Welcher Anthropos? – Emanzipation in Zeiten ökologischer Krisen
Es ist vielfach darauf hingewiesen worden, dass die rasch hegemonial gewordene Erzählung des Anthropozäns auf einer vereinheitlichenden Geste beruht, die “den Menschen” als Universalie ins Zentrum der Verantwortung für die ökologischen Verwerfungen unserer Zeit stellt. In der Imagination “des Anthropos” als dominanter geologischer Kraft wird die Omnipotenzphantasie “des Menschen” als naturbeherrschende Macht wiederholt.
Während Ökomodernist_innen vor diesem Hintergrund bereits von einem “guten Anthropozän” träumen, welches die Folgen des Klimawandels und anderer ökologischer Katastrophen durch technologische Innovationen beherrschbar gemacht haben wird, sind es besonders feministische, postkoloniale und ökosozialistische Perspektiven, die die Erzählung des Anthropozäns selbst zum Gegenstand der Kritik machen. Sie arbeiten die vergeschlechtlichten, rassifizierten und klassenspezifisch differenzierten Ungleichverteilungen von Verantwortung heraus. Mit ihren Gegen-Geschichten – etwa des Kapitalozäns, des Chthuluzäns und des Plantagozäns – beharren sie auf der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation.
Der Vortrag skizziert die Gefahr des ökomodernistischen Traums und zeigt die Potentiale und Grenzen der genannten Gegen-Geschichten auf. Darauf aufbauend geht der Vortrag der Frage nach, welche Geschichten und Praktiken es braucht, um grundlegende Transformationen anzustoßen und mit was für einer Vorstellung von Emanzipation ein solches Projekt einhergeht.
Canning Areas
Die Situation, in der wir uns befinden, ist paradox. Die “ökologische Krise” wird breit im öffentlichen Diskurs verhandelt und die Erschütterung über das Ergebnis von 250 Jahren Kapitalismus schlägt sich vor allem in Wissenschaft, Kunst und Kultur nieder. Staat und Unternehmen befassen sich seit Jahrzehnten mit Nachhaltigkeitskonzepten, für die Wissenschaft und Technologie das Fundament bereitstellen. Und schließlich wird mit den neuen Klimabewegungen der Dringlichkeit eines Kurswechsels augenfällig Nachdruck verliehen. Zugleich schreitet die Zerstörung des planetaren Ökosystems ungebremst voran und die krisenanfällige Weltökonomie kommt erst durch eine Pandemie für einen kurzen Moment zum Erliegen.
Vortrag mit:
Katharina Hoppe forscht und lehrt als Soziologin an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in der soziologischen, feministischen und politischen Theorie, sowie intersektionalen Perspektiven auf ökologische Krisen. Ihr Buch erscheint nächstes Jahr unter dem Titel "Die Kraft der Revision. Epistemologie, Politik und Ethik bei Donna Haraway" im Campus Verlag.
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