GLOBALE KOMMUNIKATION - DIE DEKONSTRUKTION DES MYTHOS EINER GEMEINSAMEN WELT

von Ingrid Volkmer


1. Die Idee von Globalität

"Internet", "World Wide Web", "Cyberspace" - dieses sind Ikone, Mythen oder auch - wie es im englischen heißt - "buzz words" - klingelnde Begriff einer offensichtlich neuen globalen Medienwelt. Obgleich das Medium "Fernsehen" mittels neuer Technologien (Satellitentechnik) ebenfalls seit einigen Jahren sich zunehmend internationalisiert und globalisiert hat (z.B. mit innovativen globalen Programmen und Kanälen, z.B. CNN, MTV, BBC World), scheint das Medium Internet jedoch endgültig die Idee einer Weltkommunikationsgemeinschaft, eines "Weltgeistes" zu verwirklichen. Diese Idee hat ihren Ursprung bereits in philosophischen Entwürfen. Bei Platon ging es um die Positionierung der Welt innerhalb des astronomischen Systems, bei Aristoteles um den "Weltstaat", in der Aufklärung hat Kant die "weltbürgerliche Gesellschaft" beschrieben und in postmoderner Philosophie geht es -folgt man Virilio (1989) - um die Idee der Welt als "Simulation".

Wenn wir heute von der neuen Weltkommunikations- oder besser: -interaktionsgemeinschaft sprechen, so stellen wir fest, daß die Errungenschaften der Moderne erodieren: national-staatliche Grenzen werden innhalb des weltweiten Cyberspace bedeutungsloser, Themen und Meinungen interagieren offensichtlich anonym (wer ist schon in der Lage, die Hyroglyphen des Hypertext Protocols in der Kopfzeile der World Wide Web Seite zu decodieren?; Hypertexte stellen assoziativ neue politische und kulturelle Kon-texte her), die Öffentlichkeit als Grundbaustein der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft verliert die thematisch-fokussierte Balance im Geflecht unbegrenzter weltweiter Kommunikationsoptionen. Samuel P. Huntington sieht in seinem gerade erschienen Buch "The Clash of Civilizations" (deutsch "Der Kampf der Kulturen") die westliche Kultur im Geflecht globaler Dynamik gefährdet. Die Weltgemeinschaft steht offensichtlich am Ende des zweiten Jahrtausends an einem neuen Anfang!

Die Frage, wie sich die globale Gemeinschaft formiert (und formieren) wird, wird bereits ansatzweise in der anglo-amerikanischen Soziologie diskutiert. Bei diesem Anstz geht es darum, die offensichtlich immer hetereogener werdende Struktur des "global village" neu zu vermessen, um neue Formen globaler Beziehungen im Kontext eines theoretischen Konzepts zu beschreiben. Im Zusammenhang dieser Debatte wurde ein interessanter Ansatz von "Globalization" entwickelt, der sich radikal von McLuhan's Konzept unterscheidet und dazu beiträgt, die offensichtliche Disparatheit zwischen Globalisierungs- und Parzellierungstendenzen zu erklären.

Globalization - ich benutze bewußt den englischen Begriff, um diese Theorierichtung zu markieren - versteht die Welt zwar als Einheit, jedoch nicht als homogene Einheit, sondern als Einheit von Differenz. Damit ist ein neuer Blick auf die globale Pluralität von Kulturen, Lebensstilen, auf globale politische Partizipationsformen und Inter-Nationalität möglich. Überträgt man diesen Ansatz in die Kommunikationstheorie und bezieht neueste Technolgie (Internet) in die Ausdeutung ein, so sind die gegenwärtigen Entwicklungen internationaler und globaler Kommunikation nicht länger im Blickpunkt traditioneller Internationalisierungsdebatten zu verstehen, (Nord-Süd-Gefälle und der Idee mit Medien Gesellschaften zu modernisieren), sondern lassen neue Strukturen, die für den konventionellen Blick häufig nicht sichtbar sind, deutlich werden.


2. Das Internet - ein globales Medium?

Die gegenwärtig sich vollziehende Globalisierung im Bereich der Kommunikation und Interaktion am Beispiel des Internet zeigt nicht nur, daß es sich nicht nur um das erste, simultan verfügbare (weltweit stellen ca. zwanzig bis vierzig Millionen Menschen Nutzer des Internet dar) Informations- und Interaktionsmedium handelt, sondern auch, daß insbesondere innerhalb der letzten beiden Jahre das Profil dieses Mediums 'globale' Konturen zeigt (nur einige Beispiele):

(1) Im Jahr 1995 wurde zum ersten Mal deutlich, daß das World Wide Web tatsächlich - potentiell - auf dem Weg zu einem weltweiten multifunktionalen Forum ist: In diesem Jahr war die Anzahl der "Host Computer" außerhalb der USA zum ersten Mal größer als innerhalb. Obgleich die USA immer noch an der Spitze der Internet Nutzung steht, differenzieren sich andere Weltregionen zunehmend aus: West Europa steht an zweiter Stelle (ca. 9 Millionen Nutzer, es wird von ca. 30 Millionen gegen Ende des Jahrhunderts ausgegangen), gefolgt von der Ostasiatischen Region. An vierter Stelle steht Ost-Europa, an fünfter Süd Afrika, gefolgt von Süd Amerika und dem Nahen Osten (diese Regionen zeigen ein langsames aber stetiges Anwachsen der Zahlen der Internet Nutzer). Diese internationale Expansion wird begleitet von sprachlicher Vielfalt.

(2) Es zeigte sich jedoch auch, daß das World Wide Web zunehmend kommerzialisiert wird: Indikatoren sind das erhebliche Anwachsen der "commercial domain" (.com) in den USA, die Kommerzialisierung von Browsern ("Yahoo"), die Tendenz Zugang über "Authorization" zu steuern sowie ein neuer sich entfaltender Werbemarkt.

(3) Das World Wide Web ist nicht nur für Produkte und Dienstleistungen zu einem virtuellen Markt geworden, sondern auch für konventionelle internationale, nationale und regionale Rundfunkanstalten und Printmedien. Der damit zusammenhängende Cyberjournalismus läßt neue Formen von Programmorganisation (virtuelle Networks, neue Syndication Modelle) und (interaktive) Präsentationsweisen entstehen.

(4) Neben dem Internet, dem eine prinzipielle Offenheit des Datentransfers eigen ist, hat sich das Intranet als neues Teil-Informationssystem etabliert. Dieses steht - auch global - nur closed circuits zur Verfügung.


3. Vernetzung und Parzellierung

In dieser neuen Ära, die das Paradigma der "Verbreitung" durch das der "Vernetzung" ersetzt, wird es möglich, daß News Junkies in Mexico City, New York, Kapstadt, Moskau, Kairo und Neu Delhi "breaking news" via CNNI sehen und anschließend über Nachrichtenereignisse mit Journalisten diskutieren und Meinungen austauschen. Diese Art von "Vernetzung" und damit zusammenhängender globaler Kommunikation ist mit dem Begriff des "global village", wie er von Marshall McLuhan geprägt wurde nicht zu vergleichen. Während McLuhan's Metapher von einer globalen Homogenisierung ausgeht, von einem gemeinsamen symbolischen Raum, lassen gegenwärtige Globalisierungsprozesse (wie sie etwa durch das Paradigma der Vernetzung illustriert werden) weltweit neue Gemeinschaften entstehen, die jedoch weniger vereinheitlichen, sondern sich parzellieren.Die - im Theorem der Globalization verankerte - Einheit von Differenz läßt sich, bezogen auf den Welt-raum des Cyberspace, folgendermaßen formulieren:

(1) Das Cyberspace als prinzipell offenes Forum stellt einer neue weltweite "public sphere" eine neue Form von Öffentlichkeit dar. Diese - und das ist das Verbindende, die "Einheit", ist nicht länger ein Element des politischen Systems einer Gesellschaft (Habermas,1979), als Regulativ zwischen Volk und Staat angesiedelt, sondern ein scheinbar autonomes Forum, ein kollektiver Raum, der genau zwischen national-staatlichen gesellschaftlichen Grenzen und der globalen Gemeinschaft verankert ist. Innerhalb dieser "global public sphere" werden beispielsweise durch weltweit agierende Mediensysteme bereits verbreitete Ereignisse (politische, ökonomische, ökologische, human rights) durch lokale, regionale oder nationale Blickwinkel ergänzt, erweitert und lokale Ereignisse integriert, die dann - reziprok - wiederum einen Einfluß im lokalen Raum haben. Diese welt-öffentliche Sphäre ist autonom und weitgehend unabhängig von staatlichen und internationalen Einflüssen. Sie hat kein Zentrum und keine Peripherie, die Inhalte sind (durch Hyperlinks) relativ aufeinander bezogen ohne notwendige geographische Nähe der Host Computer: ein Computer in New Jersey stellt Material über die Menschenrechtsverletzungen in China zur Verfügung, ein Computer in England bietet Informationen über Truppenbewegungen in Bosnien. Die Themen dieser "global public sphere" sind offenbar ahistorisch. Sie sind auf Aktualität bezogen, schnell, kurz und fokussiert.

(2) Es zeigen sich innerhalb dieser Sphäre auch weltweit verfügbare neue Formen eines Wandels medialer Öffentlichkeit, die im Umfeld des neuen journalistischen Feldes des "Cybercasting" (analog zu broadcasting) zu beschreiben sind. Hier lassen sich neue Gatekeeper zuordnen, die nicht nur Unterhaltungsangebote zusammenstellen, über Musik- und Sportkultur informieren (MTV), sondern auch politische Themen aufarbeiten, darstellen und miteinander in Hyperlink-Beziehung setzen. Gemeint sind zum einen die vielfältigen Formen "vertikaler Integration" von Fernsehsendern und Printmedien, die die einmal verarbeiteten News im World Wide Web wieterverwerten, zum anderen Organisationen und politische Verbände, die ihre Positionen einer Weltöffentlichkeit vorstellen. Gemeint sind auch neue virtuelle "Newsstands" , die websites miteinander verbinden und sich selbst so in den Status eines Networks bringen (Electronic Newsstand, Yahoo etc.) Neben diesen Angeboten, etablieren sich weltweit verfügbare neue Player, z.B. Microsoft, die jenseits von politischen Regulativen, die z.B. internationales Fernsehen betreffen (Fernsehrichtlinie), nicht nur Inhalte entwickeln und Verbreitungssoftware zur Verfügung stellen, sondern auch die Medienmärkte miteinander verschmelzen lassen. Es lassen sich außerdem Online Provider nennen, deren Informationsinflow und Angebot nach uneinsichtigen Kriterien selektiert und zusammengestellt wird.

(3) Weltweite mediale Umgebungen bestimmen den Partizipationsgrad und die Bedeutung dieser neuen globalen Sphäre. Obgleich das Internet ein weltweit verfügbares Medium darstellt, zeigen sich Parzellierungstendenzen u.a. in bezug auf regionale Kommunikationsumwelten.

Die Sozialisation in dieser 'Global Civil Society' fordert auch neue Rollen von ihren Bürgern, bietet neue politische Partizipationsformen (z.B. Internet) und neue Lerninhalte für das Bildungs- und Erziehungssystem, dessen Aufgaben der Vermittlung von "Weltorientierung" zunehmend von (kommerziellen, international operierenden) Medien übernommen werden. Im Kontext von Erziehung geht es darum, Modelle des Weltbürgertums zu definieren und globale Kommunikationskompetenz zu fördern, denn, "citizenship is tied to democracy, and global citizenship should in some way be tied to global democracy ... that extends some notions of rights" (Falk, 1994).


Literatur:

Falk, Richard (1994) The Making of Global Citizenship, in: Steenbergen, Bart van (ed.) The Condition of Citizenship.London, Thousand Oaks, New Delhi.

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