”um zwei Tage bezahlten Urlaub zu bekommen”, sagte am Ende des Seminars: ”Ich gehöre zu denen, die gerne derbe Witze machen, aber mir war nie bewußt, was mein Verhalten bei meinen Kollegen und Kolleginnen bewirkte. Ich will nicht sagen, daß ich mein Verhalten ändern werde, aber ich werde darüber nachdenken.” Und ein anderer sagte: ”Nun, ich muß zugeben, daß ihr zumindest eines erreicht habt: Ihr habt uns die Dinge bewußt gemacht - ich mache tatsächlich solche Sachen.” Beim folgenden Seminar sagten uns einige TeilnehmerInnen, daß Veränderungen erst später in Gang kommen: ”Ich fange an, mich an alle möglichen Vorkommnisse zu erinnern, auf die ich nie reagiert habe - jetzt wird mir bewußt, daß sie alle mit Einschüchterung zu tun hatten.”
Ein Teil des Erfolgs des Projekts ist auf den anthropologischen Ansatz der Voruntersuchungen zurückzuführen. Wir wollten den typischen Tagesablauf im Unternehmen kennenlernen, um unser Programm entsprechend darauf abzustimmen und unsere Sprache und unser Verhalten anzupassen. Was unseren eigenen Hintergrund anging, so mußten wir uns nicht sehr umstellen. Schon während des ersten Grundlagenseminars sagten uns Teilnehmer und Teilnehmerinnen: ”Es ist, als wärt ihr schon Jahre in der Firma.”
Ein wichtiger Aspekt ist außerdem, daß wir die TeilnehmerInnen und ihre Ansichten immer ernst nehmen, auch wenn wir selbst anderer Meinung sind. Das Hauptziel des Seminars ist es, die Diskussion in Gang zu bringen, das Ergebnis der Diskussion soll nicht vorab von uns bestimmt werden. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin bringt seine/ihre eigene Meinung oder Betrachtungsweise mit ein, die auf den jeweiligen eigenen Erfahrungen und Informationen basiert. Darüber hinaus haben die TeilnehmerInnen Sachkenntnis über ihre Firma, wir SeminarleiterInnen haben Sachkenntnis zum Thema das Seminars. Keiner/keine bringt jemandem etwas bei, keiner/keine kennt alle Antworten und keiner/keine versucht, einem anderen oder einer anderen die eigene Überzeugung aufzuzwingen; nur so kann man etwas lernen.
Nach den Grundlagenseminaren wurde die Gruppe der betrieblichen TrainingsleiterInnen gebildet und geschult, um das Programm für die gesamte Firma zu leiten und durchzuführen. Aufgrund der Begeisterung über die Grundlagenseminare bildete sich eine Gruppe von 30, anstatt, wie zunächst erwartet, von 20 Freiwilligen. Viele Firmenangehörige sahen dies als Möglichkeit, mehr über das Thema zu lernen und einen Beitrag zu etwas Wichtigem zu leisten. Die drei Teams fühlten sich sowohl als Gruppe, wie auch als einzelne verantwortlich, das Programm durchzuführen und weiterzuentwickeln. Das Verantwortungsgefühl zeigte sich darin, daß sie das Programm immer wieder neu bewerten wollten und sich bemühten, ihre Kollegen und Kolleginnen dazu zu motivierten, am Programm teilzunehmen. Die Solidarität und das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung die dem Projekt erwachsen, können für den Rest des Prozesses tragen und die Arbeit der gewählten Vertrauensperson unterstützen.
Zu den Ergebnissen der Durchführung des Programms für die Gesamtbelegschaft können wir noch keine endgültigen Aussagen machen. Die Reaktionen auf das Programm sind unterschiedlich: Die Teilnahme ist nicht schlecht aber auch nicht besonders hoch und liegt zwischen 40% und 70% (bisher durchschnittlich bei 51%). Das Programm findet morgens während der Arbeitszeit statt - für die Büroangestellten also während ihrer regulären Arbeitszeit, für die SchichtarbeiterInnen sind das Überstunden, da ihre 8-Stunden-Schicht erst nach dem Programm anfängt. Dennoch nehmen (auch prozentual) mehr ArbeiterInnen als Büroangestellte teil. Am Spiel hatten in der Regel alle Spaß. Dennoch sind die Meinungen darüber sehr unterschiedlich. Einige finden es ”kindisch”, begrüßen jedoch die Diskussion, andere sagen, daß beide Elemente zusammen einen guten Beitrag liefern, der ihre Sichtweise geändert hat. Wieder ander finden, sowohl das Spiel als auch die Diskussion oberflächlich und fragen sich, was wohl als nächstes kommt. Es gehen viele Gerüchte um, die sich auf die Teilnahme auswirken können: ”Das ist Zeitverschwendung”, ”eine kindische Angelegenheit, es bringt dir gar nichts.” Es ist schwer zu sagen, wie ernst man diese Bemerkungen nehmen sollte. Sollte man das Programm abändern, paßt es nicht oder sind diese Bemerkungen Ausdruck des big-mouth-Klimas, wo jemand nicht zugeben kann, daß ”an der Sache etwas gutes dran ist.” Die betrieblichen TrainingsleiterInnen glauben, daß letzteres der Grund sei. Sie berichten auch, daß einige Leute im voraus sagen: ”Ich werde dort nicht hingehen”, ”Mich wirst du dort nicht sehen” - und wenn es dann soweit ist, sind sie doch da.
Was unser ursprüngliches Anliegen angeht, eine Diskussion über Einschüchterung/Diskriminierung in Gang zu bringen, so können wir feststellen, daß wir dieses Ziel erreicht haben. In der ganzen Firma wird über Erlebnisse und Erfahrungen gesprochen. Beschwerden werden vorgebracht, zum Teil offiziell, zum Teil nur im Team oder in der Diskussionsgruppe. Alles hängt davon ab, wie mit diesen Berichten umgegangen wird.
Das Programm für die
Gesamtbelegschaft läuft noch bis Ende Juni. Die Stimmung insgeamt
ist gut, besonders bei denen, die am stärksten am Projekt beteiligt
sind, nämlich bei den TeilnehmerInnen des Grundlagenseminars und bei
den betrieblichen TrainingsleiterInnen. Hier und da gibt es aber auch Besorgnis:
”Wird das Ganze ein Reinfall werden?” oder ”Wenn sich das Ganze nur nicht
zum Negativen wendet” und ”Wenn es bloß nicht wieder so ist, daß
die Kleinen zur Verantwortung gezogen werden, und die Großen ungeschoren
davonkommen.” Wir werden sehen.
Anmerkungen
1) Hoogovens Package Steel/HPS ist eine der fünf Firmen, die zusammen die ”Hoogovens Netherlands” bilden. Alle Niederlassungen innerhalb Hoogovens wurden 1994 zu Business Units, das heißt, sie wurden zu wirtschaftlich unabhängigen Einheiten. ”Unsere” HPS Business Unit beschäftigt ungefähr 1400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wie der Name vermuten läßt, produziert HPS Stahl- und Zinnblech, die woanders zu Büchsen und Dosen, wie z. B. Bierdosen, Obstkonserven, etc., weiterverarbeitet werden.
2) Kantharos ist ein Beratungs- und Forschungsbüro für Multikulturalität und Diversity in Organisationen.
3) Der ”colour-test”
wurde in Zusammenarbeit mit (und nach der Idee von) Marleen Heeman, einer
Spezialistin für heitere, spielerische Übungen für Workshops,
entwickelt.
Literatur:
Cox, Taylor jr. (1993) Cultural Diversity in Organizations. Theory, Research and Practice. Berret Koehler Publ., San Francisco
Roosevelt, Thomas
R. jr. (1991) Beyond race and gender, unleashing the power of your total
workforce by managing diversity. Amacon, New York