Vortrag, Diskussion, Barabend
Neoliberal können Ideen, politische Programme und Reformen sein – und das seit achtzig Jahren, auch wenn die gesellschaftlichen Transformationen, die als neoliberal kritisiert werden, eher in das Ende des zwanzigsten Jahrhunderts fallen. Doch indem neoliberale Sozialordnungen bestimmte Selbstverhältnisse hervorbringen, offenbaren sie auch eine subjektive Seite: Ihren Gestaltungswillen richten die Individuen heute weniger auf die soziale Ordnung und die politischen Verhältnisse, sondern zunehmend auch auf den eigenen Körper und die eigenen Gefühle, auf ihr Konzentrationsvermögen, ihr moralisches Bewusstsein und ihr Konsumverhalten.
Darin, Gegebenes nicht als natürlich zu akzeptieren, sondern als veränderbar zu begreifen, treffen sich viele dieser Praktiken mit progressiven Idealen. Wie dieses Aufeinandertreffen zu verstehen ist – als Vereinnahmung fortschrittlicher Ideen oder als Komplizenschaft von progressiven Idealen mit dem Neoliberalismus – diskutiert die Soziologin Greta Wagner in einem Vortrag der Reihe Böll Analytics.
Zur Reihe Böll Analytics
Mit welchen Begriffen beschreiben wir unsere Gegenwart? Die Vortrags- und Gesprächsreihe Böll Analytics widmet sich aktuellen Debatten entlang zentraler Schlagworte und jeweils mit einem prominenten Gast. Angesichts tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbrüche wächst ein Gefühl der Widersprüchlichkeit und des Unbehagens – an der Moderne und am Fortschritt, an Demokratie und Pluralismus. Kaum eine Bewegung, die nicht durch ihr Gegenteil aufgehoben oder zumindest infrage gestellt wird. Der Diagnose einer Politisierung der Gesellschaft steht der Rückzug in die Lebensform gegenüber, die Renaissance der Stadt existiert neben der Wiederentdeckung des Landlebens, Dekonstruktion tritt neben Rekonstruktion. Mit Gästen aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft bringt Böll Analytics Licht ins Dunkel der Gegenwartsphänomene und Zeitdiagnosen. In welcher Welt leben wir? Warum tauchen bestimmte Begriffe und Deutungsmuster gerade jetzt auf? Und was sagt dies über unsere Gesellschaft aus?
Vortrag, Diskussion, Barabend mit:
Greta Wagner Greta Wagner ist promovierte Soziologin aus Frankfurt am Main und lehrt Soziologie an der TU Darmstadt. Bis Juni 2019 forschte sie am Institute for Advanced Study in Princeton. Sie publiziert zu den Themen Selbstoptimierung und Erschöpfung und arbeitet aktuell an einem Projekt zu den Ambivalenzen des Helfens in einer ungleichen Welt. Bei Campus erschien ihr Buch „Selbstoptimierung. Praxis und Kritik von Neuroenhancement“ (2017). Sie ist Mitherausgeberin von „Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft“ und Co-Autorin von „Vom überforderten zum achtsamen Selbst?“, in dem Band „Das überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten Gesellschaft“, die beide bei Suhrkamp erschienen sind.
Benjamin Pfeifer Heinrich-Böll-Stiftung Hessen