Wie die Idee zur Fachtagung "Geschlechterdemokratie in Organisationen" entstanden ist

Von Gunda Werner
 

Als ich im Mai 1998 zum ersten Mal über diese Fachtagung nachdachte, hatten mein Kollege Henning von Bargen und ich gerade unser Berliner Büro am Hackeschen Markt bezogen. Vor uns standen Umzugskisten aus Hamburg und Dortmund, hinter uns lag eine heiße Reformphase, in der die Fusion von drei Vereinen zu einer Gesamtstiftung vorbereitet worden war. Jetzt sollten die Konzepte, um die engagiert in vielen nervenaufreibenden Sitzungen gestritten worden war, in den Arbeitsalltag übersetzt werden.

Eine ganz neue Idee war die “Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie”, mit der die verschiedenen Ansätze von Frauenpolitik aus den Einzelvereinen Buntstift, Frauen-Anstiftung und Heinrich-Böll-Stiftung weitergeführt werden sollten. Wir beide saßen in diesem schönen Büro, weil wir als Managementteam dafür verantwortlich waren, diese Aufgabe in Kopf und Herz aller Kolleginnen und Kollegen zu bringen.

Ich selber war daran beteiligt, das Konzept “Geschlechterdemokratie” zu entwickeln. Als Geschäftsführerin der Frauen-Anstiftung e.V., Hamburg hatte ich großes Interesse daran, dass die Chancengleichheit für Frauen auch in einer Gesamtstiftung gut verankert würde.

Wie das geschehen könnte, dazu bot eine Arbeitsgruppe ein Forum, die sich schon Ende 1994 aus Kolleginnen und Kollegen gründete, die eine inhaltliche Diskussion jenseits von Vereinsinteressen führen wollten. Im sogenannten “Frankfurter Kreis” kamen wir regelmäßig zusammen: Dörthe Jung, Mathias Fechter, Sebastian Popp und Regine Walch aus Frankfurt, Theresia Bauer aus Heidelberg, Klaus Linsenmeier aus Göttingen, Maria Icking aus Düsseldorf, Marianne Zepp aus Wiesbaden und Helga Braun und ich aus Hamburg.

Wir erarbeiteten ein “Plädoyer für eine reformierte bündnisgrün-nahe Stiftung”, in dem die Geschlechterdemokratie als Begriff für eine neue Organisationskultur eingeführt wurde. Was dann folgte, war eine Analyse der gegenwärtigen, zunehmend weniger erfolgreichen Ansätze der  Frauenpolitik und die Folgerung, “daß generell in der Frauenpolitik und speziell für die Gesamtstiftung im Verhältnis von autonomen Strukturen und der Integration feministischer Politik neue Modelle erprobt werden müssen”.

In unserem ersten Entwurf wurde die Seite der eigenständigen Frauenstrukturen innerhalb der Organisation stark betont. Ein “Institut für feministische Theorie und Praxis” sollte daran arbeiten, Chancengleichheit für Frauen und Männer herzustellen. Wichtig war uns allerdings dabei, daß ein Dialog mit den Männern entstehen sollte und  daß eine größere Offenheit zu den anderen Stiftungsfeldern hergestellt würde.

Insgesamt waren wir in diesem Reformarbeitskreis sehr angeregt von den neuen Methoden der Organisationsentwicklung und den Bestrebungen innerhalb der Verwaltungsreform. Im Verlauf der Reform  wurden Überlegungen aus diesen Kontexten zunehmend mit der Idee der Geschlechterdemokratie zusammengebracht:

Eine moderne Organisation muß anpassungs- und lernfähig sein. Dafür braucht sie entsprechende Steuerungsmodelle mit flachen Hierarchien, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die fähig sind, selbstverantwortlich und kooperativ zu arbeiten, Teamstrukturen, klare Unternehmensziele und eine gut verankerte Unternehmensphilosophie. Und nicht zuletzt Ressourcen, die dafür eingesetzt werden, das Personal und die Organisation entsprechend zu schulen und zu entwickeln. Diese Rahmenbedingungen schienen uns hervorragend dafür geeignet, die Chancengleichheit von Frauen und Männern zu fördern.

In den folgenden Reformdebatten zeigte sich sehr schnell, dass diese Ideen sich nicht so einfach verwirklichen lassen würden. Zwischen den “Modernisten” und den “Bewahrern” kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen. Ich denke, wir haben sehr grundsätzlich um eine tiefgreifende strukturelle Veränderung in der Sichtweise auf unsere Organisation gerungen. Wir vom Frankfurter Kreis gingen soweit, die Stiftung als Dienstleistungsunternehmen zu begreifen, das sich nach außen öffnet und seinen “Markt” bedient. Welche Gegenkräfte damit in einem politisch-ideologisch geprägten Projekt auf den Plan gerufen wurden, ist leicht vorstellbar.

Für das Modell “Geschlechterdemokratie” folgte für uns aus dieser neuen Perspektive, den klassischen Instrumenten der Frauenpolitik mit Frauenbeauftragten, Querschnittreferat, Quotierung, Berichtspflichten und Kontrollgremien die Idee der “Gemeinschaftsaufgabe” entgegenzusetzen, verbunden mit einem Beratungskonzept für die gesamte Organisation. Dagegen befürchteten viele Feministinnen, dass damit die mühsam erkämpften Regelungen zugunsten von Frauen wegfielen und das Interesse, neue Formen für die Chancengleichheit zu entwickeln, schnell unter anderen Notwendigkeiten begraben würde.

Dieser Konflikt wurde schließlich durch einen Kompromiss gelöst. Der Satzungsentwurf für die neue Stiftung enthielt drei wesentliche Elemente:

1. Geschlechterdemokratie ist eine Gemeinschaftaufgabe. Damit wurde der Blick auf die Gesamtverantwortung gelenkt, sowohl die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als auch die der Organisation in ihrem Ablauf und Aufbau.

2. Geschlechterdemokratie ist ein Leitbild und wird als Satzungszweck festgeschrieben. Damit wurde die gesellschaftspolitische Verantwortung der Stiftung angesprochen und das Thema als leitender Wert in der politischen Bildungs- und Projekarbeit verankert.

3. Sicherungssysteme sorgen dafür, den erreichten Standard zu erhalten. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass in den einzelnen Vereinen die Frauenpolitik sowohl strukturell als auch inhaltlich auf sehr unterschiedlichem Niveau entwickelt war und ein hoher Standard abgesichert werden sollte.

Vor diesem Hintergrund nahmen wir also unsere Arbeit auf. Was uns umtrieb, waren nicht eben einfache Fragen:

Wie können Kolleginnen und Kollegen motiviert werden, sich in ihrem Arbeitsalltag aktiv mit Geschlechterfragen zu beschäftigen? Wie müssen die Abläufe in einer Organisation strukturiert werden, um Frauen und Männern gleiche Chancen zu ermöglichen? Welcher Aufbau einer Organisation bietet bessere Voraussetzungen, Chancengleichheit zu verwirklichen als andere?

In unserem Beratungsansatz gehen wir davon aus, dass die Geschlechterdemokratie in einer Organisation, ebenso wie in einer Gesellschaft, eine hochkomplexe Frage ist, die entsprechend komplexe Strategien braucht, um immer wieder eingelöst und hergestellt zu werden. Jede gute Idee, wie das geschehen kann, ist uns recht, um damit zu experimentieren. Wir vertreten kein puristisches Konzept, sondern sind offen, neue Ideen in unsere Arbeit aufzunehmen. Unter anderem wollten wir uns durch diese Fachtagung von “best practice” Modellen anregen lassen, unseren Ansatz vorstellen und mit anderen Strategien vergleichen.

Was wir in der Heinrich-Böll Stiftung bisher verwirklicht haben, zeigt, dass Geschlechterdemokratie kein leerer Satzungszweck ist:

Darauf sind wir stolz, denn diese Strukturen dürften kaum in einer anderen gemischten Organisation zu finden sein. Aber für uns gibt es keinen Grund, den weiteren Prozess der Stiftungsentwicklung sich selbst zu überlassen. Diese Errungenschaften sind natürlich immer wieder bedroht, wenn es darum geht, knappe Ressourcen zu verteilen. Und es gibt noch einige Organisationsfelder in der Stiftung, die der geschlechterdemokratischen Ausgestaltung harren, z.B. der Bereich des Controlling und der Qualitätskontrolle. Eine interne Beratungsabteilung, die diese Entwicklung anschiebt und begleitet ist die Voraussetzung dafür, dass die Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie nicht im Alltagsstreß vergessen wird.

Leider konnte ich aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Tagung teilnehmen. Wie mir mein Kollege Henning berichtet hat, ist sie auf großes Interesse gestossen, und er selber hat diverse Anregungen für unsere Arbeit mitgenommen. Ich hoffe, dass auch diese Dokumentation dazu beiträgt, diese Themen weiter zu diskutieren