Zeitpolitik in italienischen Städten - Entstehungsgeschichte und aktueller Stand

Christine Obermair

Abstract
Die Autorin befaßt sich mit der städtisch-öffentlichen Zeitpolitik im Italien der 80er Jahre. Es werden Beispiele kommunaler Zeitplanung aufgeführt, die der Erhöhung der Lebensqualität der Bürger dienen sollen.

 
Kommunale Zeitplanungspolitik in Italien

Die kommunale Zeitplanung in Italien versucht, die zeitliche Organisation der Stadt besser auf die Bedürfnisse der Stadtbewohner und der Stadtbesucher abzustimmen.
Das komplexe System der Zeitordnung einer Stadt, das unser Alltagsleben bestimmt, setzt sich zusammen aus:

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Diese Zeitvorgaben sind das Ergebnis von Abkommen, von Vereinbarungen zwischen verschiedenen Akteuren und sie sind geprägt von Kräfteverhältnissen, von unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen. Wichtig ist aber, sich in Erinnerung zu rufen, daß man diese Zeiten auch ändern kann.

In Italien haben sich in den letzten Jahren kommunale zeitgestalterische Ansätze entwickelt, deren Originalität weniger darin liegt, die Wichtigkeit zeitlicher Faktoren im Alltagsablauf erkannt zu haben, sondern vielmehr darin, ein neues Handlungsfeld erschlossen zu haben: Zeitgestaltung kann Inhalt öffentlicher Planung und Steuerung auf städtischer Ebene sein. Dabei geht es nicht darum, von oben herab "jetzt auch noch die Zeit zu verplanen". Es geht um eine bessere zeitliche Organisation des städtischen Lebens, die den Bürgern mehr Gestaltungsmäglichkeiten für den Alltagsablauf bieten soll.

Wie ist dieser Ansatz in Italien Mitte der Achtziger Jahre entstanden?

Im Jahre 1990 wird ein staatliches Reformgesetz verabschiedet (Nr. 142 /1990), weiches u.a. die Zuständigkeitsbereiche der Kommunen erweitert. Artikel 36, Absatz 3 dieses Gesetzes lautet: "Der Bürgermeister ist außerdem dafür zuständig, im Rahmen der Regionalgesetze und aufgrund der vom Gemeinderat festgelegten Richtlinien die Öffnungszeiten der Geschäfte, der öffentlichen Dienste sowie jene der Außenämter der öffentlichen Verwaltung zu koordinieren, damit die Ausführung der Dienste den gesamten und allgemeinen Erfordernissen der Benützer entsprechen kann."
Trotz seiner Knappheit legitimiert dieser Gesetzesartikel die bis dahin geleisteten Bemühungen und stellt einen großen Schub für neue Projekte dar. Heute laufen in fast 60 italienischen Städten verschiedenste kommunale Zeitgestaltungsprojekte; in sieben Regionen gibt es inzwischen eigene Gesetze, die die kommunale Zeitplanung unterstützen und finanzieren. In vielen Gemeinden sind eigene Zeitbüros eingerichtet worden (ufficio tempi della cittá). In Anlehnung an den kommunalen Bauleitplan spricht man oft von Zeitleitplänen (piano regalatore degli orari), obwohl meistens kein vergleichbares Plandokument vorliegt. Dies erklärt sich daraus, daß die zeitliche Organisation der Gesellschaft einem kontinuierlichen Wandel unterliegt, sich Lebensstile, Rhythmen und zeitliche Bedürfnisse relativ schnell ändern und darauf flexibel reagiert werden muß. In der Regel gibt es ein Grundsatzpapier, das zeitpolitische Prioritäten festlegt (z.B. weichen Bevölkerungsgruppen die geplanten Maßnahmen vorrangig zugute kommen sollen und in weichen Bereichen angesetzt werden soll), die dann durch konkrete (Pilot)projekte umgesetzt werden. Oft gibt es umfangreiche vorbereitende Untersuchungen und Erhebungen, sei es auf gesamtstädtischer Ebene, als auf einzelne Bevölkerungsgruppen oder thematische oder räumliche Bereiche begrenzt.

Was ist den Projekten der italienischen Städte gemeinsam?

Der ursprünglich weibliche Blickpunkt der italienischen Zeitplanungspolitik ist nicht verlorengegangen, sondern äußert sich in der Aufmerksamkeit, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen in ihren verschiedenen Lebensphasen gewidmet wird, in der Beachtung weniger der Regel, als vielmehr der Ausnahmen, in der Wichtigkeit, die den "Kleinigkeiten" des alltäglichen Lebens beigemessen wird.

Eine ausgewogene zeitliche Organisation der Stadt und ihrer Dienste bedeutet für den Einzelnen, daß das Verhältnis zwischen "gebundener Zeit" (Zeit für berufliche Tätigkeit und für Familienarbeit) und frei verfügbarer Zeit verbessert werden kann und die individuellen Gestaltungsmäglichkeiten zunehmen. Nachdem die Hauptlast des enormen zeitlichen Koordinationsaufwandes in einer Familie (Abstimmung zwischen Arbeitszeiten, Besorgungen, Einkauf, Kinderbetreuung, Behördengängen, usw.) immer noch zum größten Teil auf den Frauen lastet, will die kommunale Zeitplanung besonders den Frauen zugute kommen.
Die Handlungsfelder der städtischen Zeitgestaltung sind breitgefächert, können aber folgendermaßen zusammengefaßt werden:

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