Ungarn im Wandel der Zeiten
Vor 60 Jahren erhob sich das ungarische Volk gegen die kommunistische Diktatur – vergeblich, wie wir heute wissen, denn niemand wollte zehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erneut eine militärische Konfrontation mitten in Europa. Dennoch erlosch der Freiheitswille in Ungarn nicht und es war somit auch kein Zufall, dass der eiserne Vorhang 1989 zuerst in Ungarn gelüftet wurde. Endlich in Freiheit wurde Ungarn Mitglied von EU und NATO und schien sich positiv in Richtung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu entwickeln.
In den letzten Jahren ist aber eine deutliche Abkehr von diesem Entwicklungspfad festzustellen. Eine autokratische Regierung, fremdenfeindliche, nationalistische und antidemokratische Einstellungen und Bewegungen sind mehrheitsfähig geworden, Brüssel als Sinnbild der Europäischen Union wird als das neue Moskau verunglimpft. Gleichzeitig lehnt man sich außenpolitisch wieder an den ehemaligen großen Bruder an, verteidige Putin doch das christliche Abendland.
Wie konnte es zu dieser Kehrtwende kommen? Welche Erfahrungen, welche Ereignisse haben die ungarische Gesellschaft jeweils zu diesen Entscheidungen geführt? Wie schauen unterschiedliche Generationen auf ihr Land im Wandel der Zeiten?
Zur Reihe: Europa in Bewegung
Die Europäische Union steht vor einer existenziellen Bewährungsprobe. Die Auseinandersetzungen um Griechenland und die europäische Austeritätspolitik, die Verhandlungen mit Großbritannien zur Vermeidung eines sogenannten Brexits und vor allem das zähe Ringen um eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik zeigen, wie groß die Differenzen innerhalb der Europäischen Union sind. Auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten finden teilweise tief greifende Umbruchprozesse statt, die von erheblichen Veränderungen in den politischen Parteiensystemen begleitet sind.
Die Reihe „Europa in Bewegung“ beleuchtet genauer die aktuellen Umbruchprozesse in einzelnen europäischen Ländern und fragt dabei nach den Kräften, die demokratische Reformprozesse in ihren jeweiligen Ländern tragen und Renationalisierungstendenzen entgegentreten können. Den Anfang machen die Umbruchprozesse in Spanien, in Frankreich und in Polen.
mit:
Melani Barlai Politikwissenschaftlerin, Andrássy Universität Budapest
Kai-Olaf Lang Senior Fellow, Forschungsgruppe EU/Europa, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin
Volker Weichsel Zeitschrift „Osteuropa“, Berlin